Einfache Nutzbauten ohne Denkmalstatus, die heutigen Anforderungen nicht genügen, werden oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt oder gleich ganz abgerissen. Beim Umbau eines Rinderstalls macht eine Innenarchitektin mit puristischem Mut vor, wie man solchen Relikten gerecht wird
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Land-Loft“ im Deutschen Architektenblatt 02.2020 erschienen.
Von Ulrich Höhns
Zwölf Millionen Rinder leben in Deutschland, davon etwa zehn Prozent im nördlichsten Bundesland. Sie stehen nicht mehr in kleinen Ställen für wenige, sondern in großen Laufställen für Hunderte und mehr Tiere, oft auf Spaltenböden. Bauten, die dieser modernen Landwirtschaft mit ihrem Rationalisierungszwang und Expansionsdrang nicht mehr genügen, sind aus der Nutzung gefallen. Dieses Schicksal teilt selbst ein berühmter Bau wie Hugo Härings funktionalistischer Kuhstall von 1924 auf Gut Garkau.
In der Regel nehmen solche Geschichten keinen guten Ausgang, vor allem dann nicht, wenn es sich um einfache Nutzbauten ohne Denkmalstatus handelt. Sie stehen leer, einige verfallen, andere werden entweder bis zur Unkenntlichkeit umgebaut oder verschwinden aus dem Dorf- und Landschaftsbild.
Beim ehemaligen Rinderstall in Süsel aus dem Jahr 1920, der mit seiner schlichten langen Form und dem hohen Satteldach eher wie ein technischer Bau wirkt, war es anders. Unweit der Ostsee inmitten der Holsteinischen Schweiz gelegen, umgeben von einem kleinen und einem etwas größeren See, ist er ein Baustein einer Dreiseit-Hofanlage. Gemeinsam mit einer Scheune flankiert er das zentral gelegene Wohnhaus der Landwirtsfamilie, die hier weiterhin lebt. Die stille Anmut des Anwesens hat dazu beigetragen, dieses raumbildende und an Erinnerungen reiche Ensemble nicht preiszugeben, sondern einen Teil davon neu zu nutzen.
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Das Potenzial eines Schlichtbaus
Die Form des bereits seit Jahren ungenutzten Stalls wurde bei seinem Teilumbau zu einer dreigeschossigen Wohnung nicht verändert. Die neue Wohnung belegt nur den westlichen Kopfteil des Gebäudes, unten mehr als die Hälfte der Grundfläche, oben weniger. Der Rest besteht weiter so, wie er war, und wurde lediglich gesichert. Ob er später einmal ebenfalls umgenutzt wird, ist offen. Bereits vorhandene Fenster- oder Türöffnungen wurden bei den schmalen Formaten weitgehend und im Obergeschoss vollständig beibehalten. Die Kleinteilung der ursprünglichen Metallfenster gab die für den Umbau zuständige Innenarchitektin Henrike Becker auf Wunsch der Bauherrin allerdings auf und baute stattdessen Holzfenster mit breiteren Rahmen und einer Vierer-Sprossenteilung ein. Sie stehen im Kontrast zu den ungeteilten Fenster-Türen im Erdgeschoss und zwei übergroßen, bodentiefen Fensterelementen an der West- und Südseite des Hauses mit sichtbaren hellen Stürzen, die sich im roten Backsteinmauerwerk scharf abzeichnen.
Relikte aus dem Stall
Der helle, minimalistische Loft-Charakter der Wohnung tritt vor allem im hohen Erdgeschoss mit seinen weiten Ausblicken in die Landschaft und auf den See in Erscheinung. Der großzügig fließende Raum wird nur von einer historischen, nun geschlämmten Trennwand geteilt, die den Wohn- und Küchenraum vom Essbereich abgrenzt. Der Fußboden besteht hier – wie auch oben im niedrigeren, kombinierten Schlaf-, Bad-, Ankleide- und Arbeitsraum – aus einem geschliffenen, hellen Estrich. In den offenen Badbereichen des Erdgeschosses, die sich einen sublimierten „Stallcharakter“ erhalten haben, wurde ein lebhaft strukturierter Naturstein verlegt. Relikte aus der Stall-Zeit sind die einfachen Brettertüren, die einläufige, schlichte Holztreppe oder das teilweise sichtbare, nun weiß gestrichene Dachtragwerk. Alle anderen Materialien, Oberflächen und Verkleidungen, vom Estrich über die von innen mineralisch gedämmten Wände bis zu den Decken, sind neu und ergeben ein homogenes und weitgehend auch gewünscht monochromes Bild, das dank der Fußbodenheizung von keinem Heizkörper gestört wird.
Die Wahrung der Form
Die Innenarchitektin Henrike Becker arbeitet häufiger im ländlichen Raum, auch außerhalb Schleswig-Holsteins, und entwickelt dabei ähnliche puristische Räume und Formen innerhalb historischer Kontexte. Das Süseler Beispiel wurde nach ersten Publikationen und dem Gewinn des deutschen Innenarchitekturpreises 2019 zu einem ihrer Renommierprojekte, das Anfragen nach sich zog. Es ist jedoch nicht typisch für ambitionierte Umbau- und Umnutzungsprojekte auf dem Land. Denn der Ausgangspunkt, mit dem ihre Bauherrin und sie es hier zu tun hatten, war ein überaus schlichter, auf den ersten Blick kaum wahrnehmbarer landwirtschaftlicher Bau.
Für ihn gilt im Grundsatz nichts anderes als für architektonisch und kulturell bedeutendere Bauten. Es geht zuerst darum, deren grundsätzliche Eignung für eine Umnutzung zu prüfen, um Lösungen zu finden, die, wie hier, dann auch sehr frei von historischen Bindungen entwickelt werden können. Es ist wichtig, gewachsene räumliche Zusammenhänge zu wahren, möglichst viel vom Ur-Bau zumindest als Form zu sichern und zugleich die neue Nutzung selbstbewusst und klar erkennbar zu implementieren. In Süsel wurde diese Chance genutzt, einem einfachen Zweckbau eine neue Bestimmung zu geben, sein Raumpotenzial optimal zu nutzen und dies ablesbar zu gestalten, ohne die Form des Hauses und damit der gesamten Hofanlage preiszugeben.
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Bravo,
ein feines, gelungenes Projekt!