Cordula Rau
Sind Hochhäuser zukunftsfähig? Es ist bekannt, dass ihr Aufwand zur Lüftung, Kühlung und Beheizung größer ist als der von niedrigeren Bauten. Tragende Teile und die Infrastruktur von Aufzügen und Leitungen nehmen große Flächen in Anspruch. Doch in der Gesamtenergiebilanz haben Hochhäuser auch Vorteile. Wo sie gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen sind, ersparen sie täglich Tausende von Autofahrten, die bei dezentral verteilten Bauten angefallen wären. Weniger Boden wird versiegelt; die Räume werden oft effizient genutzt; für Büroarbeiter wie Bewohner ist relativ wenig Fläche zu heizen und zu kühlen. Wenn es sich nicht um sehr schlanke Türme handelt, haben Hochhäuser oft im Verhältnis zu ihrer Größe relativ geringe Außenwandflächen und stets nur minimalen Wärmeverlust durch Dach und Fußboden.
Am augenfälligsten ist der Effekt in den USA: Der Durchschnittsbürger im Suburb- und Highway-Land setzt jährlich fast 20 Tonnen CO2 frei. Löbliche Ausnahme sind die New Yorker mit nur sieben Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Sie leben oft in kleinen, gestapelten Apartments, bewegen sich per U-Bahn oder zu Fuß zum Job und sitzen auch dort umweltschonend eng. Und erst recht in den Megastädten von Wachstumsländern wie China, Indien und Brasilien gibt es zu Hochhäusern keine Alternative.
Deren ganzheitliche Betrachtung muss vieles einbeziehen: Herstellung, vorhandene Infrastruktur und Flächenversiegelung, Gebäudequalität, Investitions- und Betriebskosten, Behaglichkeit und schließlich die Entsorgung des Gebäudes, aber auch Standort und Städtebau, also das Umfeld des Gebäudes. Besonders reizvoll erscheint die Kombination von Wohnen und Arbeiten im selben Haus, und das inmitten der Stadt. Aber sie ist kein Erfolgsgarant: Gerade Großstädter wechseln häufig ihre Jobs und Wohnungen, aber selten beides gleichzeitig.
Origami für den Klimaschutz
Bei einer verdichteten Bauweise des Gebäudes und der Stadt stellt sich natürlich immer die Frage der Ver- und Entsorgung. Erneuerbare Energien, thermische Kollektoren und Geothermie reduzieren den Primärenergiebedarf. Über dezentrale gebäudeintegrierte Kläranlagen lässt sich die Entsorgung mit der Energieerzeugung koppeln. Ausgeklügelte Fensterlüftung und Sonnenschutzvorkehrung, dezentrale mechanische Lüftung und natürlich unterstützte Lüftung runden den ganzheitlichen Ansatz ab.
Schon fordern mehr und mehr Wettbewerbe nachhaltige Hochhäuser – sogar im Energieverbraucherland China. Vor Kurzem wurde dort das Ergebnis des Wettbewerbs „Internationales Energiehaus“ in Shenzen bekannt. Das dänische Büro BIG erhielt zusammen mit Transsolar und Arup den ersten Preis und damit den Auftrag, die Zentrale der Shenzen Energy Company mit 96 000 Quadratmetern in 200 Meter hohen Türmen zu bauen. Die Fassade ist gefaltet wie ein Origami-Kunstwerk und weist geschlossene wie relativ offene Bereiche auf. Das tropische Klima der Region ist bei der Planung berücksichtigt: Die geschlossenen Teile blockieren das direkte Sonnenlicht. An der Außenseite sind sie mit Solarpaneelen verbunden, die die Klimaanlage versorgen und die Luftfeuchtigkeit der Arbeitsplätze sicherstellen. Die geplante Kombination von aktiven Solarpaneelen und reduziertem Sonneneintrag soll den Energieverbrauch gegenüber herkömmlichen Häusern um 60 Prozent senken.
Hoch hinaus mit Holz
Neues gibt es auch bei Konstruktion und Materialien. Besonders im Holzbau ist inzwischen ein wahrer Wettbewerb um die Geschosszahl ausgebrochen. Manche Bauten erscheinen auf den ersten Blick als reine Holzkonstruktionen, bei anderen ist es kaum sichtbar. Denn oft liegen gerade im Verbund mit anderen Materialien besondere Stärken. In Europa gehören Deutschland, Österreich und die Schweiz zu den Pionierländern. So tat sich die Firma Renggli aus dem schweizerischen Sursee mit zunächst viergeschossigen Büro- und Wohnhäusern hervor; inzwischen erlaubt dort der Brandschutz auch sechs Geschosse. In Berlin überzeugt der mehrfach preisgekrönte siebengeschossige Bau von Tom Kaden und Tom Klingbeil.
Seine Deckenelemente in wirtschaftlichem Holzbetonverbund ermöglichten durch ihre Schlankheit bei vorgegebener Traufhöhe eine zusätzliche Etage. In dem Haus gleicht keine Wohnung der anderen, jedes Geschoss hat einen individuell geplanten Grundriss. In London steht seit wenigen Monaten der neungeschossige Murray Grove Timber Tower aus großformatigen Kreuzlagenholzplatten, ein Luxuswohnprojekt aus dem Büro Waugh Thistleton. Selbst Treppenhaus und Fahrstuhlschacht sind aus Holz; nur das Erdgeschoss ist aus Beton. Der Bau erhielt im britischen „EcoHomes“-Rating den „Excellent“-Standard – auch für sein klares Unterbieten der thermischen und schalltechnischen Anforderungen.
Massivholzbauten erzielen oft beste Ökobilanzen. Der nachwachsende, müllvermeidende Baustoff weist als einziger bei der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eine Plusenergiebilanz auf. Theoretisch reicht die im Holz enthaltene Energie für die Herstellung und Errichtung von zwei bis drei gleichen Holzhäusern, inklusive der Herstellung und Errichtung aller anderen Baustoffe wie Fensterglas, Metallverbindungen und anderer erforderlicher Materialien. Zudem hat sich Holz inzwischen fast zu einem Hightechbaustoff entwickelt, der als einziger in tragender wie in dämmender Funktion eingesetzt werden kann.
Das Unternehmen Rhomberg Bau mit Sitz in Bregenz arbeitet gerade an einem buchstäblichen Leuchtturmprojekt für nachhaltigen urbanen Holzbau. Sein interdisziplinäres Forschungsteam entwickelt ein energieeffizientes Holzhochhaus in Systembauweise mit bis zu zwanzig Geschossen, genannt „LifeCycle Tower“. Beteiligt sind der Vorarlberger Architekt Hermann Kaufmann als Experte für mehrgeschossigen Holzbau und das weltweit tätige Ingenieurbüro Arup. Ein Holzbaukastensystem soll alle Anforderungen an Brandschutz, Akustik und Tragfähigkeit erfüllen.
Das Haus produziert zusätzlich Energie und soll auch sonst den Stahlbetonbau übertrumpfen: Nadelholz ist erheblich leichter als Beton. Vorfertigung und Montage von Fertigteilen sind deutlich günstiger als beim konventionellen Bau. Als Deckensystem dient beim LifeCycle Tower eine Stahlbeton-Holz-Verbundkonstruktion. Damit kann Brettschichtholz statt Kreuzlagenholz verwendet werden, zudem erfüllt die Stahlbetonschicht die Anforderungen des Brand- und Schallschutzes. Wegen der Verwendung des Baustoffs Holz erwartet das Team eine hochklassige Zertifizierung nach DGNB, LEED und ÖGNB.
Sonnenenergie über dem Polarkreis
Im äußersten Nordosten Norwegens gibt es eine weitere spektakuläre Holzhochhausplanung: In dem 5 000-Einwohner-Städtchen Kirkenes nahe der russischen Grenze soll das „Barentshaus“ mit siebzehn Stockwerken entstehen. Initiiert ist es vom Barents-Sekretariat, einer Agentur der norwegischen Regierung für Europas Nordrand in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Sie verwendet dasselbe Wort wie Rhomberg Bau in Österreich, wenn sie von einem „Leuchtturm für die Entwicklung der gesamten Region“ spricht. Nutzer sollen neben dem Sekretariat selbst ein interdisziplinäres Forschungszentrum, eine Bücherei, ein Theater und ein Kongresszentrum sein.
Der Architekt Reiulf Ramstad aus dem Büro RRA in der 2 000 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo meint: „Der Bedarf ist dennoch nicht fiktiv, sondern reell.“ Im extrem dünn besiedelten Norden will er ein neues Raumbewusstsein fördern: „Norweger sind es gewohnt, viel Platz zu verbrauchen – für Flure, Treppenhäuser, Einzelbüros. Dagegen setzen wir auf verdichtete Vertikalität.“ Im Haus sollen Leimholzelemente und massive Fichtenholzlamellen kombiniert werden; selbstredend soll das Haus CO2-neutral sein. Brauchwasser soll als Wärmequelle genutzt und mit dem Fensterglas die Sonnenenergie aufgefangen werden – jedenfalls von Frühling bis Herbst, wenn die Sonne in Kirkenes tagsüber höher steht als das Haus.
Dipl.-Ing. Cordula Rau ist Architektin und freie Journalistin in München.
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