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Wenn Wände sprechen lernen

Fassaden zeigen Technik – mit digitalen Ornamenten, als wandelbare Gebäudehüllen oder als eine aufs Wetter reagierende Haut

31.12.20129 Min. Kommentar schreiben
Verwandelt Fassaden in Festplatten: ­Die Installation „Crystal Mesh“ von realities:united lässt das „Urban Enter­tainment Centre“ von WOHA ­Architekten in Singapur in unterschiedlichen Grobpixel-Mustern leuchten. Foto: realities:united

Text: Cordula Rau

Beim Thema Medien- und Hightech-Fassaden scheiden sich die Geister. Die einen sehen in ihnen die Revolution der Architektur, die anderen den Niedergang der Baukultur im Zeitalter inhaltsferner Digitalisierung. So hinterfragte Berlins früherer Senatsbaudirektor Hans Stimmann vor Jahren in diesem Blatt den Sinn und Zweck von Medienfassaden (siehe www.dabonline.de/tag/Schauseiten). Die Unwirtlichkeit der Städte werde „aktuell um eine neue Negativqualität erweitert: die großflächige Werbung auf ,Urban Screens‘, die sich frech ins Stadtbild drängen oder sich wie ein Tau auf die Oberflächen der Städte legen.“ In der Zunahme von Fassaden, die für Medien und Werbung genutzt werden, sah Stimmann eine Bedrohung der Architektur in ihrer traditionellen Rolle und spricht vom „Ornament des Kapitalismus“.

Das Deutsche Architekturzentrum in Berlin sah das Thema Medienfassaden zur gleichen Zeit weit optimistischer: „Medienfassaden eröffnen Kommunikationsmöglichkeiten im Stadtraum. Gebäude, deren Oberfläche und damit ihr Charakter verändern sich permanent, schaffen neue Beziehungen der Stadtbewohner zu ihrem lokalen Umfeld und laden zur interaktiven Mitgestaltung ein.“ Aber auch spezialisierte Büros, die sich mit Medienarchitektur befassen, äußern sich skeptisch über die Wirkung – so das Netzwerk realitylab aus Wien: „In den allermeisten Fällen scheitern Projekte nicht an den technischen Herausforderungen, sondern an den ‚human factors‘ – letztlich an mangelnder Akzeptanz durch die Benutzer.“

Das Experimentieren allein muss nicht zu einer neuen Architektur führen, sondern kann bei einem neuen Stil stehen bleiben. Diesen kann man als „Digitalen Jugendstil“ bezeichnen – das tut der Berliner Autor Andreas Ruby. Das Experiment beschränkt sich hier vornehmlich auf die formale Ebene. Einige Architekten visualisieren extravagante Formen und versuchen sich oft in oberflächlicher Manieriertheit. Produktionsprozesse in digitaler Form und parametrisches Entwerfen prophezeien jedoch mehr. Sie versprechen „intelligente“ Gebäude und damit einhergehend eine architektonische Evolution. Die Revolution in der Architektur lässt freilich auf sich warten. Trotzdem ist das Thema allgegenwärtig: Es gibt Studiengänge, Publikationen, Ausstellungen und Symposien. Zu den Vorreitern in der Praxis, die Kommunikationsmedien mit Architektur in einem Werk vereinen, zählen Diller/Scofidio, Jean Nouvel und NOX.

Licht und Materie: Fassade des Medienkunstzentrums in Cordoba, ebenfalls von realities:united. Foto: realities:united
Das Medienkunstzentrum in Cordoba bei Tageslicht. Foto: realities:united

Und nicht zuletzt realities:united, das Büro der Berliner Brüder Jan und Tim Edler. Sie erweitern Ausdrucksmöglichkeiten von Gebäuden: Sie beschränken sich nicht auf Fassadeninstallationen, sondern wollen die Technologie selbst zum gestaltbildenden Element in der Architektur werden lassen. Ihr erstes Medienfassadenprojekt war 2003 die Licht- und Medieninstallation BIX am Grazer Kunsthaus von Peter Cook. Hier gab es anfangs weder Auftrag oder Budget noch eine vergleichbare Referenz. Um auf Cooks Entwurf zu reagieren, entwarfen die Edlers eine umhüllende homogene „Haut“ mit einem System aus einzeln steuerbaren handelsüblichen Leuchtstofflampen. Das Projekt konnte in letzter Minute die Gunst des Bauherrn, der Architekten und des Museumsleiters gewinnen und wurde realisiert. Es hat sich gelohnt. Die animierte Architektur wurde mehrfach prämiert, zuletzt fast zehn Jahre nach der Entstehung auf der Media Architecture Biennale 2012 im dänischen Aarhus. Peter Cook erläuterte dazu: „Für den Grazer Bau hatten wir immer an eine Fassade gedacht, die sich irgendwie wandelt. Die Jungs von ‚realities:united‘ haben sie realisiert – mit funkelndem Glanz. Was will man mehr?“

Digitale Ornamente

2005 stellten realities:united einen Vorschlag für den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt vor. Anstatt eine zusätzliche Medienfassade außen am Gebäude anzubringen, wollte man die vorhandenen Lichtdecken vernetzen, damit der 45-stöckige Büroturm selbst zum dreidimensionalen, dynamischen Medium wird. Nachdem die letzten Angestellten abends das Gebäude verlassen hätten, hätte sich eine künstlerische Lichtchoreographie sukzessive der Fassade bemächtigt. Im Auftrag der EZB wurde das Konzept für den Hochhausneubau bis zur Ausschreibungsreife entwickelt. 2007 wurde die Realisierung jedoch aus finanziellen Gründen und Mangel an Mut gestoppt.

2009 realisierte realities:united die Installation „Crystal Mesh“ für das „Urban Enter­tainment Centre“ von WOHA Architekten in Singapur. Hier setzten Jan und Tim Edler auf die ornamentale Ausformung einzelner Lichtelemente. Die Fassade wird durch sich wiederholende Muster aus tiefgezogenen Kunststoff-Elementen gebildet. Eine Matrix aus Leuchtstoffröhren überlagert die eigenwillige Struktur und bildet ein überdimensionales Mediendisplay. Die Geometrie wird durch Durchbrechungen und Variationen in der Musterbildung verzerrt und steht damit für einen Wandel von statischer hin zu dynamischer Baukunst. Im Zuge des Planungsprozesses hat die ursprünglich von den Architekten vorgesehene Hinter-Glas-Lichtinstallation damit die Glasfassade durchdrungen und sich diese gewissermaßen einverleibt. Aus den beiden Systemen wurde eine durchlässige Schicht aus ornamental verschachtelten Kristallobjekten gebildet. Das Design des einzelnen Lampenkörpers, die statische Ornamentanordnung der Fassadenelemente und die sich dynamisch verändernde „Bildschirmmatrix“ im Inneren überlagern sich gegenseitig und stehen somit in Konkurrenz zueinander. Assoziationen mit der traditionellen, örtlichen Architektur und ornamental gearbeiteten luftdurchlässigen „Screen“-Fassaden kommen einem dabei genauso in den Sinn wie die Glühlampen-Ästhetik in den Vergnügungsvierteln des 20. Jahrhunderts.

Empfindliches Hauskleid: Die Gebäudehülle des „Media Tic“ in Barcelona, entwickelt vom Büro Cloud 9, reagiert auf Temperatur, Wind und Sonne. Foto: José Miguel Hernandez/cloud9

1319 Schüsseln im Beton

Für das Medienkunstzentrum „Espacio de Creación Artística Contemporánea“ in Cordoba planten die Spanier Nieto Sobejano Arquitectos eine künstlerische Medienfassade. Sie sollte die dem Fluss zugewandte Außenwand einnehmen. Im Planungsverlauf wurde realities:united beauftragt, diese Medienoberfläche in enger Zusammenarbeit mit den Architekten weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt für die Überarbeitung war die innere

Struktur des Gebäudes mit unregelmäßig geformten, vieleckigen Räumen. Die Geometrie im Inneren wurde auf die Fassade übertragen. Wegen ihres Umgangs mit Beton und Pixeln ist die Fassade sehr innovativ. Sie besteht aus glasfaserverstärkten Betonfertig-

elementen (GRC) und wird mit einem System aus unregelmäßig geformten, schüsselartigen Vertiefungen verschiedener Größe und Dichte überzogen. Diese Schüsseln, die in ihrer Geometrie aus dem Gebäudegrundriss abgeleitet wurden, sind individuell beleuchtet, werden dadurch zu „Pixeln“ und bilden eine künstlerische Kommunikationsoberfläche.

Die größte Herausforderung war sicherlich die Übersetzung der massiven Betonfassade in ein mediales „Display“. In der über 100 Meter langen Fassade sind 1.319 vorgefertigte sechseckige Schüsseln unterschiedlicher Größe eingelassen. Jede dient als Reflektor für das Licht seitlich integrierter weißer LED-Leuchten. Durch die individuelle Steuerung der Helligkeit der einzelnen Leuchten wird jede Schüssel zum Pixel und die Fassade zum überdimensionalen Graustufendisplay mit allerdings recht grober Körnung. Die Pixel sind wie negative Abdrücke in das Volumen des Gebäudes eingearbeitet und verwandeln den architektonischen Körper selbst zum digitalen Informationsträger. Tagsüber zeigt sich die Fassade als dreidimensionale Oberfläche im veränderlichen Licht- und Schattenspiel des Sonnenlichts und lässt keine Anzeichen der medial veränderlichen Oberfläche erkennen. Bei Nacht wird sie zu einem dynamischen und aus der Architektur abgeleiteten Kommunikationsmedium.

Die Schüsselmosaike sind in drei Maßstäben über die Fassade verteilt. Analog zur Retina des menschlichen Auges werden Teilbereiche mit unterschiedlichen „Auflösungen” und unterschiedlicher „Informationsdichte“ erzeugt. Diese konstruktive Analogie erzeugt künstlerische Freiheit. Trotz der insgesamt sehr niedrigen Auflösung der Bilder und deren Ausbreitung über die gesamte Länge der Fassade können Motive angedeutet werden. Der Entwurf geht auf die intensive Forschung im Bereich visueller Wahrnehmung zurück: Die Erkennbarkeit von extrem niedrig auflösenden Bewegt- oder Standbildern wird nur möglich, wenn das Gehirn über „Vorwissen“ verfügt. Ein Motiv, das unmittelbar vorher auf einer höher auflösenden Fläche gezeigt wurde, kann anschließend in einem extrem niedrig auflösenden Bereich gezeigt werden und behält trotzdem seine Lesbarkeit. Im Medienkunstzentrum ergeben sich für die dort arbeitenden Künstler viele Möglichkeiten zur Bespielung der Installation betrifft. Diese kann aber nicht isoliert vom Umfeld geschehen: Es gilt, eine geeignete visuelle Sprache zu finden, die die Kommunikation zwischen Kunstinstitution und Stadt ermöglicht.

Die Gebäudehaut wird wetterfühlig

Die meisten realisierten Medienfassaden sind Installationen, die künstliches Licht projizieren, aussenden oder spiegeln. Fassaden, die Form und Konfiguration ändern, sind in der Minderzahl. Einer der ersten realisierten Bauten, der sich herrschenden Klimaverhältnissen anpassen sollte, war 1987 das Pariser Institut du Monde Arabe von Jean Nouvel. Vor den Fenstern sind computergesteuerte adaptive Irisblenden angebracht, die sich ähnlich einer Kamerablende je nach Sonnenintensität verändern und damit den Lichteinfall regulieren. Das Ornament sollte traditionelle arabische Motive widerspiegeln. In der Praxis hat das System jedoch technisch nie ganz funktioniert. Immerhin ist es dekorativ.

Die meisten jüngeren Objekte werden mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien dynamisch gestaltet. Das geschieht viel öfter mit Hilfe künstlichen Lichts als nach kinetischen Prinzipien. Das katalanische Büro Cloud 9 entwarf in Barcelona das „Media Tic“, dessen Gebäudehülle auf Temperatur, Wind und Sonne reagiert. Die Fassade des energieeffizienten Gebäudes wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie besteht aus einer doppelten Hülle mit Kunststoffkissen aus Hightech-Materialien. Die über Sensoren gesteuerten ETFE-Kissen passen sich dem Sonnenstand wie die Blätter mancher Baumarten an. Die Kissen setzen sich aus transparenten Membranen und solchen mit lichtabweisender Metallbeschichtung zusammen. Die Letzteren überlagern sich bei starkem Lichteinfall und werden dadurch opak. Der besonders leichte, lichtdurchlässige Kunststoff bildet ein Mosaik aus konkaven und konvexen Dreiecken und dient vor allem der Verschattung und Wärmedämmung. Die Hülle spart dadurch Energie ein. Das Media Tic benötigt keine Klimaanlage und verbraucht 75 Prozent weniger Energie als ein herkömmliches Gebäude dieser Art. Ein weiterer „Klimaforscher“ in der Architektur ist der in Paris lebende Architekt Philippe Rahm. Er experimentiert mit dem Klima als raumgestaltendem Parameter, dem sich Form und Funktion unterordnen. Jenseits starrer Normen und rigider Vorgaben klimagerechten Bauens sucht er nach gestalterischer Freiheit und damit nach einer poetischeren Alternative zu standardisierten Gebäuden. Kürzlich entwarf er für die IBA 2013 in Hamburg sogenannte „Convective Apartments“ mit Vorhängen und drei Schichten Glas in der Fassade.

Durch die Digitalisierung entsteht auch in der Welt der Materialien eine neuartige Kultur. „Smart Materials“ reagieren auf die Reize ihrer Umwelt. Vieles spielt sich an der Oberfläche ab – im Positiven wie im Negativen.

Was die Fassade betrifft, sind überdimensionierte Werbe-Displays sicherlich nicht das Ziel. Es wäre schön, wenn wir Architekten hier weniger kommerziell denken würden.Das hat Richard Rogers auf anderer Ebene schon 1977 in Paris im Centre Pompidou (mit Renzo Piano) und auch 1986 in London im Lloyd‘s Building bravourös vorgemacht: Vereinfacht ausgedrückt, ist hier die nach außen verlegte Technik das Medium, über das das Gebäude mit seiner Umgebung kommuniziert.

Dipl.-Ing. Cordula Rau ist Architektin, Kuratorin und freie Journalistin in München (www.walverwandtschaften.de).

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