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Zurück Schwerpunkt: Luxus

Ware oder Wahrheit?

Auf Sinn statt Verwertung zielende Architektur ist kein Luxus, sondern existenziell nötige Sinnstiftung

28.11.20148 Min. 3 Kommentar schreiben

Text: Jörn Köppler

Buch vom Autor: Jörn Köppler, Architekt in Potsdam und Berlin, hat 2010 das Buch „Sinn und Krise moderner Architektur. Zeitgenössisches Bauen zwischen Schönheitserfahrung und Rationalitätsglauben“ publiziert (transcript Verlag, 300 Seiten, 29,80 Euro).
Buch vom Autor: Jörn Köppler, Architekt in Potsdam und Berlin, hat 2010 das Buch „Sinn und Krise moderner Architektur. Zeitgenössisches Bauen zwischen Schönheitserfahrung und Rationalitätsglauben“ publiziert (transcript Verlag, 300 Seiten, 29,80 Euro).

Der Architekturhistoriker Julius Posener zitierte einst ein Bonmot von William Morris, einem der Väter der „Arts and Crafts“-Bewegung im späten 19. Jahrhundert. Zu ihm kam ein Freund in die Werkstatt und fragte: „Was machst Du da Schönes, William?“, woraufhin Morris antwortete: „Ich mache im Schweiße meines Angesichts ganz einfache Möbel, die so teuer sind, dass nur die reichsten Kapitalisten sie sich kaufen können.“ Was darauf architekturhistorisch folgte, ist bekannt: Die „Arts and Crafts“-Bewegung sollte sich nicht als stilbildend für die Moderne durchsetzen, sondern vielmehr das abstrakte Neue Bauen der klassischen Moderne. Dieses setzte ganz im Gegensatz zur Idee der Handwerklichkeit von Arts and Crafts ganz dezidiert auf die Industrialisierung und die „Entkunstung“ des Bauens, und dieses nicht zuletzt auch hinsichtlich der Bezahlbarkeit und damit der Demokratisierung guter Gestaltung. So schreibt Hannes Meyer im Jahr 1928: „bauen | alle dinge dieser welt sind ein produkt der formel: (funktion x ökonomie) | alle diese dinge sind daher keine kunstwerke: alle kunst ist komposition und mithin zweckwidrig. alles leben ist funktion und daher unkünstlerisch.“

Was die Protagonisten der klassischen Moderne aber wohl nicht voraussahen, war, dass die Nicht-Architekten und Bauherren diese Forderungen so wörtlich nahmen, dass wir nach mehr oder minder ungebrochener 90-jähriger Tradition abstrakt-modernen Bauens so weit gekommen sind, dass Architektur heute in der Mehrheit scheinbar genauso betrachtet wird: Als Ware unter Waren, die man wie die Wurstproduktion oder Papierherstellung in erster ­Linie ökonomisch betrachten sollte. Von dieser Ware gibt es im Sinne der ihr innewohnenden Logik nun Luxus- und Billigprodukte – was eine weitere, nicht beabsichtigte Folge von Rufen der Architekten nach Zweckrationalität und Technik nach sich zieht: dass nämlich der vermeintliche Luxus der Ware zum Distinktionsgewinn umgemünzt wird.

Dienstleistung wie beim Friseur?

Und genau in dieser Ecke ist der Mainstream zeitgenössischen Bauens gelandet. Schauen Sie sich einmal die Werbung der Autohersteller der gehobenen Preisklasse an: Luxusauto parkt gerne und oft vor neo-moderner Villa, die allmonatlich auch in den einschlägigen Architekturmagazinen abgebildet sein könnte. Das ist natürlich weit entfernt von der Idee der Demokratisierung der guten Gestaltung, der beispielsweise im Bauhaus nachgegangen wurde. Diese Idee hat, wenn man es genau nimmt, allein Ikea auf der Ebene des Produktdesigns weiterverfolgt, mit natürlich all den problematischen Folgen, wie dem Preis- und dem damit verbundenen Lohndumping. Wir Architekten aber machen doch wohl eher mit bei der Abkoppelung zeitgenössischen Bauens vom breiten Publikum und lassen uns die gewünschten Distinktionsgewinne gerne bezahlen.

Einen guten Einblick in diese Haltung bietet im Internet die Debatte zum DAB-Artikel „Haus ohne Eigenschaften“. Im Artikel sollte offenkundig deutlich gemacht werden, daß ein neo-modernes Architektenhaus einem retro-billigem Fertighaus vorzuziehen sei. Doch im Online-Forum verlangt ein Nicht-Architekt unverdrossen: „Ein Architekt ist für mich genau so ein Dienstleister wie ein Friseur. Ich erwarte eine Beratung und möchte ein Produkt das mir gefällt, für soviel Geld, wie ich zahlen will oder kann. Ich möchte nicht zu einem Produkt überredet werden.“ Selbst wenn wir uns auf den Kopf stellen, die Bauherren verlangen heute nach Produkten statt nach Werken, und wer will ihnen das verdenken, wenn wir Architekten seit 1920 unverdrossen genau das herausposaunen, dass Architektur eben nur ein Produkt sei.

So etwa Ben van Berkel von UNStudio im Jahr 1999: „Der Architekt wird der Modeschöpfer der Zukunft sein. Indem er von Calvin Klein lernt, wird der Architekt damit beschäftigt sein, die Zukunft einzukleiden.“ Und auch der öffentliche Bauherr scheint inzwischen mehr Sorge dafür zu tragen, witterungsfeste und komplikationsfreie Häuser zu produzieren, als dass er seine vornehmste Rolle als Beförderer ideell und kulturell wertvoller Bauten wahrnimmt. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass die Verfahren der öffentlichen Hand inzwischen so rigoros zugangsbeschränkt sind, dass kleine und vor allem junge Büros gar keinen Zugang mehr finden, in der gebauten Realität aber ein einfallsloser Entwurf der zugelassenen Großbüroeinheiten nach dem anderen errichtet wird? Doch wohl damit, weil in den Bauverwaltungen angenommen wird, dass diese Großbüros das am besten können: witterungsfest und komplikationsfrei bauen.

Das ist das Umfeld, in dem wir arbeiten. Und ich bekenne, ich fühle mich mehr als unwohl in diesem Umfeld. Wie stellt sich für mich selbst die Frage danach, ob gute Architektur Luxus sei? Ich muss sagen: gar nicht. Die Kategorie des Luxus ist eine ökonomische. Gute Architektur aber definiert sich aus meiner Sicht ganz jenseits solcher Fragen. Vielleicht kann ich das am besten am Beispiel der Lebensmittel erläutern. Auch in deren Herstellung ist in der Moderne der Schritt von der handwerklichen zur industriellen Produktion vollzogen worden, mit den letztlich gleichen Folgen wie im Bauen. Nur dass hier diese Folgen sich uns in vermeintlich viel drastischerer Weise aufdrängen. Sprachlos machende Schweinemastfabriken und zerschredderte männliche Küken zeugen ganz augenscheinlich von der Fehlentwicklung, die auch in diesem Bereich unserer Gesellschaft stattgefunden hat.

Doch wenn ich mich nicht täusche, gibt es im Gegensatz zur Architektur auf diesem Feld inzwischen eine bedeutsame Gegenbewegung, die dem Gedanken der Produktion von Lebensmitteln den der behutsamen Aufzucht und der respektvollen Achtung des Lebens gegenüberstellt. Wobei sich natürlich auch hier die Frage stellt, ob das zwangsläufig teurere Fleisch aus solcher Aufzucht ein Luxus ist, den sich nur die obere Mittelschicht zur Beruhigung ihres Gewissens leisten kann. Aber das ist die einzige Möglichkeit für uns, zu leben. Sich also im Sinne der eigenen Verantwortung zurückzunehmen und zu bescheiden, was im Beispiel des Fleischessens heißen könnte, das teure, aber „gute“ Fleisch nur einmal die Woche zu essen. Im Moment verbrauchen wir laut World Wildlife Fund 1,5 Erden mit der Wirtschaftsweise des auf die Spitze getriebenen Konsumkapitalismus.

Diese Art zu leben und zu wirtschaften, die Kultur des, wie der Soziologe Harald Welzer sagt, „ALLES IMMER“, ist falsch. Und sie ist hässlich, was am Beispiel der industriellen Tierhaltung jedem einleuchten mag. Der Gegenentwurf ist für mich ein Bild, das der frühere Fleischfabrikant Karl Ludwig Schweisfurth aus seiner Erfahrung als inzwischen nachhaltiger Landwirt beschreibt: Er hält Hühner und Schweine zusammen auf einer Weide, und sie scheinen von sich aus eine Art von Abkommen zu schließen: Tagsüber picken die Hühner den Schweinen die Parasiten von der Haut, dafür schlafen die Hühner nachts draußen nah bei den Schweinen, die sie vor dem Fuchs beschützen. Für mich ein unmittelbares Bild von Richtigkeit, ja, von Schönheit. Verstanden als solche Schönheit, die Hegel einst als das „sinnliche Scheinen der Idee“ beschrieb.

Und bei dem Begriff Schönheit könnten wir Architekten doch hellhörig werden. Dieses führt zurück zu den Ideen der „Arts and Crafts“-Bewegung, die eben viel mehr wollte, als ein neues Design für neue Zeiten zu entwickeln. Vielmehr wollten deren Protagonisten wie Morris und John Ruskin durch die Idee der Handwerklichkeit dem Werk, sei es ein Haus oder ein Gebrauchsgegenstand, Sinnhaftigkeit verleihen. Eine Sinnhaftigkeit, die in der Schönheit des Prozesses besteht, wenn ein Handwerker mit seinem ganzen Können und mit Freude sich im Werk verwirklicht. Dieser Ansatz war natürlich als dezidierter und von Marx inspirierter Gegenentwurf zu der Entfremdung von der eigenen Arbeit zu verstehen, der der Einzelne als Teil der industriellen Produktion ausgesetzt ist.

Das letztliche Scheitern dieser Idee hat Rudolf Schwarz sehr treffend dargestellt, als er 1951 in seiner Rede „Das Anliegen der Baukunst“ zum einen den tiefen Trost beschrieb, welcher für ihn von den Werken der „Arts and Crafts“-Bewegung beziehungsweise des Jugendstiles ausging. Zugleich aber bemerkte er das Fehlen eines entscheidenden Aspektes in ihnen: den der fehlenden Transzendenz in dieser vorrangig materiell, nur über das physische Werk gedachten Selbstverwirklichung des Menschen. Einfacher gesagt, Schwarz bemerkte den fehlenden Glauben in dieser Bewegung, „dieses Überschüssige, viel Höhere, was wir haben müssen, damit Architektur als Architektur, als Kunst realisiert werden kann“. Woraufhin er weiter fragt: „Ja, wie steht‘s nun mit uns? Haben wir dieses Überschüssige, viel Höhere?“

Ja, wie steht es mit uns? Über dieses „Überschüssige, viel Höhere“ nachzudenken, das scheint mir heute die größte Aufgabe zu sein. Vielleicht liegen die Antworten ganz nah, was wir von der Bewegung einer alternativen Landwirtschaft lernen könnten. Ist das naiv? Ist das gar kitschig? Ich denke, eher das fast schon abergläubische Festhalten an dem die Welt demolierenden, finanzmarktgetriebenen Konsumkapitalismus wäre als kitschig zu bezeichnen, denn Kitsch war immer schon nichts weiter als die Verklärung von Stumpfheit.

Aber an der Hoffnung arbeiten zu können, dass alles auch anders sein kann, mit oder ohne Auftrag, auf Papier, beim Spazierengehen, beim Lesen, Zeichnen, Denken oder auf der Baustelle, im Gespräch mit den Handwerkern – nennen Sie das Luxus, wenn Sie wollen. Es kostet nichts.

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3 Gedanken zu „Ware oder Wahrheit?

  1. Danke Herr Köppler für Ihren anregenden und jenseits von und allseits umgebenden glänzenden Oberflächen – in Realität oder auch nur in den ebenso hiochglänzenden Verkaufsprospekten – in die Tiefe gehenden Artikel.
    Bitte mehr solcher Artikel im AB!

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  2. Ich komme eben vom Einkaufen, als ich den Text von Herrn Köppler lese. Einmal die Woche brauchen ich und meine kleine Famile nämlich Nachschub. Weil ich auch bequem und faul bin, es wenig Zeit und Geld kosten soll fahre ich in den Supermarkt – einen Supermarkt wie man ihn kennt, einen mit nettem Satteldach. Der liegt direkt neben der Autobahn und auf dem Nachhauseweg. Auf den Parkplätzen liegen Kartons rum und man muss sich vorsehen, dass einen keiner in seinem feierabendlichen Drängen über den Haufen fährt.
    Routiniert greife ich in die Regale und fülle meinen Einkaufswagen – kurz bin ich irritiert, denn bei der Butter hat man die Verpackung gewechselt. Lieblos, teils aufgeplatzt liegen die Milchpackungen im Kühlregal rum und schwimmen in ihrer eigenen makellos weißen Brühe. Ich wechsle kein Wort mit den vielen anderen Einkäufern, warte an der Kasse und beobachte genervt wie ein Angestellter hastig das festgelatschte Gemüse vom Boden kratzt und es in einen Karton wirft.
    Vor mir wird endlich abgerechnet: bergeweise Fleisch und Wurst, in allen Geometrien und von allen Viechern dieser Welt rollen über das Band – für 8,50,- und da fragen Sie, Herr Köppler, nach guter Architektur?

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