Von Roland Stimpel
Viel älter als High-Tech-Häuser ist der witzigste Film über sie: Jacques Tatis „Mon oncle“ von 1958 mit seiner futuristischen Villa Arpel, in der sich Türen verselbstständigen, Springbrunnenfische elektrisch gesteuert speien und das Vorbeihuschen des Dackels an der Lichtschranke reicht, um den Hausherrn in der Garage einzusperren. Das wurde damals belacht, und so etwas will auch 54 Jahre später niemand haben. „Smart Homes machen deutlich weniger als ein Prozent der Neubauten in Deutschland aus“, bedauert eine Studie des von der Elektro-Industrie getragenen Instituts für Innovation und Technik (IIT). Deutschlands Konsumenten kaufen Tablets von morgen, Autos mit dem Design von heute, aber sie bauen Häuser mit der Technik von gestern – Strom, Warmwasser, Heizung, Aufzug und als einzige Ausnahme ein paar Buchsen für Telefon und Internet.
Doch jetzt gewinnt die Sache an Gewicht. Denn das technisierte Haus kann gleich zwei Großtrends bedienen: Es kann beim Sparen von Energie und beim selbstständigen Wohnen von Senioren helfen. Das ändert vordergründig noch nicht viel an der Architektur und der Architekten-Arbeit: Das Wohnhaus bleibt Wohnhaus, wenn auch angereichert mit mehr Technik. Doch auf längere Sicht verschmelzen die festen Bauteile immer mehr mit den beweglichen und bewegenden Apparaten. Bediener-, Reparatur- und Erneuerungs-Freundlichkeit wird zur Entwurfsaufgabe. Von den Budgets und der Aufmerksamkeit der Bauherren fließt ein kleinerer Teil ins herkömmliche Haus, ein größerer in die Technik. Für Architekten ein Zukunftsfeld, doch noch interessiert sich nur eine Minderheit dafür.
Bei vielen Bauherren sitzt die in Jacques Tatis Film artikulierte Angst offenbar tief. Da verbinden sich rationale Vorbehalte und emotionale Abneigungen: In der lauten und beschleunigten Welt soll nicht auch noch das Haus Lärm und Tempo machen. Wenigstens die Wände mögen bitte stillstehen, mögen weder die Farbe wechseln noch mit „Multiroom-Beschallung“ nerven. Wenn auch noch Wände wackeln und reden würden – das wäre vielen eine grässliche Vorstellung. Und sie fürchten: Es würde kosten und gelegentlich kaputtgehen; man müsste zur Bedienung seiner Zimmerwand erstmal einen Kursus in High-Tech über sich ergehen lassen. Die Low-Tech-Wohnung ist dagegen eines der letzten Refugien der Ruhe, der Gleichförmigkeit und des analogen Handbetriebs. Fenster, Türen und Gardinen bedient man selbst. Kein Motor kann ausfallen; es drohen keine Wartung und kein Wechsel der Steuerungs-Software im Drei-Jahres-Takt.
Kauderwelsch mit OSGi, .NET, UPnP und KNX
Solche Vorbehalte der Kauf-Verweigerer kennt auch die Studie des von der Industrie getragenen IIT: „Aus Kundensicht ist die fehlende Verlässlichkeit im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit von neuen Lösungen ein Haupthemmnis.“ Hinzu kommen ziemlich banale Barrieren: „Angebote disqualifizieren sich häufig durch eine überzogene Preisgestaltung, die einen Einstieg in das Smart Home ausschließlich dem TopConsumer-Bereich vorbehält.“ Und selbst wer viel Geld ausgeben will, bekommt wenig Rat: „Eine wesentliche Innovationsbarriere liegt in unzureichenden Informationen über technische Möglichkeiten für Architekten und Kunden. Ebenso gibt es kaum bekannte Anlaufstellen zur Beratung.“
Da hilft es nicht, dass Technikanbieter vom elektronischen Heim vorzugsweise schillernde Farben zeigen: zum Beispiel Leuchtwände mit wechselnden Farbtönen je nach Stimmung des Bewohners, gleiche Klangfarben im ganzen Haus per „Multiroom-Beschallung“, bunte Bedienungs-Displays fürs elektronische Steuerungssystem und rote Warnsignale auf dem Handy, wenn das Fenster daheim zu lange offen steht. So etwas erscheint potenziellen Anwendern eher als Schnickschnack. Die Sprache der Anbieter hebt die Hemmschwelle noch, etwa die Vorstellung von Smart Homes in der IIT-Studie. Beim Berliner „Connected-Living-Labor“ hebt sie „Home Service Platform (HSP), Service Provider Platform (SPP) und Home Operating System aus SerCHo zur intelligenten Einbindung von Geräten in Heimnetzwerke auf Grundlage semantischer Beschreibungen“ hervor, am Duisburger „InHaus1“ die „Tele-Service-Plattform, Middleware OSGi, .NET, UPnP, KNX, Multimedia, ITC, umfassende TGA/GA-Ausstattung“.
Kein Wunder, dass die IIT-Studie zu dem traurigen Resümee kommt: „Angebote am Markt für Smart Home-Anwendungen konnten trotz vielfacher Anläufe noch keine sich selbst tragende Nachfrage generieren.“ Zumal die Fokussierung auf Komfort und Medien das Thema in den Winkel der Luxus-Spielerei schob. Jetzt aber gibt es ernsthaften Druck – ökonomischen, ökologischen und sozialen. Ein Durchbruch der Hauselektronik zeichnet sich ausgerechnet bei zwei Gruppen ab, die nicht zur Technik-Avantgarde gehören: bei Umweltfreunden, die damit ihre Energiespar-Apparate in den Griff bekommen wollen und müssen. Und bei den eher technikfernen Senioren, die mithilfe von Haushalts- und Notfallgeräten länger in der eigenen Wohnung leben können.
Ein Rattenschwanz von neuer Technik
Im Zusammenhang mit dem Energiesparen ist die Systemsteuerung zum Heizen, Lüften und Verschatten auch Architekten am besten vertraut. Doch entwickelt sich derzeit viel: Ein aktuell großes Thema ist die bessere Verteilung des Stromverbrauchs über den Tag und das Kappen seiner Spitzen, etwa durch nächtliches Betreiben von Hausgeräten oder Aufladen von Batterien. Technik kann, je nach Wetter, die jeweils optimale Energie-Erzeugung starten – mal die Wärmepumpe, mal das Windrad. Sie kann auf Schwachpunkte vom offenen Fenster bis zum Stand-by-Gerät hinweisen.
Einen Rattenschwanz technischer Anforderungen bringt paradoxerweise auch ein im Kern so einfaches Prinzip wie das des Passivhauses mit sich: Wo die Fenster geschlossen bleiben sollen, muss eine Lüftung mit nicht ganz geringem Strombedarf her. Und wo die Sonnenstrahlen im Winter eindringen sollen, braucht es im Sommer wirksame Abschirmung gegen sie. Der kann wiederum nicht von drinnen mit der Hand bedienbar sein, weil die Mechanik in der sonst gut gedämmten Hauswand eine Kältebrücke bilden würde. So etwas ist nicht nur ein Thema für Fachingenieure und Haustechniker, sondern beschäftigt Architekten von der Bauherren-Beratung über Entwurf und Vergabe bis zur oft monatelangen Einfahr-Phase, wenn das System in Betrieb genommen wird.
Einen Vorsprung hat hier als Architekt, wer einschlägige Erfahrungen mit anderen Bautypen sammeln konnte. Die Berliner Soziologin Eva Schulze, deren BIS-Institut für Sozialforschung die Smart-Home-Szene begleitet und analysiert: „In Gewerbebauten ist smarte Technik längst selbstverständlich – angefangen beim Licht, das ausgeht, wenn sich im Raum länger niemand rührt. Nur in Privathäusern gibt es sie kaum. In jedem Auto steckt mehr Technik als im Wohnhaus.“
Hier sieht auch Schulze einen Wachstumsmarkt, und zwar speziell beim „Smart Home für ältere Menschen“ – so der Titel eines von ihr mitverfassten Buchs. Da geht es laut Schulze zunächst um „die üblichen technischen Möglichkeiten: Brand-, Wasser- und Einbruchmelder, Überlaufschutz, um selbsttätige Jalousien und um Heizungen, die sich abschalten, wenn das Fenster offen steht“. Nachlassende Körper- und Geisteskräfte älterer Menschen sollen so kompensiert werden.
Utopien von gestern auf Architektur-Foren
High-Tech und Senioren – das passt scheinbar am allerwenigsten. Doch Schulze sieht in die Zukunft: „Die Mehrzahl der Erwerbstätigen kann heute mit Computern umgehen, also auch bald die Mehrzahl der Senioren. Zudem werden in 20 Jahren so viele Geräte mit Touchscreen und Sprachsteuerung ausgestattet sein, dass man einen PC mit Tastatur gar nicht mehr braucht.“ Allerdings erkennt sie ein Problem, das nicht nur reife Menschen an Smart-Home-Technik abschreckt: „Sie wird in der Regel von jüngeren Männern mit starkem Technik-Faible entwickelt. Und die können sich nur schwer in weniger kundige Nutzer hineinversetzen.“ Auch die IIT-Studie warnt vor dem Wuchern „einer überbordenden zentralen Steuerung“ und mahnt: „Die technische Ausstattung kann immer nur Mittel zum Zweck sein.“ Eva Schulze hat erlebt, dass Techniker oft sehr eigen denken: „Im Forschungsprojekt ‚Seniorengerechte Technik für den Alltag‘ hat es Jahre gedauert, bis Sozialwissenschaftler und Ingenieure sich verständigen konnten.“
Und Architekten? „Die waren nicht dabei.“ Bei vielen gibt es ähnliche Vorbehalte wie unter Nutzern: Mit High Tech gewinnt man keinen Architekturpreis und keinen Ruhm in „Schöner Wohnen“ oder „Bauwelt“. Die gebaute Hülle soll Hülle bleiben und nicht zur Maschine mutieren. Das Planen soll nicht noch komplizierter werden, Technik und Techniker sollen nicht noch mehr Gewicht gewinnen. An Deutschlands Architekturfakultäten wird das Thema „Smart Home“ nicht gelehrt; die Kammern bieten mangels Nachfrage keine Fortbildung dazu an. In Ausstellungen und Architekturzeitschriften sind gerade die Technik-Utopien aus der Ära Jacques Tatis angesagt: die Blasen von Buckminster Fuller und François Dallegret, die Großstrukturen der japanischen Metabolisten und die Wanderstädte von Archigram.
Doch allmählich beschäftigen sich mehr Architekten auch praktisch mit dem Thema – nicht zuletzt, weil es auch auf den Hausbestand übergreift. Den Einbau-Aufwand sollen Systeme minimieren, bei denen insbesondere die Schalter drahtlos mit den Geräten verbunden sind – Wände müssten in alten Häusern nicht mehr fürs Unterputzlegen aufgeschlitzt werden. Eva Schulze sieht für solche Techniken eine zunehmende Aufgeschlossenheit, auch bei Vermietern: „Unter ihnen nimmt die Konkurrenz zu. Da kann seniorengerechtes und komfortables Wohnen mit intelligenter Technik die Vermarktung sehr erleichtern.“
Smart-Home-Architekten sind lernfreudig und natürlich Technik-begeistert; ihr Fachwissen bekommen sie in der Praxis und lernen auch im Austausch mit Ingenieuren. Viele sind jung, aber nicht jeder: Einer der drei hier Vorgestellten ist 77 Jahre alt. Wie seine beiden Kollegen hat er sich mit Firmen, Instituten und Vereinen verbündet, die ihre Technik in wirklichen Bauten sehen wollten. Diese Methode ist auf dem extrem zersplitterten, unübersichtlichen Markt offenbar erfolgreicher als eine umfassende systematische Suche.
Zwangsläufig geraten die Architekten so in die Weiterentwicklung der Technikprodukte hinein, engagieren sich mal fürs Design und mal für die Einbau- und Bedienerfreundlichkeit. Da gilt ein Motto, das die Wiener Smart-Home-Entwerferin Katharina Fröch ausgerufen hat: „High- Tech im Hintergrund, aber Low-Tech für den Endverbraucher.“
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bei aller technikbegeisterung fehlt mir ein wenig die Skepsis gegenüber der absoluten Technikgläubigkeit und auch der Einsatz von ein wenig mehr gesundem Menschenverstand. Mir fehlen hier einfach ein paar skeptische anmerkungen zum immer vermehrten Einsatz von Haustechniksystemen. Jede Technik hat einen gewissen Wartungsbedarf, ist potentiell ausfallgefährdet und hat nur begrenzte Lebensdauer. Außerdem verbraucht jede Technik bei der Herstellung und im Einsatz eine gewisse Menge von immer knapper werdender Energie. Warum muß man den Fernseher oder die Kaffemaschine mit dem Handy ( notfalls auch aus Amerika) einschalten können? Warum kann man nicht selbst nachsehen ob im Haus noch ein Fenster geöffnet ist? Warum realisiert man den Sonnenschutz für Südfenster nicht vollkommen automatisch mit einem angemessenen Dachüberstand ohne jeglichen zusätzliche Technikeinsatz ? Im Einfamilienhausbereich ist aus meiner Sicht viel von der angepriesenen neuen Technik schlicht nicht notwendig. Keep it simple ! ist hier der viel mehr zutreffende Leitspruch. Steht hinter vielen dieser Technikneuerungen nicht auch das Verkaufsinteresse der Industrie ?
Von einer Fachzeitschrift wie dem Architektenblatt fehlt mit hier einfach ein wenig die gesunde Skepsis gegenüber der dargelegten Technikgläubigkeit.
Architekten/innen zur Vorstellung von Smart Home-Projekten gesucht!
Verehrtes Redaktionsteam,
hervorragend, dass Sie das Thema „Smart Home“ in Ihrem Heft aufgreifen, denn für die Fachdialoge „ZuHause 2.0“, die in 2012 in Hamburg stattfinden, suchen wir „smarte“ Architektinnen und Architekten, die ihr „intelligentes“ Bauprojekt Bauherren und Investoren vorstellen möchten.
Nach vier erfolgreichen Veranstaltungen im vergangenen Jahr, wird „ZuHause 2.0“ in 2012 zum Fachdialog ausgebaut. Standen in 2011 vor allem private Bauherren im Fokus der Events, so werden in diesem Jahr Architekten, Investoren und Entscheider aus der Wohnungswirtschaft zusätzlich adressiert. Die Ziele der Weiterentwicklung von „ZuHause 2.0“ zum Fachdialog sind zum einen, „Vernetztes Wohnen“ anschaulicher zu kommunizieren und zum anderen, die am Bau Beteiligten stärker miteinander zu vernetzen. Durch die vorangegangenen Veranstaltungen ist klar geworden, dass die Vermittlung der abstrakten Thematik am besten anhand von Best-Practice-Beispielen gelingt.
Bereits in 2011 fanden die Events im Show Office des Veranstalters Q-Data Serivce GmbH in Hamburg statt, da hier eine Vielzahl von Produkten zum Kennenlernen und Austesten vorhanden sind. Die Beratung kann also produktübergreifend und herstellerunabhängig erfolgen. Der nächste konsequente Schritt besteht nun darin, gebaute „smarte“ Wohnimmobilien detaillierte darzustellen.
Zu diesem Zweck sucht greenIMMO Architektinnen und Architekten, die ihr Wohnprojekt in einem ca. 30 – 45 minütigen Vortrag vorstellen möchten.
Für 2012 sind insgesamt vier Veranstaltungen geplant, die voraussichtlich alle im Show Office der Firma Q-Data Service GmbH in Hamburg stattfinden. Die erste Veranstaltung ist für Ende Februar 2012 anberaumt. Der Architektur-Vortrag wird ergänzt durch die Vorstellung zeitgemässer Elektrotechnik und deren Funktionsweise im Hinblick auf Energieeffizienz, Wohnkomfort, Kommunikation, Lichtsteuerung und Energiemanagement. Auf diese Weise entsteht für die Besucher ein ganzheitliches Bild von zukunftsfähigen Wohngebäuden. Vorgesehen ist im weiteren Verlauf ebenfalls, telemedizinische Aspekte für ein selbständiges Wohnen bis ins hohe Alter mit in die Dialoge einzubeziehen.
Architektinnen und Architekten, die sich als Referent/in einbringen möchten, kontaktieren bitte Frau Dagmar Hotze, greenIMMO Medienagentur für die Immobilien- und Bauwirtschaft, eMail: d.hotze@greenimmo.de