Hohe Materialkosten, unsichere Energiepreise, Handwerkerknappheit, Inflation, immer teurere Baugrundstücke und viele Auflagen: Damit sind noch nicht mal alle Hindernisse für günstigen Wohnungsbau aufgelistet. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, um die Auswirkungen der Krise kreativ auszubalancieren. Etwa, indem wir rationaler planen und uns auf das Wesentliche konzentrieren.
Dabei sollten wir aber auch unsere Planungsgewohnheiten ändern, ungewöhnliche Lösungen suchen und etablierte Standards und Schemata hinterfragen. An anderer Stelle kann wiederum eine Rückbesinnung auf in Vergessenheit geratene Bauprinzipien sinnvoll sein.
Weniger Fläche und weniger Material
Wenig Fläche, wenige Materialien und einfache Konstruktionen bedeuten auch weniger Kosten für den Bau und später zur Deckung der Heiz- und Wartungskosten während der Nutzungsphase, sowie auch – sollte irgendwann der Lebenszyklus des Gebäudes zu Ende gehen – beim Abriss. Unabhängig von wirtschaftlichen Schwankungen, bleibt Reduktion immer ein einfaches und effektives Mittel gegen unkontrollierbare Baukosten.
1. Tiefgaragen vermeiden und Flächenverbrauch für Parkplätze reduzieren
Eine Familie, ein Auto: Das war das fordistische Modell, das zum Symbol des Wirtschaftsbooms in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. 2019 standen bundesweit je 1.000 Einwohner 569 Pkw zur Verfügung. In Berlin waren es 2023 aber nur noch 278 und auch die Zahl der Autofahrten sinkt zumindest in den Großstädten. Car-Sharing, quartiersbezogene Mobilitätskonzepte, ein gut ausgebauter ÖPNV und eine sichere Fahrrad-Infrastruktur machen den privaten Autobesitz obsolet. Man wird also nicht länger für jede Wohnung einen Stellplatz brauchen.
Die 2022 eingeführte Stellplatzverordnung NRW ist zum Beispiel ein großer Schritt zur Reduktion der nachzuweisenden Stellplätze. Werden projektbezogene Mobilitätskonzepte eingeplant, sind noch weniger Stellplätze möglich. Auch viele Kommunen haben bereits mit einer Anpassung ihrer Stellplatzsatzungen reagiert. In den Stadtstaaten Hamburg und Berlin sind für Wohnungen in der Regel gar keine Parkplätze mehr nachzuweisen.
Zum Kostenfaktor wird das Thema Stellplätze, weil insbesondere Tiefgaragen teuer und ressourcenintensiv sind. Sie erfordern einen erheblichen Aufwand an Erdarbeiten und große Mengen an Stahl, Beton und technischer Gebäudeausrüstung. Beim Geschosswohnungsbau tragen Tiefgaragen im Durchschnitt zu 20 bis 30 Prozent der gesamten Baukosten bei. Am Ende ist der Einspareffekt doppelt: Der gewonnene Raum (etwa durch den Verzicht auf Rampen) kann sinnvoller genutzt werden und die gesparten Kosten in andere Maßnahmen fließen.
2. Nebenräume bündeln und gemeinsam nutzen
Die Nutzfläche sollte nicht länger der wichtigste Faktor für den Wert einer Wohnung sein, sondern die tatsächliche Wohnfläche und deren Qualität. Wenn möglich, sollte auf einen Keller verzichtet werden, da dieser – ähnlich wie eine Tiefgarage – einen bedeutenden Kostenfaktor darstellt. Stau- und Wirtschaftsräume sollten also möglichst oberirdisch liegen und dabei so klein wie möglich gehalten werden. Bei größeren Wohnkomplexen könnten technische Anlagen, Hausanschlüsse und Abstellräume in einem gemeinschaftlich benutzten Nebenbau am Rande der Anlage angeordnet werden.
3. Einfacher und mit weniger Materialien bauen
In einem Vortrag von 2019 rechnete der Architekt und Bauingenieur Werner Sobek vor, dass jeder Deutsche durchschnittlich circa 490 Tonnen Baustoffe „besitzt“ (die Hälfte davon Infrastruktur und die andere Hälfte Hochbau) (3). Hinzu kommt der Aufwand für den Bau, die Wartung und irgendwann die Entsorgung. Daher lautet die Herausforderung für die Zukunft: „Mit weniger Material für mehr Menschen bauen“.
Im Allgemeinen kann man Folgendes sagen: Je mehr Wandschichten und technische Ausrüstung zum Einsatz kommen, desto mehr verschiedene Gewerke sind involviert. Das verursacht Schwierigkeiten bei der Koordination der Gewerke untereinander und hat Folgen für die Bauzeit und für die Kosten – auch im späteren Betrieb. Hinzu kommt der Fachkräftemangel in vielen Bauberufen, sodass zukünftige Reparatur- und Wartungsarbeiten nicht durchgeführt werden können.
Mit seinem Projekt „Einfach Bauen“, beweisen der Münchener Architekt und Professor Florian Nagler und seine Mitarbeiter anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen sowie von gebauten und bewohnten Forschungshäusern, dass es heute noch möglich ist, einfach und nachhaltig zu bauen: das heißt mit Holz oder monolithisch mit Ziegeln oder Beton und ohne gewaltige technische Gebäudeausrüstung (zu den Ergebnissen und zu den weiteren Forschungshäusern lesen Sie hier einen Beitrag).
4. Über das Dämmen hinaus denken
Für den Wärmeschutz braucht man nicht immer und überall unbedingt eine dicke Dämmschicht. Auch mit sehr dicken, monolithischen Wänden einerseits oder andererseits mit zweischichtigen Konzepten mit thermischen Pufferzonen (zum Beispiel in einem Zwischenraum hinter einer Verglasung oder Polycarbonat) lassen sich gute Ergebnisse erzielen.
Auch ausreichend Speichermasse im Gebäude, eine Orientierung entsprechend der Himmelsrichtung und die Wahl der für den spezifischen Fall richtigen Bautypologie können den Wärmeschutz begünstigen und die erforderliche Menge an Dämmstoffen erheblich reduzieren (je nach Bauvorhaben um etwa 30 bis 40 Prozent).
5. Vorteile der Serie nutzen
Ab einer bestimmten Größe eines Wohnungsbaus ist eine industrielle Vorfertigung eine sehr effiziente Methode, um die Baukosten niedrig zu halten. Die Vorfabrizierung von Bauteilen (zum Beispiel Wänden, Decken, Fassadenelementen oder Raummodulen) in einer Werkhalle bietet Schutz vor Wettereinflüssen und begünstigt eine exakte Verarbeitung – besonders bei Anwendung von computergestützten Verfahren.
Das serielle Bauen kann nicht nur Qualitäts-, Zeit- und Kostenvorteile beim Bau bringen, sondern auch in der weiteren Lebensphase des Gebäudes, wenn Bauteile erneuert oder ersetzt werden müssen. Das Leitprinzip lautet dabei: Die Bauteile sollten möglichst einfach wieder trennbar sein.
6. Mit Laubengang erschließen
Die Bautypologie „Laubenganghaus“ geriet in den letzten Jahren aus der Mode – auch weil sie oft mit negativen Bildern von sozialem Wohnungsbau assoziiert wird. Tatsächlich bietet sie aber viele Vorteile für einen kostensparenden Geschosswohnungsbau: Mit oft nur einem Aufzug und einem oder zwei Treppenhäusern können viele Wohnungen erschlossen werden. Wenn es das Grundstück erlaubt, kann die Zahl der Wohneinheiten beliebig variiert werden. Dabei erhalten alle Wohnungen eine beidseitige Belichtung und Belüftung. Da Laubengänge meist an der Außenluft liegen, reduziert sich außerdem das zu beheizende Raumvolumen.
Laubenganghäuser werden oft wegen zu wenig Privatsphäre kritisiert, weil man vom Gang in das Innere der Wohnungen blicken kann. Doch dem kann planerisch begegnet werden, etwa mit einer Bepflanzung vor den Fenstern oder sogar mit kleinen Lufträumen, die den Laubengang zu einer Art Brücke werden lassen. Alternativ kann auch eine größere Vorzone (zum Beispiel mit einer Sitzgelegenheit oder einer Abstellmöglichkeit) geschaffen werden, die entweder als Übergangsraum zwischen öffentlich und privat oder (wenn gewünscht) als Kommunikationsraum dient.
Die Laubengänge im "Tübinger Regal" sind nicht nur eine effiziente Erschließung, sondern sie werden auch als Aufenthaltsfläche genutzt. Dafür sorgen, ....
Laurian Ghinitoiu
7. Grundrisse flexibel und nutzungsneutral halten
Nur noch ein kleiner Teil der Haushalte besteht heutzutage aus der klassischen vierköpfigen Familie. Die Haushalte sind im Durchschnitt kleiner geworden, mit nur drei, zwei oder sogar einem einzigen Mitglied. Entsprechend geraten die traditionellen Wohnungsgrundrisse mit starrer Zimmeraufteilung aus der Mode. Vielmehr wünschen sich viele Bewohner heute ein freies und flexibles Raumkonzept, das sich an sich ändernde Bedürfnisse anpassen lässt. Nur Nassräume – die aus bautechnischen Gründen von Trennwänden umschlossen sind – sollten nach wie vor einen festen, im Idealfall geschossübergreifenden Kern bilden. Auch für die Platzierung der Küchen bestehen entsprechende Zwänge, meist aus der Leitungsführung.
Familien oder Wohngemeinschaften dürften sich aus Gründen der Privatsphäre sicherlich weiterhin abschließbare Räume wünschen. Wenn diese aber möglichst nutzungsneutral (also zum Beispiel als Schlafzimmer, Wohnzimmer oder Arbeitszimmer funktionieren) und ähnlich groß sind, lassen sich spätere Umnutzungen leichter realisieren. Sind die Innenwände aus nicht tragendem Trockenbau ist aber auch das Versetzen von Wänden möglich.
Besonders bei kleinen Haushalten können bewegliche Raumteiler (zum Beispiel Faltwände, modulare Regalsysteme, Vorhänge) für eine Zonierung sorgen und auf kleiner Fläche den Eindruck unterschiedlicher Zimmer vermitteln. Darüber hinaus wird die durch den Verzicht auf feste Innenwände ersparte Konstruktionsfläche als zusätzliche Nutzfläche gewonnen, mit entsprechendem Gewinn im Verhältnis zwischen Brutto- und Nettofläche von etwa acht bis zehn Prozent.
8. Zu Eigenleistung animieren
Auch die Eigenleistung der Bewohner kann die Baukosten senken. In den sogenannten Ausbauhäusern“ erhalten die Bewohner eine Wohnung im Rohbau und übernehmen den Endausbau zum großen Teil selbst (zum Beispiel Trockenbau, Innentüren, Bodenbeläge, Malerarbeiten). Gesellschaftlicher Nebeneffekt: Aufgrund der tendenziell kürzer werdenden Wochenarbeitszeiten (zum Beispiel 4-Tage-Woche) dürften viele Menschen eine bauliche Selbsthilfe nicht nur als kostensenkende, sondern auch als sinnstiftende Tätigkeit empfinden.
Schlussbetrachtungen
Die aktuell kritische Situation der Bauwirtschaft muss nicht nur als Hürde betrachtet werden. Sie könnte auch eine Gelegenheit zur Einführung neuer Lösungen und zur Beseitigung von überholten Vorstellungen darstellen.
Dazu braucht man aber das Zusammenwirken von Planern, Behörden, Investoren und Bürgern. Die von der Politik bereits aufgegriffene Idee der Architektenkammern für einen Gebäudetyp-e könnte einen freien Raum schaffen, bei dem – unter bestimmten Umständen – alle beteiligten Akteuren das Ziel kostengünstigen Bauens und Wohnens mit wenig Aufwand und ein bisschen weniger Baubürokratie erreichen würden.
Dr.-Ing. Andrea Contursi ist ein zur Zeit in Düren (NRW) ansässiger Architekt und Architekturforscher. Dieser Beitrag ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung einer Untersuchung zu „Kostengünstigem Wohnungsbau zu Krisenzeiten“. Die vollständige Fassung kann auf der Website des Autors kostenfrei heruntergeladen werden.
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