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Zuhörraum: von Studierenden geplant und gebaut

Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn die Menschen einander zuhören würden –
davon ist der Verein „momo hört zu“ überzeugt. Ein fein detaillierter Pavillon, entworfen und ­gebaut von Architekturstudierenden der TU München, liefert nun den perfekten Ort dafür.

Von: Alexander Russ
Alexander Russ schreibt über Architektur und über die kreativen Köpfe...

09.01.20255 Min. Kommentar schreiben
Ovaler Pavillon mit Aufschrift Zuhörraum und lindgrüner Holzverkleidung auf einem städtischen Platz mit Kopfsteinpflaster.

Eine kleine Rampe führt in den Zuhörraum, der sich einladend, aber auch beschützend präsentiert.
Matthias Kestel

Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Raum zum Zuhören“ im Deutschen Architektenblatt 01-02.2025 erschienen.

Mit dem „Einsamkeitsbarometer 2024“ stellte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Mai eine Studie zur Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland vor. Das Fazit: „Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Während der Pandemie hat dieses Gefühl stark zugenommen“, so Ministerin Lisa Paus.

Verein aus ehrenamtlichen Zuhörern

Das Thema beschäftigt auch den Münchner Verein „momo hört zu“, der ein bewusstes und bewertungsfreies Zuhören vermitteln und verbreiten will. Architektonisch manifestiert sich das in einem sogenannten Zuhörraum am Stephansplatz, direkt beim alten Münchner Südfriedhof.

Dort bieten die ehrenamtlichen Zuhörerinnen und Zuhörer schichtweise einen Espresso und ein offenes Ohr für alles, was ihnen die Passanten zu erzählen haben. Dabei betreibt der Verein keine professionelle Seelsorge. Stattdessen steht eine urteilsfreie, kommunikative Wertschätzung des Gegenübers im Vordergrund.

Halbrunder kleiner Zuhörraum mit Holzzwänden und geschwungener roter Sitzbank

Die Sitzecke ist erhöht und strahl dadurch noch mehr Geborgenheit aus.
Matthias Kestel

Vier Entwürfe für den Zuhörraum

Die kostenfreien Zweiergespräche finden in einem kleinen Pavillon statt, der von Architekturstudierenden der TU München am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren von Professor Florian Nagler entwickelt wurde. Unter der Projektleitung von Ferdinand Albrecht und Matthias Kestel fertigten sie in Zweierteams insgesamt vier Entwürfe an.

Ausgewählt wurde das Projekt von Josef Egelseder und Philipp Konrad, ein etwa sieben Quadratmeter großer Raum mit halbkreisförmiger Ausbuchtung auf einer der Längsseiten. Eine kleine Rampe führt ins Innere, das sich in einen Vorderbereich mit Cafétheke und eine Sitzfläche im hinteren Bereich aufteilt.

Geschützter Raum mit einladender Geste

Als Zonierung dienen zwei Stufen. Der Sitzbereich liegt etwas höher, wobei eine umlaufende Bank aufgrund des Höhenversprungs übergangslos zur Theke mit darauf platzierter Espressomaschine wird. Sie folgt der Kurve des Halbkreises und schafft so eine umarmende Geste.

Beim Gespräch fühlt man sich unwillkürlich von der Architektur geborgen. Gleichzeitig bietet das gegenüberliegende ovale Fenster einen Blick hinaus in die Stadt. Dadurch setzt das Projekt die Dialektik zwischen einladender Geste für zufällige Begegnungen und geschütztem Raum für die anschließend stattfindenden Gespräche optimal um. Besonders die vertikale Fassadenlattung aus hellgrün lasierter Lärche verleiht dem fein ausformulierten Bau einen spielerischen und einladenden Charakter.

Grundriss des Münchner Zuhörraums

Der kleine Zuhörraum teilt sich im Innern auf in einen Vorderbereich mit Cafétheke und eine geschwungene Sitzfläche im hinteren Bereich.
Josef Eglseder, Philipp Konrad

Von Studierenden als Design Build Projekt realisiert

Das Projekt entstand im Rahmen des TUM DesignBuild, bei dem Studierende Entwürfe tatsächlich bauen können. Ursprünglich Teil des Lehrstuhls für Entwerfen und Holzbau, wurden hier seit 2006 zunächst Bauten im Rahmen der Entwicklungshilfe realisiert. Mittlerweile gibt es auch Projekte in Deutschland wie den Ausstellungs- und Veranstaltungspavillon 333 im Münchner Kunstareal.

Für den Zuhörraum als neuesten Zugang absolvierten die Studierenden im Vorfeld einen Workshop, der den Ansatz von „momo hört zu“ erklärte. Anschließend testeten sie verschiedene Szenarien an Arbeitsmodellen, wie etwa ein angemessenes räumliches Verhältnis von Nähe und Distanz während des Gesprächs.

Eigenarbeit von der Bodenplatte bis zum Dach

Nach der Auswahl des finalen Entwurfs bauten sie den Zuhörraum gemeinsam in der Design-Factory 1:1, einer von der TU bereitgestellten Werkstatthalle. Dabei wurde alles in Eigenarbeit erstellt – von der Bodenplatte über die Wände und Fenster bis zum Dach.

Der kleine Pavillon setzt sich konstruktiv aus tragenden Dreischichtplatten zusammen, deren Holzoberfläche im Innern sichtbar belassen wurde. Darauf sind ausgedämmte Vollholzständer angebracht, an denen die Wetterschale befestigt ist. Den prägnanten Halbkreis fertigten die Studierenden aus einzelnen Wandsegmenten, die auf ihrer Rückseite in regelmäßigen Abständen eingeschnitten sind und so gebogen werden konnten.

Seitenansicht des Münchner Zuhörraums mit großem ovalen Fenster und lindgrüner Holzfassade

Zimmer mit Einsicht: Der kleine Zuhörraum, hier an seinem ersten Standort am Rand der Münchner Altstadt, ermöglicht nicht nur Selbstreflexion im Gespräch, sondern er ist auch für Passanten einsehbar.
Matthias Kestel

Zweiter Zuhörraum mit mehr Dämmung und Fußbodenheizung

Mittlerweile gibt es einen zweiten Pavillon, den das SOS Kinderdorf Schwarzwald für sich nutzen wird. Hier wurde die Dämmung von sechs auf zwölf Zentimeter erhöht. Hinzu kommt eine Lehmschüttung im Boden, in der eine elektrische Fußbodenheizung verläuft. In München übernimmt das ein in den Raum gestellter Heizlüfter.

Beide Pavillons passen aufgrund ihrer Dimensionen und des Gewichts auf einen Autoanhänger und sind so transportabel.

Zuhörraum steht dauerhaft am alten Südfriedhof

Tatsächlich befand sich der Zuhörraum in München zuerst am Rand der Altstadt, wo er für eine temporäre Nutzung vorgesehen war. Matthias Kestel erzählt: „Ursprünglich war geplant, den Zuhörraum für maximal drei Monate an einem Ort stehen zu lassen und dann immer wieder an eine neue Stelle im Stadtraum zu transportieren. Seine dauerhafte Platzierung am alten Südfriedhof zeigt, dass das Konzept funktioniert und ein Bedarf nach Austausch vorhanden ist.“

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