Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Was sollte dringend geschützt werden?“ im Deutschen Architektenblatt 08.2023 erschienen.
Rettung für die Nürnberger Radrennbahn
Die Radrennbahn liegt ruhig und verträumt in der Sonne – vorbei die Zeiten, als über zehntausend Zuschauer begeistert den Steher-Rennen folgten. 2017 veranstaltete der Verein das letzte Rennen und verkaufte die Bahn an einen Investor. Jetzt wird um die Zukunft des Areals gerungen.
Von der Stadt zunächst nicht als Denkmal eingestuft, schien dem Abriss der Bahn und der Umsetzung eines privaten Wohnungsbaus nichts im Weg zu stehen. Die Denkmaleigenschaft wurde erst festgestellt, nachdem Bürger den Anstoß zur Prüfung durch das Landesamt für Denkmalpflege gegeben hatten. Die Recherchen zeigten, dass es sich bei der 1904 erbauten Radrennbahn um die älteste erhaltene 400-Meter-Betonbahn Europas handelt. In der Stellungnahme der Fachbehörde wurde ihre Bedeutung für die Stadtgeschichte und die Sport- und Architekturgeschichte hervorgehoben.
Eine der Besonderheiten der Bahn liegt in der extremen Kurvenüberhöhung von 47 Grad, eine der steilsten ihrer Zeit. Sie war speziell für hohe Geschwindigkeiten ausgelegt und sowohl für Rad- als auch für Motorradrennen geeignet. In Deutschland gehörte sie zu den frühesten Motorradrennbahnen überhaupt. Sie war bald eine der beliebtesten Pisten Deutschlands. Für die Fahrradhochburg Nürnberg und ihre Zweiradproduzenten diente sie viele Jahre als Teststrecke. Für den Ortsteil Reichelsdorfer Keller ist sie identitätsstiftend. So gibt es gute Gründe für Erhalt und Sanierung der Bahn. Naheliegend ist die Nutzung des Areals für Sport und Gastronomie, als Veranstaltungsort mit Ausstellungsflächen für die Fahrrad- und Motorradgeschichte. Am Reichelsdorfer Keller würde so eine lebendige Ortsmitte entstehen, kombiniert mit einem überregional attraktiven Kulturprojekt.
Nicht jedes Denkmal offenbart dem Betrachter seine Bedeutung auf den ersten Blick. Und nicht für jedes Denkmal liegt eine Nutzungsmöglichkeit unmittelbar auf der Hand, die gleichzeitig finanziell lukrativ scheint. Aber das rechtfertigt nicht den Abriss und die Vernichtung. Vielmehr sollten Denkmäler mit versteckten Werten als Aufforderung verstanden werden, sich mit der Geschichte zu befassen und ihre Bedeutung durch eine kreative Nutzung in die Gegenwart zu transportieren.
Dr. Dorith Müller, Biologin, Nürnberg
Moderne Gotteshäuser erhalten
Die modernen Kirchen ab den 1960er-Jahren, die Freiheit und Demokratie in einer zeitgemäßen Sprache demonstrieren und den christlichen Glauben losgelöst von vergangenen Zeiten des Kirchenbaus erschließen.
Ulrich Hachmann, Architekt, Warendorf
Bautechniken und Handwerkskunst bewahren
Handwerks- und Baukunst, die heute nicht mehr ausgeübt wird. Einmaliges Design und Gestaltung. Bautechniken, die heute oder in Zukunft keiner mehr beherrscht, während Menschen damals mit dem Material und der Umwelt umzugehen wussten. Wo Menschen auf die Natur hörten und von ihr lernten. Wo Menschen mit Sachverstand und Umsicht wirkten.
Achim Mayer, Architekt, Mühlacker
Gesichtslosigkeit verhindern
Gebäude, die noch nicht gesellschafts- und altersmäßig übergreifend konsensfähig wertvoll sind. Die alten, heruntergekommenen Bauten, das „alte Gelump“, oder die unbequemen Zeugnisse historischer und städtebaulicher Entwicklungen benötigen die sorgfältige Prüfung und fachliche Behandlung, die so gerne einer scheinbar besseren – wirtschaftlichen und gewinnversprechenden – Nutzung von Grundstück und Bausubstanz geopfert wird.
Die Marginalisierung oder gar Ausschaltung der Denkmal-Fachbehörden in manchen Bundesländern dokumentiert die Gefahr zunehmender geschichts- und gesichtsloser Städte. Es bleibt die Hoffnung, dass die aktuelle Ressourcenknappheit und Kostenexplosion einem vernünftigen Umgang mit der „Ressource Baubestand“ – ob denkmalgeschützt oder einfach nur alt – den Weg ebnet. Eine faire Gesamt-Energie-Betrachtung gibt dem historischen Bau seine Wertigkeit zurück.
Dr. Ursula Schirmer, Deutsche Stiftung Denkmalschutz
Bauernhäuser in den Blick nehmen
Es könnte eine Idee sein, Bauernhäuser im Außenbereich als landschaftsprägende Zeitzeugen in Zukunft mehr in den Fokus zu rücken. Das ginge dann aber einher mit einem grundsätzlichen anderen Umgang für mögliche Nutzungskonzepte. Gebäude der Mangelwirtschaft unter anderem der 50er- und teilweise 60er-Jahre sollten nur ausgewählt/kaum Berücksichtigung finden.
Henning Bökamp, Architekt, Bad Oeynhausen
Zeiten und ihre Herausforderungen verstehen
Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnten viele Menschen historistische Bauten ab. Diese Generation riss vieles ab, was wir heute bereuen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden Gebäude immer schneller gebaut und nach kurzer Zeit wieder abgerissen. Je jünger ein Gebäude ist, desto geringer seine Chance auf ein langfristiges Überleben. Diese aktuell noch nicht gesamtgesellschaftlich geschätzten Bauten benötigen Fürsprechende. Nur wenn sich heute Menschen für den Erhalt jüngerer Denkmale einsetzen, haben nachfolgende Generationen eine Chance, unsere Zeit und ihre besonderen Herausforderungen zu verstehen.
Dr. Annika Tillmann, Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL)
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