Nils Hille
„Kleine, vielfältige, schöne Antworten machen hier bei uns die gute Architektur aus, denn nur sie verbinden sich mit der Stadt“, sagt Klaus Petersen. Der Architekt spricht über Lübeck – seine Heimat, in der er mit seinem Kollegen Jens Uwe Pörksen ein gemeinsames Büro leitet. Wegen seiner „Liebe zu ihr“ führt er heute durch die Stadt. Das Sicheinfügen in die bestehende Stadtstruktur ist ihm äußerst wichtig; dezente, aber wirkungsvolle Architektur spricht ihn an: „Wenn Sie auf das Holstentor und somit auf den Eingang zur Innenstadt blicken, sehen Sie viele Häuser. Nur sieben Kirchtürme schauen aus der Menge heraus. Damit ist die Bedeutungshierarchie klar. Niemand würde größer als die Kirche bauen wollen.“
Klein, aber oho – dieses Motto zieht sich durch den Rundgang, den Petersen am äußeren Altstadtrand, an dem sein Büro liegt, beginnt. Zuerst führt er zu zwei Nobelpreisträger-Museen, deren Besuch er „nur empfehlen“ kann: das Günter-Grass-Haus, „dessen Inhalt spannender als die Architektur ist“, und einige Schritte weiter das Willy-Brandt-Haus, das Thomas Tillmann und Manfred Zill „sehr gelungen umgebaut haben“ und das nun auf moderne, museumspädagogische Weise Leben und Werk des berühmten Politikers näherbringt (siehe „Kulturell“). In seinem schlichten, sehenswerten Innenhof wurde per Kran ein Stück Berliner Mauer platziert.
Mehr Wettbewerb
Während wir die nächste Station ansteuern, erzählt Petersen begeistert vom Lübecker Gestaltungsbeirat. Das Gremium bilden Architekten, die nicht aus der Region stammen und während ihrer Amtszeit sowie bis zwei Jahre danach nicht in Lübeck bauen dürfen. Der Beirat soll die Qualität der Architektur verbessern; fast alle größeren Bauvorhaben müssen von ihm genehmigt werden. „Das kann ich jeder Stadt nur raten, denn es hat eine weitere positive Wirkung: Viele entscheiden sich nun für Wettbewerbe, dann müssen sie nicht durch den Rat.“ Die Anzahl der Ausschreibungen ist dadurch gewachsen.
Wir sind in der Fußgängerzone angekommen, in der auch eine kleine Veränderung für eine große Wirkung sorgte. Das 85 Meter lange und nur acht Meter schmale Kanzleigebäude von 1485 hat der Lübecker Klaus Mai an vielen Stellen öffnen können. Kleine Ladenlokale und Cafés mit Außengastronomie, die nun darin angesiedelt sind, „haben zu einer enormen Belebung des Stadtraums geführt“, so Petersen.
Bis zu den 80er-Jahren hatte die Hansestadt gar keine Fußgängerzone, dann ließ sie der damalige Bausenator Hans Stimmann, ein Sohn der Stadt, gestalten. Heute soll sie durch den Wettbewerb „Mitten in Lübeck“ weiter gestärkt werden, den Petersen und Pörksen gemeinsam mit Trüper Gondesen Partner Landschaftsarchitekten gewinnen konnten. Ein Projekt ist der lebhaft diskutierte Neubauvorschlag am Schrangen mitten in der Stadt. Bis ins 19. Jahrhundert hat es an dieser Stelle Häuser gegeben, nun befürchten die Kritiker zu viel Enge. „Die Diskussionen um diesen Ort halten schon seit 20 Jahren an. Dies war auch der Auslöser, das Lübecker Architekturforum zu gründen“, erklärt Petersen. Mit zahlreichen Vorträgen, Ausstellungen und Diskussionen in jedem Jahr versuchen die ehrenamtlich engagierten Architekten, auch heute mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen und ihre Arbeit zu erklären.
Am Rathausmarkt erläutert Petersen nun die neusten zwei Veränderungen an der großen Stadtkirche, die im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört und dann wieder aufgebaut wurde. Das Westportal von Dannien Friedrich und Partner aus verzinktem Stahl, das nur zu besonderen Anlässen geöffnet wird, und sogar die dezenten Sanitäranlagen von Petersens Büro passen sich gelungen in die nordische Backsteingotik ein. „Ich kann jedem nur die Führung durch die Gewölbe der Kirche empfehlen. Sehr beeindruckend“, so Petersen.
Nicht für Klamotten
Auch in unmittelbarer Nähe faszinieren ihn einige Details. Ein vom Markt einsehbares gläsernes Treppenhaus des Rathauses lohnt den Blick. Auch der Innenhof des Gebäudes ist sehenswert, meint Petersen. „Gebogene Scheiben und Mosaik an der Fassade der Läden und Cafés geben hier diesem nach oben offenen Raum eine besondere Atmosphäre.“
Nicht zufrieden ist er dagegen mit einer anderen Seite des Marktes. Das Peek-und-Cloppenburg-Modehaus von Christoph Ingenhoven fügt sich für ihn nicht recht in die Stadt ein: „Das ist gut gemachte Architektur, wirkt aber an diesem Ort zu präsent und zu laut.“ Für Petersen passen hier Bedeutung und Form nicht zusammen: „Wäre darin ein Museum für die Hanse,
dann wäre es schon stimmiger.“ Leichte Bauchschmerzen hat er auch bei der wenige Meter entfernten neuen Einkaufsmall „Haerder Center“, deren Fassade Auer und Weber aus Stuttgart und München gestalteten. „Ihre Arbeit bis zur Dachkante ist sehr fein. Doch der vom Bauherr platzierte Technikraum auf dem Dach sieht aus wie eine Scheune. Das Gebäude um 20 Prozent in der Masse zu reduzieren, hätte ihm ebenfalls gutgetan.“
An der nächsten Station stimmen die Proportionen wieder. Das mittlerweile mehrfach ausgezeichnete Wohnprojekt von Sigrid Morawe-Krüger und dem Büro Steffens Meyer Franck bietet Menschen aller Altersgruppen ein innerstädtisch besonderen Raum zum Leben. Die zum Innenhof ausgerichteten Häuser führen sie im begrünten und verwinkelten Gemeinschaftsbereich zusammen. Da passt es nur zu gut, dass Petersen an diesem Ort vom Umgang mit den anderen Lübecker Architekten spricht. „Wir haben einen kollegialen Zusammenhalt zwischen den Büros, trotz der auch hier herrschenden Konkurrenz.“
Kirchen(bau)kunst
Von den Pfeilern sind noch die Stümpfe zu sehen. Auch einige weitere Reste unserer nächsten Station, der 1843 abgebrannten Klosterkirche, sind zu erkennen. Alle wurden in die vor fünf Jahren fertiggestellte Museumserweiterung der Kunsthalle St. Annen integriert. Konermann Siegmund aus Hamburg haben den dreischiffigen Grundriss aufgenommen und neu interpretiert. „Von der hiesigen modernen Kunst gibt es einen Zugang zum Museum St. Annen mit Schwerpunkt Mittelalter“, sagt Petersen (siehe „Kulturell“).
Der Weg führt weiter zum Dom, dem zweiten prägnanten Kirchengebäude der Innenstadt, bei dem ebenfalls ein Blick ins Innere lohnt. „Da haben sich früher Bischof und Bürger einen Wettstreit geliefert, wer am höchsten baut“, erzählt Petersen – der Geistliche hat verloren. Auch der im Krieg ausgebrannte Dom wurde wiederaufgebaut. In den letzten Jahren mussten Rettungsmaßnahmen der Statik helfen. Der Bau bewegte sich auseinander. Weiter geht es ans Wasser, das die Altstadt umgibt – und auf dem Weg dorthin zu den vielen kleinen Ganghäusern, die dem Stadtteil einen besonderen Charme verleihen. Hier sitzen die Menschen im Sommer mit Tischen und Stühlen draußen und hängen ihre Wäsche zum Trocknen auf Leinen an den Fluss. Das wirkt beschaulich und dient den Touristen als idyllisches Fotomotiv.
„Böse Zungen behaupten, dass die dafür Geld bekommen“, lacht Petersen und läuft durch einige Gänge, die versteckt in unscheinbaren Öffnungen der Gebäudefronten liegen und zu weiteren Häusern und wunderbar idyllischen, grünen Innenhöfen führen. „Die sind öffentlich, sollten aber mit dem nötigen Respekt gegenüber den Bewohnern bestaunt werden.“ Leider kommen die flussnahen Häuser nicht ohne Hochwasserschutz aus, der aber nur beim genauen Betrachten vor allem in den Eingängen sichtbar ist. „Bei Ostwind bringt die hereindrückende Trave immer wieder Überschwemmungen“, erzählt Petersen.
Auch diese Gegend in der westlichen Altstadt ist stadtplanerisch aufgewertet – ebenfalls von Petersen Pörksen und Trüper Gondesen Partner, doch hier zudem mit Heske Hochgürtel Lohse. Wo früher nur Parkplätze waren, wurde nun ein Kompromiss gefunden. Flexible Poller halten im Sommer den Weg für Fußgänger frei und im Winter für Autos. Sitzmöglichkeiten, ein Wasserfeld und ein Spielplatz, der am Thema Schiffsfracht orientiert ist, „bieten eine unglaublich gute Atmosphäre“, so Petersen, der hier auch letztes Jahr die Fußgängerbrücke bauen konnte. Ihre Konstruktion war eine Herausforderung für das Büro. Nur sechs Prozent Neigung durfte sie haben, um behindertengerecht zu sein, andererseits mussten die Ausflugsschiffe darunter durchpassen.
Wasserwerke
Instrumente auf dem Rücken sind bei den Brückennutzern keine Seltenheit. Das Bauwerk verbindet die beiden Teile der Lübecker Musikhochschule miteinander. Auch Petersen führt hinüber und empfiehlt deren Umbau auf der anderen Seite. Sein Kollege Kuno Dannien ließ in die bestehende Holstentorhalle auf zwei Etagen Proberäume, ein Musikstudio sowie Hörsäle einbauen. Die neuen Räume wirken wie reingestellt, da sie die Wände der Halle nicht berühren. „Dadurch kommt die Dachkonstruktion mit den Holzbögen, die sich innen einmal komplett durchziehen, wie bei einem Kirchenschiff richtig zur Geltung“, sagt Petersen.
Am Holstentor, Lübecks Wahrzeichen, vorbei führt der Weg nahe dem Wasser weiter zu drei Bauten der letzten 15 Jahre. Zuerst erreichen wir das Dienstgebäude der Deutschen Bank von ASW aus Hamburg, die mit der Wellenform gearbeitet haben – dieses Motiv nimmt mit seinen geschwungenen Hecken auch der Freiraum von Trüper Gondesen auf. Fünf Jahre älter ist die Aufstockung einer Büroetage des danebenliegenden SAS-Office durch Ulrich Schünemann. „Das war zunächst nur ein Hotelkomplex, der mit den vorderen Pfählen im Wasser steht. Das neue Geschoss mit den gebogenen Dächern hat sein Gesicht verändert“, so Petersen. Als Nächstes sehen wir die wiederum fünf Jahre vorher entstandene Musik- und Kongresshalle von gmp. Auch diese nimmt das maritime Thema auf, spielt mit einer Schiffsarchitektur über Metaphern wie eine Gangway.
Es zieht Petersen zur letzten Station: Ein Stück weiter am Wasser, hier Hansahafen genannt, stehen die Media Docks, geplant von Mai Zill Kuhsen mit Tillmann und Nieschalk, ausgeführt von Peter und Jan Gröpper. Das ehemalige Lagerhaus wurde lange als Silobetrieb genutzt. Heute dient es als „European Campus for Digital Media“ mit einem Unternehmenspark, einem Gründerzentrum und Räumen für Veranstaltungen. „Hinter die alte Holzfassade wurde eine neue aus Glas gestellt. An der Stirnseite ist ein Aufbau entstanden“, erklärt Petersen – eine große, deutliche Veränderung, mit der er an dieser Stelle zufrieden ist. Denn auch hier stimmt die Verbindung zur Stadt.
Kulinarisch
Ristorante Roberto Rossi im Schabbelhaus Zwei ehemalige Kaufmannshäuser mit Mobiliar aus Museumsbeständen wurden zu einer Gaststätte, die nicht nur italienische Küche bietet.
Restaurant VAI Gehobene Gastronomie in ansprechendem Ambiente, in der Hüxstraße nahe dem Markt.
Arcaden-Café Niederegger Direkt am Marktplatz gelegenes, von Lübecks berühmtem Marzipanhersteller betriebenes Café.
Entspannend
Ganghäuser In einigen Häusern der Altstadt sind Ferienwohnungen mietbar. Unterschiedlicher Komfort.
Hotel an der Marienkirche Kleine Unterkunft, neu renoviert im skandinavischen Design, mitten in der Hansestadt.
Radisson SAS Hotel</strong Viersterneherberge direkt an der Trave gegenüber der historischen Altstadt.
Kulturell
Museum und Kunsthalle St. Annen
Spätgotische Klosterarchitektur mit einer besonderen Sammlung sakraler Kunstwerke, ergänzt durch einen Erweiterungsbau, der Kunst nach 1945 Platz bietet.
Willy-Brandt-Haus Ausstellung zum Leben und Vermächtnis des Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers, von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung.
Theater Combinale Freies Theater „nah am Zuschauer und nah an der Zeit“. Das Theatergebäude liegt in einem malerischen Hinterhof und wurde um 1900 als Freikirche gebaut.
Erlebenswert
Diverse Termine unter www.architekturforum-luebeck.de
Buchtipp
Architektur Forum Lübeck e.V.
Architekturführer Lübeck
Der Stadtführer zeitgenössischer Architektur zeigt 51 sehenswerte Projekte der Hansestadt, mit praktischer Klappkarte.
12,50 Euro, Eigenverlag
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