Exklusive Wohnanlagen findet man in deutschen Metropolen zunehmend in ehemaligen Bürogebäuden, manchmal sind es ganze Stadtquartiere. Die Nachfrage nach innerstädtischem Wohnraum steigt; zugleich stehen in den Städten konstant zwischen sechs und zehn Prozent der Büros leer – meist ältere Gebäude, die substanziell noch in Ordnung sind, aber deren Grundrisse und Ausstattung nicht mehr den heutigen Ansprüchen von Büronutzern genügen. So wird in Köln derzeit einer der landesweit bekanntesten Bürokomplexe zu einer First-Class-Wohnanlage umgebaut, der angeblich teuersten der Rheinmetropole: Das legendäre Gerling-Quartier, ein separater Kosmos von 4,6 Hektar in bester Innenstadtlage, hatten der Firmengründer Robert Gerling und sein Sohn Hans von den 1930er-Jahren bis in die 1960er als repräsentativen Konzern-Verwaltungssitz errichten lassen, bestehend aus einzelnen Gebäuden mit Rasterfassaden aus Naturstein und Muschelkalk – monumental, kühl und mit reichlich neoklassizistischen Anklängen.
Nach dem Auszug Gerlings entstehen derzeit exklusive „Maisonetten, Stadtwohnungen und Townhouses“, die „für die Erfüllung individueller Wohnträume“ sorgen, wie es auf den Seiten des Unternehmens Immofinanz heißt, das seit 2012 Bauherr ist. Für den Umbau des 4,6 Hektar großen Areals entwickelte das Kölner Büro kister scheithauer gross (ksg) den Masterplan und die Piazza und war an der Planung und Realisierung von insgesamt acht Gebäuden beteiligt. Daneben war eine Phalanx renommierter Architekturbüros tätig: Steidle aus München, Kahlfeldt aus Berlin, Petzinka Pink aus Düsseldorf sowie HPP aus Düsseldorf. Sie erneuern den Bestand und verdichten das Ensemble mit sechs Neubauten und Aufstockungen. Sie haben dabei aber vor allem darauf zu achten, dass das im Wesentlichen nachkriegsmoderne Erscheinungsbild des selten einheitlichen Komplexes bewahrt bleibt. Der repräsentative Duktus eines Konzernsitzes ist in diesem Fall ein entscheidender Faktor auch für die Wohnungsvermarktung – hier mit teils fragwürdigem historischem Hintergrund, bis hin zu Skulpturen von Hitlers vormaligem Lieblingsbildhauer Arno Breker. Die Exklusivität verdankt sich aber auch der Lage in der Innenstadt.
Das zentrale Gerling-Hochhaus, 1953 von Helmut Hentrich entworfen, haben ksg für die Umnutzung bis auf das Stahlskelett zurückgebaut, statisch ertüchtigt und um modernen Brandschutz und Wärmedämmung erneuert. Die besondere Herausforderung lag in diesem Fall darin, Denkmalschutzauflagen mit Aufgaben der Statik, der Klimatechnik und zum Teil neuer Erschließung zu verbinden. Das Gros des ersten Bauabschnitts ist nun fertiggestellt. In der sogenannten Südspange, dem zweiten Bauabschnitt, bauen derzeit unter anderem Ortner & Ortner aus Berlin zwei Gebäude zu Wohnungen und einem exklusiven Hotel um. Für Sofia Mello und Shidoukhz Shalapour, den beiden Projektverantwortlichen bei Ortner & Ortner, gehen die Herausforderungen beim Umbau in zwei Richtungen: „Auf der einen Seite ist das Büroraster von 1,50 Meter eigentlich nicht ideal für Wohnungsschnitte; Kompromisse sind unvermeidlich.“ Auf der anderen Seite habe der Denkmalschutz – dies gilt für das gesamte Quartier – die für diesen Wohntypus erwartbaren Balkone untersagt, um das ruhige äußere Erscheinungsbild nicht zu stören. Die Konsequenz für die Architekten: „Wie beim Hochhaus werden wir auch hier die weniger auffallenden Loggien einsetzen, die jedoch gegenüber Balkonen keinen wirklichen Nachteil bedeuten.“ Rund die Hälfte der Fläche wird auch künftig für Büros genutzt werden.
Halbkreise für die Mittelschicht
Ein zweites großes Umwandlungsprojekt läuft 40 Kilometer rheinabwärts in Düsseldorf. Hier stand der 32.000 Quadratmeter große Bürokomplex des „Thyssen Trade-Centers“ leer, nachdem der Konzern mit Krupp fusioniert und seinen Hauptsitz nach Essen verlagert hatte.
Binnen zwei Jahren wurde er in 340 Wohnungen plus dreizügiger Kindertagesstätte und einem Supermarkt für die Nahversorgung umgewandelt. Die Besonderheit an diesem Projekt: Nicht Eigentumswohnungen entstehen im sogenannten „Living Circle“, sondern für 1.300 Menschen Mietwohnungen in einem mittleren Preissegment. Für 20 Prozent – ursprünglich war von 30 Prozent die Rede – wird von den Eigentümern sogar eine Quadratmeter-Kaltmiete von 8,50 Euro garantiert; der Durchschnittspreis aller Wohnungen liegt bei 11,50 Euro. Möglich wurde dies, weil die ehemalige Büroanlage günstige Eigenschaften für eine Umwandlung bot: Der Komplex ist von 1991 und hatte schon einen recht hohen Brandschutz-Standard. Die Statik erlaubte eine relativ flexible Aufteilung auch in kleinere Einheiten: Die Geschosshöhen sind mit knapp 3,50 Metern lichter Höhe im Erdgeschoss und 2,85 Metern in den oberen Geschossen für eine Wohnnutzung ebenfalls ausreichend. Hinzu kamen die vorhandene Tiefgarage mit mehr als 450 Stellplätzen sowie nicht zuletzt die interessante Gebäudeform eines Halbkreises, der sich stufenförmig auf sieben Geschosse erhöht. Sie gab dem Objekt nicht nur den klingenden Namen, sondern den vier Entwicklern und Erwerbern auch die Möglichkeit, mit einer weniger stereotypen Wohngebäudeform zu werben. Die Form erforderte zwar Anpassungen im Inneren, erlaubt aber eine gemeinsame Nutzung des noch zu begrünenden Innenhofs. Außerdem wurden nach Abbruch vorgelagerter Pavillonbauten kleinere Vorgärten für einige Maisonettewohnungen angelegt.
Aufwendiger waren hier die Erschließung und die Fassadenentwicklung. Der Bestand hatte sechs Treppenaufgänge; jetzt musste deren Zahl verdreifacht werden. Und die charakteristische durchgehende Verglasung haben die verantwortlichen Düsseldorfer Architekten konrath und wennemar grundlegend verändert, Vermauerungen vorgenommen und neue Balkone angebracht. Letzteres verursachte großen Aufwand: Die Brüstungen, an denen die Balkone hängen, sind statisch tragend. Die Grundfarbe der Gebäude ist Weiß; im Erdgeschoss hat man dunkle Klinkerscheibchen verwendet und an anderen Stellen verschiedenfarbigen Putz aufgetragen.
Das Umfeld ist allerdings noch etwas gewöhnungsbedürftig. Die unmittelbare Umgebung dominieren glasverspiegelte Bürogebäude im postmodern angehauchten Stil der 1980er- und 1990er-Jahre, die kaum Charme ausstrahlen. Für Kenner findet sich in der Nachbarschaft immerhin die Haniel-Großgarage von Paul Schneider-Esleben, eine architektonische Nachkriegs-Ikone. In der weiteren Nachbarschaft soll ein Park entstehen. Es ist noch offen, ob die Originalität der Gebäudeform sich mit der unübersehbaren Kleinteiligkeit des Ensembles auf engem Raum verträgt. Gerade dieser Versuch verleiht diesem Wohnprojekt einen experimentellen, bei Gelingen modellhaften Charakter.
Frank Maier-Solgk ist Publizist zu Architektur- und Kulturthemen in Düsseldorf
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