Text: Lars Klaaßen
Am Rosenthaler Platz in Berlin befindet sich seit 2005 das Café „Sankt Oberholz“. Wer dort gerade nicht auf den belebten Platz guckt oder in ein Gespräch vertieft ist, konzentriert sich in der Regel auf sein Notebook; WLAN wird kostenlos serviert. Das alles wäre nicht der Rede wert, hätte dieser Ort nicht schon kurz nach seiner Gründung als Arbeitsplatz für Selbständige, Durchreisende und Kreative Furore gemacht. Das „Sankt Oberholz“ wurde zum Inbegriff für den Wandel unserer Arbeitswelt: Feste Bürostrukturen mit fixen Arbeitsplätzen werden von Räumen abgelöst, in denen sich flexible und mobile Berufstätige in wechselnden Zusammenhängen treffen können und beides haben: technische und räumliche Voraussetzungen für die konzentrierte Arbeit am Rechner und ein soziales Umfeld, das Kommunikation und Vernetzung ermöglicht. Dabei handelt es sich nicht bloß um die geschmäcklerischen Vorlieben von frei flottierenden Freiberuflern; vielmehr beruht diese Entwicklung auf handfesten wirtschaftlichen Veränderungen. Sie spiegelt eine Arbeitswelt wider, in der Festanstellungen immer seltener werden, während der Anteil befristeter oder projektgebundener Verträge zunimmt. Diese Verflüssigung ökonomischer Strukturen hat auch Einfluss auf die Räume, in denen heute gearbeitet wird.
„Sacharbeiter, die mit Aktenordnern hantieren und standardisierte Routineaufgaben erledigen, waren früher die Norm. Heute hingegen sind Wissensarbeit und Kreativität gefragt, die Aufgaben werden komplexer und verändern sich dynamisch“, erläutert Stefan Rief. Er leitet das Team „Workspace Innovation“ sowie das Verbundforschungsprojekt „Office 21“ beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Seit 1981 schon untersucht das IAO, welche Möglichkeiten des Arbeitens und der Bürogestaltung sich künftig realisieren lassen. „Leistungsdruck und Arbeitsdichte nehmen zu, neue Formen der Organisation von Arbeit erfordern mehr Kompetenz, Zusammenarbeit und Selbstorganisation“, so Rief. Beschleunigung und Globalisierung prägen den Arbeitsalltag zunehmend. Technisch machbar wird das alles durch Digitalisierung. Hinzu kommt der demografische Wandel samt Fachkräftemangel: „Qualifizierte Mitarbeiter fordern selbstbewusst eine optimale Arbeitsumgebung im Sinne von Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Flexibilität, die es ermöglicht, individuelle Lebensphasen und Lebensstile zu integrieren“, so Rief. „Büroarbeit wird hyperflexibel, multilokal, individuell und nachhaltig. Die Integration von Arbeit und Freizeit wird sich weiter verbreiten, Personen und Geräte werden sich umfassend vernetzen, Büroarbeit wird individueller organisiert und gestaltet werden.“
Der Blick ins Büro der Zukunft verspricht eine Reihe technischer Neuerungen, die wir aus gar nicht mal so alten Science-Fiction-Filmen kennen: großflächige, digitale Schreibtische, an denen Teams per Fingerwisch arbeiten; OLED-Tapeten, die ganze Wände zu Arbeits- und Darstellungsflächen machen; Computer, denen wir einfach diktieren können, was wir bislang mühsam eintippen müssen. Solche technischen Werkzeuge faszinieren zwar, spielen aber nicht die zentrale Rolle im Wandel der Arbeitswelt. Weniger augenfällig, aber umso bedeutender sind die Strukturen. So lassen sich heute schon sehr viele Aufgaben problemlos mit einem Notebook und einem Smartphone erledigen. Das ermöglicht vielen Arbeitnehmern, einen Teil ihrer Arbeit zu Hause zu tun. Wer im Home Office sitzt, benötigt während dieser Zeit keinen Schreibtisch im Unternehmen. Das erfreut viele Arbeitgeber: Wer weniger Schreibtische als Mitarbeiter braucht, kann Büroflächen reduzieren und damit Immobilienkosten senken.
„Flächeneffizienz ist aber nur ein Faktor, wenn gut gearbeitet werden soll“, betont Tim Hagemann, Wissenschaftler am Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin (IAPAM). „Der Mensch und seine Tätigkeiten stehen im Mittelpunkt.“ Die neu gewonnene Flexibilität kann einerseits genutzt werden, um Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. „Arbeitgeber sollten aber bei extern tätigen Mitarbeitern auf die Anbindung achten“, rät Hagemann. „Rituale sind dabei hilfreich, etwa regelmäßig zu ausgemachten Zeiten mit den Kollegen zu telefonieren.“ Neue Bedürfnisse erfordern bei der Planung und Gestaltung von Büroräumen neue Strukturen. Die Zahl der Einzelarbeitsplätze nimmt tendenziell ab. Der dadurch gewonnene Raum steht damit Funktionen zur Verfügung, die bislang eine eher geringe Rolle spielten. Drei Kernbereiche kristallisieren sich heraus: ruhige Orte für konzentriertes Arbeiten; Besprechungsräume für Teams, die gemeinsam an bestimmten Projekten arbeiten; Begegnungsstätten zum informellen Austausch. Das kann eine Lounge oder eine Kaffeebar sein, wo auch zufällige Begegnungen Synergieeffekte schaffen.
Wer in solch einem Büro arbeitet, so die Idee, wählt sich den passenden Arbeitsplatz frei nach Bedarf. Katzenposter und Topfpflanze haben in diesem Konzept oft keinen Platz. Laut Hagemann wollen viele auf den eigenen, stationären Arbeitsplatz nicht verzichten. Für den Berliner Architekten Klaus de Winder kommt es hier auf die Unternehmenskultur an: „Mit Change-Management kann man die Leute davon überzeugen, dass sie von einem Wandel profitieren.“ Ob Pflanzen oder Fotos: Dahinter stecke das Bedürfnis, sich einen Kokon zu bauen. „Und dieses Bedürfnis ist meist darin begründet, dass die eigene Arbeitsumgebung bislang eben nicht den persönlichen Bedürfnissen gerecht wird“, so de Winder. „Hier geht es um mehr als schöne Deko.“ Eine Reihe von Studien besagt, dass Angestellte effektiver arbeiten, wenn sie sich im Büro wohlfühlen. Das lasse sich im Allgemeinen zwar schwer messen, wendet de Winder ein, aber der Blick auf Einzelaspekte sei eine wichtige Voraussetzung dafür.
Beispiel Großraumbüro: Früher bildete das Rattern der Schreibmaschinen einen Geräuschteppich. Das konnte störend wirken – aber auch als Schutz: Gespräche bekamen die Kollegen kaum mit. Weil heute kaum noch etwas klappert, muss diese Abschirmung über Material- und Gestaltungslösungen realisiert werden. Für de Winder steht außer Frage: „Wenn wir Büros planen, sind Akustiker und Lichtplaner ganz wichtige Partner für uns.“
Akustik etwa spielt in der Berliner Firmenzentrale von Groupon eine Rolle, die das Büro de Winder am Gendarmenmarkt geplant und entworfen hat. Die plastische Deckenverkleidung – eine Struktur aus weißen Linienleuchten – verbirgt nicht nur die Raumtechnik. Um den Geräuschpegel zu senken, wurden die Deckenfelder akustisch wirksam ausgebildet. Aus dem gleichen Grund erhielten die Stauraummöbel an der Rückseite aus Textil bezogene Akustikpaneele. Ein Beispiel für die bewusste Lichtplanung von Klaus de Winder ist der Berliner Zalando-Standort in der Neuen Bahnhofstraße: Der Eingangsbereich wirkt durch die Versetzung der Glasfassade breiter; hinzu kommt eine illusionistische Wandgestaltung aus hohen Spiegeln und Fashionshow-Motiven, die räumliche Tiefe erzeugt.
Welcher Büro-Typ sind Sie?
Dass die Realität in den Büros meist noch anders aussieht, als wünschenswert wäre, belegt eine Studie, die der Hersteller Steelcase in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Ipsos erstellte: Rund 41 Prozent aller Befragten gaben dort an, dass sie mit ihrer Arbeitsumgebung unzufrieden sind. Der hohe Geräuschpegel im Großraumbüro verursache Stress, Bereiche für konzentriertes Arbeiten fehlten. 40 Prozent aller Befragten sagten zudem, dass ihr Unternehmen kein guter Platz zum Arbeiten sei und nicht zu ihrem persönlichen Stil passe. Von allen Befragten arbeiten 79 Prozent noch an festen Arbeitsplätzen und nur 36 Prozent haben die Möglichkeit, mit mobilen Geräten zu arbeiten. Die Studie verweist aber auch auf Chancen: „Menschen gehen gern ins Büro, sie treffen dort Kollegen und finden hier die besten Voraussetzungen für ihre Tätigkeit“, sagt Thomas Stickelbröck, Innenarchitekt bei Steelcase. „Die Möglichkeiten, optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, sind vielfältig. Geben Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten, die eigene Arbeitsumgebung zu wählen, zu gestalten und zu kontrollieren, erhöht dies die Zufriedenheit und das Wohlbefinden signifikant.“
„Welcher Büro-Typ sind Sie?“ Das fragt der Büromöbelhersteller WINI in einem Online-Kurz-Check (www.das-mein-buero-prinzip.de): Damit könne jeder binnen weniger Minuten erfahren, welche Bürozonen eingerichtet werden müssen, damit er optimale, motivierende Arbeitsbedingungen vorfindet und sich bei seiner täglichen Büroarbeit voll entfalten kann. Der Kurz-Check fragt nach den persönlichen Tätigkeitsschwerpunkten des Einzelnen und leitet daraus eine individuelle Bürogestaltung ab. Das Ergebnis liefert zumindest einen ersten Anstoß; gründliche Analysen über Strukturen und Prozesse kann und soll der Kurz-Check nicht ersetzen. Wie ein Unternehmen arbeitet und auf welche künftigen Veränderungen man sich einstellen sollte, wird in Workshops manchmal über ein bis zwei Jahre sondiert. Nur wer den Bedarf seiner Mitarbeiter kennt, kann dafür sorgen, dass sie sich im Büro noch wohler fühlen als in einem Café in der Stadt.
Lars Klaaßen ist freier Journalist in Berlin.
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