Christine Mattauch
Eine Privatschule, die mit Sondergenehmigung mitten in einem Industriegebiet betrieben wird. Ein Restaurant in einem unsanierten früheren Postgebäude, dessen Gäste in einer weißen Bettenlandschaft sitzen. Eine Bauherrengemeinschaft, die in einem alten Arbeiterviertel einen Neubau mit dem Namen „Smart Homing“ wagt. Eine sanierte Allee mit Fahrradwegen, deren Bäume Bestandteil eines Kunstprojekts sind.
Von den vier Projekten finden sich zwei in New York und zwei in Berlin. Es fällt schwer zu erraten, welches Projekt in welcher Stadt angesiedelt ist, und allein das zeigt, dass die amerikanische und die deutsche Metropole eine Menge gemeinsam haben. „Die Aufwertungsprozesse von Quartieren mit Erneuerungsbedarf verlaufen ähnlich“, sagt Sophie Stigliano, die sich als Leiterin der Ausstellung „Berlin-New York Dialogues“ im New Yorker Center for Architecture intensiv mit dem Thema befasst hat. Doch die Wege sind sehr unterschiedlich, meint der Stadtplaner Ron Shiffman, Gründer des gemeinnützigen New Yorker Pratt-Zentrums für Stadtentwicklung. „Berlin und New York haben sehr unterschiedliche Planungskulturen und -traditionen“, erklärt er. Shiffman war seit 1961 mehr als ein Dutzend Mal zum Erfahrungsaustausch mit deutschen Architekten in Berlin. Einen der größten Unterschiede sieht er in der Lenkungsrolle, die die öffentliche Hand in Deutschland spielt: Es gibt viel mehr behördliche Vorgaben und Auflagen, die das Stadtbild prägen.
Ganz anders das Erscheinungsbild von New York, wo ein weitgehend ungeordnetes Nebeneinander verschiedenster Bauformen und -stile existiert. Die öffentliche Hand mischt sich dort vergleichsweise wenig ins Baugeschehen ein. Zwar gibt es seit 1916 Vorschriften zur Höhe und zur Größe von Gebäuden, das sogenannte „Zoning“, das die Stadt außerdem in Wohn-, Geschäfts- und Industriegebiete unterteilt. Aber eine städtebauliche Entwicklungsplanung wie in Deutschland sucht man vergebens. „Es gibt nicht einmal einen Masterplan“, sagt Shiffman. Immerhin existiert seit Kurzem eine politische Vision: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg will die Stadt bis zum Jahr 2030 zur ersten nachhaltigen Metropole des 21. Jahrhunderts machen. Unter anderem sollen über eine Million Bäume gepflanzt, preiswerter Wohnraum für 500 000 Menschen geschaffen, Bahn- und Busnetze modernisiert und über 3 000 Hektar kontaminiertes Brachland recycelt werden.
Das mögen wichtige Leitlinien sein
Die konkrete Quartiersentwicklung jedoch wird, anders als in Deutschland, nicht als öffentliche Aufgabe angesehen. Riesige Areale werden komplett von finanzkräftigen privaten Bauherren und ihren Architekten überplant (siehe nächste Doppelseite). In Deutschland würden bei derart großen Vorhaben sicherlich Architektenwettbewerbe ausgeschrieben, in New York hingegen ist dieses Instrument nahezu unbekannt. Es gibt keine Ausschreibungstradition und erst recht keine Regeln dafür. Als vor rund einem Jahr auf Betreiben der Architektenorganisation AIA der erste Wettbewerb für ein Hausprojekt in der südlichen Bronx ausgelobt wurde, war das ein hart erkämpfter Durchbruch.
Bemerkenswerte Unterschiede gibt es auch in Hinblick auf die Bürgerbeteiligung. In den USA ist ein aktives und auch finanzielles Engagement für die Nachbarschaft sehr viel selbstverständlicher als in Deutschland. Und während sich deutsche Bürgerinitiativen traditionell eher gegen Vorhaben richten, sind amerikanische Organisationen eher für etwas. Viele Anstöße für Projekte kommen „von unten“. Im New Yorker Stadtteil Chelsea etwa schlossen sich Nachbarn zusammen, um die Erhaltung der „Highline“ zu erreichen, einer fast 2,5 Kilometer langen historischen Bahntrasse. Die Stadt als Grundstückseigentümerin hat sich das Projekt inzwischen zu eigen gemacht und im April 2006 den Grundstein für eine Promenade gelegt. Zuweilen treten Behörden sogar als Sponsoren für private Projekte auf wie bei dem „South Bronx Greenway Project“: Eine Initiative will erreichen, dass eine Landzunge in der Bronx zu einem Park mit Fuß- und Radwegen gestaltet wird, und hat dafür bereits 28,5 Millionen Dollar gesammelt. Einer der Geldgeber: das Amt für Wirtschaftsförderung.
Bei allen Differenzen…
…gibt es auch interessante Parallelen. Beispiel Bauen am Wasser: Berlin entdeckt das Spreegelände als Entwicklungsraum, New York realisiert die enormen Potenziale seiner ehemaligen Hafengebiete. Noch sind diese leicht verwahrlosten Gebiete mit ihrem schroffen Charme und den niedrigen Mieten Schutzräume für Künstler und andere Kreative, aber schon setzt die Aufwertung ein: Luxussanierungen, trendige Restaurants, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. „Das ‚Terrain Vague’ wird in beiden Städten nach und nach zerstört“, klagt Shiffman. Was passiert mit der Szene, lässt man sie weiterziehen oder versucht man, sie in den Aufwertungsprozess zu integrieren? Und wer ist „man“? „In Berlin würden die Leute traditionell nach dem Staat rufen, in New York würde sich normalerweise eine Non-Profit-Organisation gründen. Aber vielleicht geht’s ja auch mal andersrum.“
Die Ausstellung
„Berlin-New York Dialogues“ läuft bis 26. Januar in Manhattan und ab 7. März 2008 im Deutschen Architekturzentrum in Berlin.
Christine Mattauch ist freie Journalistin in New York.