Von Christoph Gunßer
Der japanische Architekt (64) ist seit Jahren für höchst innovative filigrane Holzstrukturen berühmt, die in ihrer „natürlichen“ Anmutung große Harmonie und Leichtigkeit ausstrahlen. Für den Architekten ist „smallness“ dabei ein Schlüsselbegriff: In der Verwendung kleiner, fast spielzeugartiger Elemente, die sich zu einem großen Ganzen fügen, spiegelt sich für ihn auch eine achtsamere, von Konsumballast und Statusdenken freiere Gesellschaft.
Jetzt hat der Meister für ein Hotel im oberbayerischen Krün einen Meditationspavillon entworfen: mitten im Wald und wie gewohnt mit (scheinbar) einfachen Mitteln. Unser Autor Christoph Gunßer sprach bei der Eröffnung des Hauses mit Kengo Kuma.
Kuma-san, sie sind als ein reflektierter, auch hintersinniger Architekt bekannt. Was ist das wahre Wesen ihres Meditationshauses?
Meine erste Idee war: Wie schaffe ich Harmonie mit dem Wald? Der Protagonist des Projektes ist also der Wald selbst. Ihm zollen wir Respekt. Wir wollten ein bescheidenes Bauwerk schaffen. Der Wald ist ja wie eine Art Filter für das Licht, die Luft. Die Blätter, die Zweige, das schafft so eine „weiche“ Atmosphäre. So ist der Wald das Vorbild für unsere Details.
Als jemand, der aus einer Kultur raffinierten Holzhandwerks kommt, wie stehen sie zum hiesigen Holzbau? Waren sie zufrieden mit der Ausführung des Pavillons, oder ist die besondere Leichtigkeit und Eleganz ihrer Bauten nur in Japan machbar?
Mein Anliegen ist, Handwerkskunst und Design wieder zu verbinden. Im 20. Jahrhundert haben wir vergessen, dass Handwerk die Basis einer guten Gestaltung ist. Die Industrialisierung machte allein das immer schnellere, immer größere Bauen zum Ziel. Das war sehr bedauerlich für unsere Kultur. In Deutschland haben Sie auch eine große Handwerkstradition. Ich spüre da eine Verwandtschaft. Dafür ist dieser Pavillon ein gutes Beispiel. In beiden Ländern spielt der Wald eine wichtige Rolle. In Japan haben wir einen Waldanteil von 70 Prozent! Wir hatten hier gute Zimmerleute – und ein braves Rückepferd. Das war erstaunlich.
Hierzulande ist immerhin rund ein Drittel der Fläche bewaldet. Hätten sie den Pavillon gern – statt der versteckten Stahlträger für das Dach – ganz aus Holz gebaut?
Ich versuche immer, größtmögliche Transparenz zu schaffen. In Holz wäre die Dachkonstruktion viel mächtiger ausgefallen. Wir versuchten daher, einen guten Kompromiss zu finden, ähnlich wie im neuen Olympiastadion in Tokio, das wir zur Zeit planen. Dort verbinden wir Stahlrohre mit Brettschichtholzträgern.
Die Kleinteiligkeit ist für sie ein Spiegel der Gesellschaft, die ihnen vorschwebt. Sie sind sehr kritisch gegenüber dem konsumistischen, gesichtslosen Bauen in ihrem Land und haben den Tsunami von 2011 mit Noahs Sintflut verglichen, der eine neue, geläuterte Baukultur folgen sollte. Sehen sie bereits Anzeichen für einen solchen Wandel?
Das war ein Riesendesaster. Die Menschheit ist schwach im Angesicht der Natur – das ist die große Lehre aus dem Tsunami. Die Haltung gerade der Architekten hat sich dadurch sehr verändert: Viele sind überzeugt, dass wir bescheidener bauen sollten. Und die Architekturzeitschriften, die zuvor sehr puristisch gestaltet waren, mit vielen monochromen Seiten in Grau und Weiß, sind heute voll mit natürlichen Motiven.
Bereits 2008 entwickelten sie ein Mustergebäude für ein japanisches Versandhaus. Folgen ihnen die japanischen Architekten, macht ihr Bauen Schule?
Das Muji-Haus war als Vorbild für ein zukünftiges Wohnen gedacht, nicht zur Massenproduktion. Ich weiß nicht, wie viele davon letztendlich verkauft wurden. Aber ich bin Professor an der Tokioter Universität. Dort habe ich auch ein Labor für Forschung und Entwicklung und entwerfe mit den Studenten Pavillons. Das ist der beste Weg, um ein Gefühl für Material zu bekommen. In den 1990er-Jahren lag der Fokus noch stark auf rechnergestütztem Entwerfen. Darüber vergaß man, dass Architektur die „Kunst des Materials“ ist, nicht die „Kunst zu rechnen“.
Sie nutzen jedoch selbst intensiv CAD/CAM-Techniken!
Aber es ist für mich nur ein Werkzeug. Das Projekt ist immer materiell.
Und die westlichen Architekten? Zu ihren prägenden Vorbildern zählen sie Frank Lloyd Wright mit seiner „organischen Architektur“, die ihrerseits vom japanischen Bauen inspiriert war. Auch beziehen sie sich auf die Pavillons Bruno Tauts. Verstehen sie sich als Teil dieses Kulturtransfers?
Der Austausch zwischen den Kulturen ist für mich der Ursprung der Kreativität. Am Ende des 19. Jahrhunderts inspirierte die japanische Kultur viele Künstler. Im 21. Jahrhundert kann uns dieser Austausch einen Schritt weiter bringen: Wir sollten die Industrialisierung überwinden, die alles überall gleich werden lässt. Es geht darum, lokale Ressourcen zu aktivieren, wie hier, wo wir Weißtanne verwendeten, und mit lokalen Handwerkern arbeiteten.
Ist Holzbau in Japan kostspielig?
Nein, überhaupt nicht. In China und anderen asiatischen Ländern, wo ich auch gebaut habe, ist es teuer, weil die Holzbautradition verlorengegangen ist. Aber in Japan ist es immer noch die billigste Art zu bauen. Zum Glück haben wir noch sehr gute Handwerker, die nicht für Geld bauen, sondern sozusagen als Selbstzweck.
Wie viel Handarbeit ist in ihren Strukturen noch notwendig?
Unser Ansatz ist, kleine Einheiten zu verwenden und die Verbindungen nicht zu zeigen. Das ist komplex und erfordert perfekte Präzision. Es zeigt das hohe Niveau der Handwerker. Nicht allein die Montage geschieht von Hand.
Sie haben sich stets gegen die „Bigness“, den Starkult und die „Landmark Buildings“ ihrer Kollegen ausgesprochen und für kleine, bescheidene Gebäude plädiert. Inzwischen unterhalten sie selbst große Büros in Tokio, Peking und Paris mit insgesamt über 200 Mitarbeitern und planen zur Zeit sehr ansehnliche Kulturbauten, vor allem in Europa. Wie geht das für sie zusammen?
Wir haben relativ große Teams, aber die sind sehr flexibel. Wir finden, kleine und große Projekte sollten zusammen gedacht werden. Die kleinen sind gut zum Experimentieren, und die Ideen werden dann auf die großen übertragen.
Was würden sie gern noch bauen? Wie sieht für sie die Architektur der Zukunft aus?
Ein religiöses Gebäude. Die Architektur der Zukunft sollte bescheiden sein. Ein kleines Budget ist dabei nicht das Problem, es kann mich gerade inspirieren, bescheiden zu sein.
Praktizieren sie eigentlich selbst das Waldbaden, wie es hier – in japanischer Tradition – angeboten wird?
Ich bin in einem alten Holzhaus am Waldrand aufgewachsen und gehe immer noch sehr gern in den Wald. Das gibt mir viele Hinweise fürs Gestalten. Die große Stadt kann mir dies nicht bieten. Vielleicht ist das eine alte Erinnerung: Die Menschen wurden im Wald geboren, und er hat sie oft beschützt.
Meditationshaus bei Krün (Oberbayern)
Das 160 Quadratmeter große Gebäude entstand 2017/18 auf einem bewaldeten Hügel, rund 300 m entfernt von der nächsten Straße. Es dient als Rückzugsort für Kurse in Yoga und das (aus japanischer Tradition kommende) „Waldbaden“. Für diesen eigentlich kleinen Auftrag war der Stararchitekt viermal vor Ort, hat allein Stunden mit der Standortsuche zugebracht. Offenbar verspürt Kengo Kuma eine Affinität zu dieser Waldlandschaft unterhalb des Wettersteingebirges, einer Art Japan Oberbayerns.
Auch wenn das Wort Pavillon vom Schmetterling abgeleitet ist – leicht ist der neue Kuma-Bau nicht: Die schneereiche Lage auf rund 1.050 Meter Seehöhe und die Brandschutzvorschriften machten hier eine robuste Konstruktion notwendig. Anders als in Kengo Kumas jüngsten, kühnen Stabwerk-Strukturen (etwa dem zuletzt viel publizierten Coeda House von 2017) übernimmt die aus 1.550 Weißtannenbrettern zusammengesteckte Holzstruktur hier keine tragende Funktion für den Pavillon – sie ist von Stahlträgern abgehängt, die das aus fünf Dreiecken gefügte Dach tragen. Die Lasten werden über eingespannte Stahlstützen und einen massiven Kern abgeleitet, hinter dem ein Raum für die Teezeremonie sowie die Nebenräume liegen. Der Hauptraum ist auf drei Seiten voll verglast; auf der Westseite lässt sich eine breite Schiebetür zum Wald öffnen.
Während sich die Waldlichtung noch schonend mit einem Rückepferd roden ließ, musste zum Bau doch schweres Gerät in den Wald: Dank sorgfältiger Nacharbeit sind Baustraße und -platz jedoch bereits wieder gut zugewachsen – auch das gehört für die Initiatoren zur Achtsamkeit. Kengo Kumas holzbauerfahrene Kontaktarchitektin vor Ort, Barbara Poberschnigg vom Innsbrucker StudioLois, ist des Lobes voll über die gute Zusammenarbeit mit dem Meister aus Fernost, und sie plant bereits ein weiteres Gebäude mit ihm.
Ein Video vom Bau gibt es hier.
Hinweis zum Besuch: Das Meditationshaus gehört zum Hotel „Das Kranzbach“ und ist nur Hotelgästen zugänglich.
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