Claas Gefroi
Zwischennutzungen sind seit geraumer Zeit ein wichtiges Planungsinstrument für Urbanisten, Stadtplaner und Projektentwickler. Hamburg ist in Deutschland ganz vorn dabei. Schon vor Jahren entwickelte zum Beispiel das örtliche Kultur- und Planungsbüro überNormalNull die „kulturelle Sukzession“ als Stadtplanungsstrategie für die Hafencity.
Das Spezifische des Ortes sollte aufgegriffen und kulturell durchdrungen, die Bevölkerung dabei frühzeitig einbezogen werden. Mit künstlerischen Aktionen, einer Bestandsaufnahme des Vorhandenen, der Umnutzung bestehender Gebäude und schließlich der sukzessiven Entfaltung neuer städtischer Strukturen sollte eine Alternative zu der herkömmlichen Masterplan-Mentalität aufgezeigt werden. Die HafenCity GmbH zeigte sich interessiert und pickte das für sie Passende heraus: temporäre Kunstprojekte, die die Terra incognita auf die städtische Landkarte bringen sollten. Das ist wunderbar gelungen. Künstlerische Arbeiten stellten Aufmerksamkeit für das Projekt Hafencity her. Doch von der Aneignung bestehender Gebäude oder der Entwicklung neuartiger Stadtstrukturen ließ man lieber die Finger. So verkümmerten Zwischennutzungen zu einer neuen Methode des Stadtmarketings.
Nun hat Hamburg ein weiteres, ungleich komplexeres Stadtentwicklungsprojekt: die Internationale Bauausstellung (IBA) und die Internationale Gartenschau (IGS) 2013 in Wilhelmsburg auf der Elbinsel zwischen Norder- und Süderelbe. Die IBA hat sich nicht weniger als die entscheidenden Zukunftsfragen der Metropolen auf die Agenda gesetzt: Wie tritt man dem Klimawandel entgegen? Wie können die Städte die Globalisierung meistern und zugleich ihre Traditionen erhalten? Wie können Städte ökonomisch erfolgreich sein und zugleich Ort für alle Kulturen und Schichten bleiben?
IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg setzt dabei stark auf die in Wilhelmsburg allerorten zu spürenden Bruchstellen und Kontraste. Der Stadtteil ist von einem teilweise unversöhnlichen Nebeneinander unterschiedlichster Areale geprägt: traditionelle kleinbürgerliche Wohngebiete, Hafen-, Industrie- und Logistikflächen, Verkehrsschneisen, aber auch unberührte Naturreservate. Weil weder Hafen- noch Naturräume überplanbar sind, werden die Zwischenräume und Nahtstellen als Experimentierlabore interessant. Hier, in den blinden Flecken oder „inneren Stadträndern“, kann eher Neues ausprobiert werden als in den funktional festgelegten und stark genutzten Gebieten.
So weit, so bekannt. Schon die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet setzte erfolgreich auf zeitlich begrenzte künstlerische Interventionen, um brachgefallene oder ungenutzte Areale sichtbar zu machen und zu stimulieren. Doch Hellwegs Ansatz geht weiter. Für ihn sind selbst vermeintlich langfristige Nutzungen räumlich und zeitlich begrenzt. Der Hafen ist beispielsweise ein solcher Transformationsraum, denn er ist einem ständigen Wandel unterworfen: Alte Flächen werden aufgegeben, neue annektiert.
Wenn die Grenzen zwischen Dauer- und Zwischennutzung verschwimmen, hat das auch Auswirkungen auf die temporären Projekte. Sie sind nicht einfach nur Aufmerksamkeitserreger, sondern Labore für die Stadtentwicklung. In ihnen wird nicht das Entweder-oder herkömmlicher Master- oder Bebauungspläne verfolgt, sondern die Verknüpfung unterschiedlicher Ansätze und Funktionen, die bisher vielleicht als unvereinbar galten, erprobt. Dafür sind offene Strukturen nötig, die Nutzungen nicht dauerhaft determinieren. So wird zum Beispiel ein riesiger alter Flakbunker zu einem 4 000 Quadratmeter großen Sonnenkollektor, in dem zudem ein 48
000 Kubikmeter großer Veranstaltungsraum eingerichtet wird. Auf einer Fläche im Harburger Binnenhafen ist ein temporäres Musicaltheater möglich und in einem Ideenwettbewerb unter Studenten der neuen Hafencity-Architektur-Universität wurden Vorschläge für die temporäre Nutzung eines 3 300 Quadratmeter großen Grundstücks entwickelt. Der siegreiche Entwurf sieht die Transformation des früheren Wilhelmsburger Gesundheitsamtes in einen temporären Pavillon mit ergänzenden Labor- und Eventflächen zum Thema Grenzen vor und wird nun realisiert.
Wo bleiben „richtige“ Projekte?
Zudem gibt es die „Projekte der kulturellen Vielfalt“, ein Bündel von bisher 22 temporären Initiativen, Veranstaltungen und Kunstprojekten, bei denen die Beteiligung der Anwohner gefragt ist. Beispielhaft genannt seien das kulturelle Veranstaltungszentrum „Halle 13“, der „Kunst-Imbiss“ oder das „Picknickmonument“ – eine große, transluzente, leuchtende Kunststoffblase als Nachbarschaftstreff für „Kulinarisches und Künstlerisches“ mitten in der Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd. Diese Aktivitäten sollen keine schnell vergessenen Eintagsfliegen sein, sondern der Beginn eines echten Bürgerdialogs und die Initialzündung zum Aufbau neuer nachhaltiger, auch wirtschaftlicher Strukturen wie Stadtteilateliers, die eigene Infrastrukturen nach sich ziehen.
Ergänzend sollen flexible Open-Space-Konzepte ein nachbarschaftliches Miteinander in den Wohnquartieren fördern, die durch kulturelle und sprachliche Barrieren gekennzeichnet sind. Durch mehrere Projektaufrufe soll die Bewohnerschaft der Elbinsel zusätzlich aktiviert werden. All das zeitigt erste Erfolge: Bereits die Hälfte der Elbinselbewohner hat Veranstaltungen besucht oder an Projekten der IBA teilgenommen.
Die den Zwischennutzungen innewohnende Endlichkeit hat es allerdings der IBA bisher nicht einfach gemacht, eine dauerhafte Präsenz nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den Fachkreisen Hamburgs und darüber hinaus zu erreichen. Es gibt die große Erwartungshaltung, dass nun, nach der ersten Phase einer kulturellen „Urbarmachung“, endlich „richtige“ Projekte, also neue Bauwerke folgen. Diese werden auch in naher Zukunft entstehen. Aber es bleibt offensichtlich die nicht kleine Aufgabe, der eigenen Fachwelt zu erklären, dass eine kleine Kunstaktion manchmal mehr bewirken kann als ein neuer Gebäudekomplex.
Claas Gefroi ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Architektenkammer Hamburg und freier Autor.