Interview: Brigitte Schultz
Herr Niebergall, Herr Lippe, Sie haben die BAK im November auf der UN-Klimakonferenz in Bonn vertreten. Ist die Präsenz von Architekten dort eine Selbstverständlichkeit?
Niebergall: Leider nein. Obwohl Architekten mit ihren Planungen erheblichen Einfluss nehmen auf Rohstoverbrauch und Emissionen, war es ein hartes Stück Arbeit, unsere Experten in einem Programm zu platzieren, in dem sich viele Staaten und noch mehr Institutionen mit ihren Interessen wiederfinden möchten.
Lippe: Es gibt eine Tendenz, Klimaschutzziele entweder durch Regulierungen und Vorschriften erreichen zu wollen oder das Heil in rein technischen Lösungen zu suchen. Demgegenüber war es uns wichtig, dem ganzheitlicheren Ansatz, den Architekten und Planer verfolgen, Gehör zu verschaffen. Im Rahmen des Architects’ Council of Europe (ACE) haben wir daran bereits lange im Vorfeld der Konferenz gearbeitet.
In welchem Rahmen konnte sich die Architektenschaft dann auf der Konferenz einbringen?
Lippe: Auf den sogenannten „Building Days“ diskutierten Architekten mit Experten aus internationaler Politik und Wirtschaft über konkrete Handlungsfelder im Gebäudebereich. Eine zweite Veranstaltung, der „Human Settlements Day“, griff übergreifende Aspekte auf, zum Beispiel die Förderpolitik in verschiedenen Regionen oder Finanzierungsfragen. Auf meinem Podium sollte nur über Wege zum CO2-neutralen Gebäude geredet werden. Ein viel zu enger Fokus!
Auf welche Weise wurde der Zusammenhang zwischen Klima und gebauter Umwelt von dieser Runde diskutiert?
Niebergall: Ich selbst saß auf einem Podium, bei dem eigentlich nur über Wege zum CO2-neutralen Gebäude geredet werden sollte. Ein viel zu enger Fokus! Wenn man nur das Gebäude im Betrieb betrachtet, kann man sich leicht einen schlanken Fuß machen. Schwierig wird es doch erst, wenn man den gesamten Kreislauf – also auch Produktion, Transport, Wartung, Erneuerung, Entsorgung – mit einbezieht.
Lippe: Ja, Ausgangspunkt war die verbreitete Ansicht, das Klima wäre ausschließlich mit Maßnahmen zur Energieezienz in den Griff zu bekommen. Dabei wird recht konservativ an Haustechnik und Dämmung gedacht. Aber für weitere Zusammenhänge, beispielsweise Gestaltung, Akzeptanz oder Quartiersstruktur, mussten wir viele erst sensibilisieren.
Niebergall: Es muss auch um die soziale Balance gehen. Was ist mit der wachsenden Anzahl von Menschen, die sich Strom- und Heizungskosten nicht mehr leisten können – oder auf der anderen Seite nach einer energetischen Sanierung die Miete nicht mehr zahlen können? Wir können nicht nur energieeffizient für die bauen, die es sich leisten können.
Wie groß ist das Bewusstsein bei den internationalen Entscheidungsträgern, was Architektenhierzu beitragen können?
Lippe: Das Bewusstsein ist eher mäßig und wird auch nicht stark unterstützt. Im Gegenteil! In einem deutschen Ministerium hieß es letztens sinngemäß: „Klimaschutz hat in erster Linie zu tun mit Wirtschaft und Finanzwelt, dann irgendwann mit dem Ingenieurwesen. Architekten spielen da eine untergeordnete Rolle.“
Niebergall: Wir müssen aufpassen, dass die Meinungsführerschaft nicht von all den Energieagenturen übernommen wird, die weltweit ein gutes Geschäft mit Labels und Zertifikaten für Niedrig- oder Null-Energie-Häuser machen und sich auch auf der Klimakonferenz in Szene zu setzen wussten. Wenn wir wirklich nachhaltig denken, muss es von der Flexibilität der Grundrisse bis zu städtebaulichen Fragen von Dichte, Durchgrünung oder Mobilität gehen. Diese Kernkompetenzen von Architekten, Stadtplanern und Landschaftsarchitekten müssen wir noch viel stärker in die öffentliche und politische Diskussion einbringen.
Inwieweit kann man auf einer globalen Konferenz spezifisch europäische oder deutsche Probleme und Lösungsansätze diskutieren?
Niebergall: Die weltweiten Unterschiede sind natürlich riesig. Während in Deutschland der Neubau, statistisch gesehen, kaum eine Rolle spielt, sind in Afrika erst sieben Prozent der Gebäude gebaut, die laut Prognosen bis 2050 gebraucht werden. Dennoch ist es möglich, sich über Methoden zu verständigen, ohne in den alten Fehler zu verfallen, dass wir Europäer der Welt zeigen, wie es geht.
Lippe: Wir haben in Deutschland und Europa viele Erfahrungen gemacht und Methoden und Handlungsmodelle erprobt, die international diskutiert werden sollten.
Hat die Klimakonferenz konkrete Folgen für den Baubereich?
Niebergall: Es wurden zumindest einige gemeinsame Schritte empfohlen. Der weltweite Datenbestand soll verbessert werden, errechneter und tatsächlicher Energieverbrauch eines Gebäudes sollen besser miteinander abgeglichen werden, um das Verhältnis von Aufwand und Nutzen beurteilen zu können. Dafür sollen gemeinsame Begrifflichkeiten und Messgrößen vereinbart werden. Zum Beispiel wird eine Basisgröße wie die Nettogrundfläche überall anders berechnet! Dass die ehrgeizigen Klimaziele ohne zielgenaue staatliche Förderung nicht zu erreichen sind, darin waren sich alle einig. Wie ambitioniert dabei die einzelnen Staaten sind, liegt freilich in deren Händen.
Lippe: Die Positionen, die im Rahmen des Expertensymposiums erarbeitet wurden, werden über die „Global Alliance for Building and Construction“, eine einflussreiche Initiative für den Klimaschutz im Baubereich, weiterbearbeitet und publiziert. Im Rahmen des ACE verfolgen wir weiter sehr aufmerksam die Entwicklungen auf europäischer Ebene.
Werden wir die Welt retten?
Niebergall: Die Welt braucht uns ja nicht. Es wird wohl eher darum gehen, uns selbst zu retten. Architekten können das natürlich nicht allein, aber in der Kommunikation mit Auftraggebern und der Öffentlichkeit und mit ihren Entscheidungen haben sie großen Einfluss und damit verbunden eine hohe Verantwortung.
Lippe: An der Wand des Dänischen Architektur Zentrums prangte vor einigen Jahren der Slogan „What if architects can change the world?“ Ich denke, dass wir das seit Menschengedenken tun. Das Leben findet in der Umwelt statt, die wir planen und bauen. Dieser Verantwortung sollten wir uns heutzutage nur wieder bewusst sein.
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