Von Oliver Berg
Beim Bauen im Bestand steigt die Zahl der Gebäude, die bereits ein Wärmedämm-Verbund-System (WDVS) besitzen. Statt die alte Dämmung mit hohem Aufwand abzureißen und zu entsorgen, kann ein neues WDVS „aufgedoppelt“ werden. Diese Maßnahme kann aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein. So können beispielsweise durch Vandalismus Risse und Abplatzungen entstanden sein, die eine großflächige Instandsetzung erfordern. Oder es zeichnen sich aufgrund mangelhafter Planung oder Verarbeitung die Fugen oder Dübel-Befestigungen der Dämmplatten an der Fassade unschön ab. Am häufigsten kommt aber eine neue Fassaden-Dämmung dann in Betracht, wenn das Gebäude ohnehin modernisiert und auch optisch aufgewertet werden soll. Stammt der vorhandene Wärmeschutz aus der Zeit bis Mitte der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts, hält er heutigen energetischen Ansprüchen nicht mehr stand. Damals lagen die Dämmstoffdicken bei etwa sechs Zentimetern; heute sind zwölf Zentimeter üblich.
Für die Aufdopplung eignen sich diejenigen Fassaden, deren WDV-Altsysteme standsicher sind und mit Dämmplatten aus Polystyrol-Hartschaum (EPS), Mineralwolle (MW) oder Mineralwolle-Lamellen (MW-L) und Putzbeschichtung ausgeführt sind. Entscheidend ist weiterhin die Art der Befestigung der Dämmplatten. Sie müssen auf Mauerwerk oder Beton mit oder ohne Putz entweder nur geklebt oder sowohl geklebt als auch gedübelt worden sein. Auf Systemen mit mechanischer Befestigung (Schienensystem) oder anderen Dämmstoffarten ist laut bauaufsichtlicher Zulassung keine Aufdopplung möglich. Da früher aber auch häufig Holzwolle-Leichtbauplatten auf Fassaden angebracht wurden, haben einige WDVS-Hersteller ihre Anwendungsrichtlinien um diesen Verwendungszweck ergänzt. Die zur Aufdopplung zugelassenen Systeme sind in den Dämmstoff-Varianten Polystyrol- und Mineralwolle-Platten möglich. Wie die alten und neuen Systeme miteinander kombiniert werden können und welche Gesamtdämmstoffdicken zulässig sind, ist in der unten stehenden Tabelle zusammengefasst.
Zulässige Gesamtdämmstoffdicke in Kombination der möglichen Systeme
Baurechtliche Regelungen
Wärmedämm-Verbund-Systeme zur Aufdopplung werden von den europäisch technischen Zulassungen (ETAG 004) nicht erfasst. Um aufwändige und teure Zustimmungen im Einzelfall zu vermeiden, haben einige Systemanbieter für diesen Anwendungsfall bauaufsichtliche Zulassungen (AbZ) vom Deutschen Institut für Bautechnik in Berlin erwirkt. Sie gelten als Verwendbarkeitsnachweis gemäß Landesbauordnungen und regeln unter anderem die baurechtlichen Anforderungen wie Standsicherheit, Brand-, Wärme-, Schall- und Feuchteschutz. Außerdem sind Hinweise zur fachgerechten Ausführung enthalten, die die Hersteller in ihren Verarbeitungsrichtlinien präzisiert und ergänzt haben. Wie bei herkömmlichen WDVS sind auch die Aufdopplungs-Systeme nur als Gesamt-System zugelassen. Einzelne Komponenten unterschiedlicher Hersteller dürfen also nicht miteinander kombiniert werden. Weiterhin sind die landestypischen baurechtlichen Bestimmungen zu prüfen: zum Beispiel, ob mit einer Aufdopplung Baugrenzen überschritten werden.
Analyse des Bestandes
Bevor eine WDVS-Aufdopplung erfolgen kann, ist der Zustand der Außenwand und des alten Systems hinsichtlich der Standsicherheit und Tragfähigkeit zu analysieren. Das ist notwendig, weil das vorhandene Dämmsystem den Abtrag der Schubkräfte unter Berücksichtigung der zusätzlichen Eigenlasten gewährleisten muss. Die Prüfung hat durch einen Sachkundigen – Planer, Auftragnehmer oder im Zweifel einen Gutachter – zu erfolgen, der das Alt-WDVS üblicherweise an fünf, etwa einen halben Quadratmeter großen, repräsentativen Stellen öffnet. Werden Schäden am System, Risse oder Abplatzungen sichtbar, müssen deren Ursachen gefunden und beseitigt werden. Häufig entstehen solche Schäden durch undichte Anschlüsse, mangelhafte Wasserführung oder unzureichende Dachüberstände. Darüber hinaus sind das Eigengewicht des Altsystems, insbesondere des Putzsystems, sowie die vorhandene Dämmstoffdicke zu ermitteln. Die Trockengewichte des alten und neuen Putzsystems dürfen zusammen circa 30 Kilogramm pro Quadratmeter nicht überschreiten. Bei Gesamtdämmstoffdicken über 200 Millimeter ist das Gewicht des Putzes (nass) auf 22 Kilogramm pro Quadratmeter begrenzt.
Kriterien für die Planung
Auf Basis der Ist-Zustand-Analyse muss entschieden werden, ob das WDV-Altsystem für eine direkte Aufdopplung geeignet ist oder vorbereitende Arbeiten erforderlich sind. Zum Beispiel können der Austausch schadhafter Dämmplatten oder das Entfernen des alten Putzes notwendig werden. Im nächsten Schritt ist über die folgenden bauphysikalischen und konstruktiven Anforderungen zu entscheiden:
Wärmeschutz
Die Dämmschichtdicke des Neusystems ist so zu dimensionieren, dass der nach EnEV 2009 geforderte U-Wert der Außenwand 0,24 W/(m²K) entspricht ‑ es sei denn, es werden staatliche Fördermittel beantragt. Zum Beispiel bei der KfW. Dann sind deren spezielle Bedingungen zu beachten. Rechnerisch wird das Altsystem entweder auf Basis eines nachgewiesenen Bemessungswertes der Dämmstoffplatten oder pauschaler Rechenwerte der Systemzulassung berücksichtigt. Dübel, Haftsicherungsanker, Klebemörtel und Putze dürfen vernachlässigt werden. Die Bemessungswerte der Wärmeleitfähigkeit der Alt-Dämmstoffe gemäß den bauaufsichtlichen Zulassungen sind in der unten stehenden Tabelle dargestellt.
Pauschalwerte der Bemessungswerte zur Wärmeleitfähigkeit von Alt-Dämmstoffen
Feuchteschutz
Der Nachweis des Feuchteschutzes hat nach DIN 4108-3 zu erfolgen. Daraus ergeben sich in der Regel keine Nachteile für die Konstruktion, da der Bestand sowohl wärme- als auch feuchteschutztechnisch aufgewertet wird.
Schallschutz
Hinsichtlich des Schallschutzes enthalten die bisher vergebenen Zulassungen keine Vorgaben. Pauschale Auf- oder Abschläge sind nicht möglich, da die Ergebnisse je nach Wandaufbau in der Realität unterschiedlich ausfallen können. Werden objektspezifische Anforderungen gestellt, sind weitere Untersuchungen notwendig – eventuell in Form eines Einzelnachweises.
Brandschutz
Um das Gesamtsystem einer Baustoffklasse nach DIN 4102-1 zuordnen zu können, muss die Baustoffklasse des Altsystems ermittelt werden. Altsysteme mit EPS-Platten gelten als „normalentflammbar“, sofern sie nicht nachweislich „schwerentflammbar“ sind. Altsysteme mit Mineralwolle-Platten oder Mineralwolle-Lamellen gelten als „schwerentflammbar“, sofern sie nicht nachweislich „nichtbrennbar“ sind. Zum Nachweis der Baustoffklasse können die seit Mitte der Neunzigerjahre existierenden AbZ herangezogen werden. Vor deren Einführung wurden so genannte PA III-Prüfzeugnisse ausgestellt, woraus ebenfalls die Baustoffklasse abgelesen werden kann. Sofern keine Unterlagen oder Kenntnisse über das Alt-WDVS vorliegen, können Prüfungen an ausgebauten Systemkomponenten zur Bestimmung der Baustoffklasse durchgeführt werden. Anbetonierte HWL-Platten in einer Dicke zwischen 25 und 100 Millimetern mit oder ohne Putze sind als „schwerentflammbar“ einzustufen, in anderen Dicken als „normalentflammbar“, sofern diese nicht nachweislich „schwerentflammbar“ sind.
Bei WDVS mit über 100 Millimeter dicken Polystyrol-Dämmplatten ist die Schwerentflammbarkeit nur durch zusätzliche Maßnahmen erreichbar. Das könnte bis zu einer Gesamtdicke von 300 Millimetern zum Beispiel die Ausführung eines durchgehenden Brandriegels sein. Dabei ist wichtig, dass der EPS-Dämmstoff unter dem Brandriegel vor dessen Verlegung zu entfernen ist. Der Brandriegel muss vollflächig verklebt und, wenn erforderlich, zusätzlich verdübelt werden. Wird darauf verzichtet oder die ist Dämmschicht dicker als 300 Millimeter, ist das System als „normalentflammbar“ einzustufen.
Besondere Anforderungen bestehen bei der Ausführung nichtbrennbarer WDVS auf einlagig anbetonierten HWL-Platten. Da diese brandschutztechnisch – im Sinne einer Baustoffklassifizierung – nicht klar definiert sind, ist zwischen HWL-Platte und Mineralwolle-Dämmstoff eine mindestens 20 Millimeter dicke, mineralische, nichtbrennbare Schicht aufzubringen. Zusätzlich sind die Brandschutzmaßnahmen für „schwerentflammbare“ WDVS auf EPS-Basis umzusetzen. Detailliert ist die Bestimmung der Baustoffklasse in den unterschiedlichen Kombinations-Varianten in der unten stehenden Tabelle dargestellt.
Brandschutztechnische Einstufung von Baustoffen
Standsicherheit
WDVS müssen die Kräfte aus Windsog, Eigengewicht und hygrothermischen Wechsel-Wirkungen an den Untergrund weiterleiten. Der Lastabtrag wird dabei von den Dübeln und der „schubsteifen“ Dämmschicht übernommen. Die Windsoglasten werden ausschließlich über die Dübel abgeleitet, weshalb die Außenwand entsprechend tragfähig sein muss.
Um die Standsicherheit des Gesamtsystems zu gewährleisten, sind die Dämmplatten des Neusystems je nach Hersteller-Zulassung vollflächig oder anteilig (mindestens 40 Prozent der Fläche) mit dem Untergrund zu verkleben. Ferner müssen beide Dämmschichten zusammen im Wandbaustoff mit den dafür bauaufsichtlich zugelassenen Dübeln verankert werden. Wie viele Dübel dafür erforderlich sind, ist in den AbZs geregelt. Zusätzlich sind die regionalen gebäudespezifischen Windlasten zu berücksichtigen, die aus den Berechnungen nach DIN 1055 „Einwirkungen auf Tragwerke, Teil 4: Windlasten“ resultieren. Für die Anordnung der Dübel gilt Anhang A der DIN 55699 „Verarbeitung von Wärmedämm-Verbundsystemen“. Mit wie vielen Dübeln das Altsystem befestigt wurde, spielt für die Berechnung der neuen Befestigung keine Rolle.
Konstruktive Details
Um ein dauerhaft funktionssicheres WDVS zu gewährleisten, ist neben der ordnungsgemäßen Verarbeitung die sach- und fachgerechte Planung von Konstruktionsdetails notwendig. Das betrifft vor allem die Ausbildung der Fugen, sämtliche An- und Abschlüsse, Durchdringungen sowie die Anbindung zur Sockel- und Perimeter-Dämmung. Wichtig dabei ist, den Schutz gegen Schlagregen sicherzustellen und die Wärmebrücken zu optimieren. Hierfür steht bereits ein großer Fundus entsprechend aufbereiteter Detaillösungen vonseiten der WDVS-Hersteller zur Verfügung.
Verlegung fast wie gewohnt
Die Aufdopplung von bestehenden WDVS unterscheidet sich nur in wenigen Arbeitsschritten von einer herkömmlichen Verlegung auf Mauerwerk oder Beton. Vor der Montage müssen unter anderem die Blechabdeckungen, Fensterbänke, Fallrohre und Durchdringungen demontiert und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Beginnen sollte man die Verlegung der Dämmplatten nur mit halber Plattenhöhe. Das erfordert zwar für das mittige Schneiden einen höheren Aufwand, aber der dadurch entstehende Fugenversatz bietet Vorteile. Zum Beispiel werden dadurch die alten Fugenraster oder Risse entkoppelt. Die weitere Verarbeitung – Aufbringen der Armierungsschicht einschließlich Gewebearmierung und Oberputz – erfolgt wie gewohnt. Oliver Berg ist Arbeitskreisleiter beim Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme in Baden-Baden
WDVS und Recycling
Das Recycling von WDVS ist noch weitgehend ungeklärt. Dämmstoffplatten mit anhaftendem Putz, Armierungsgewebe und Farbanstrichen sind in der Regel Sondermüll. Bisher sahen die Hersteller auch keinen Handlungsbedarf, da es vergleichsweise wenig alte WDVS zu entsorgen gab. Und mit der Möglichkeit des Aufdoppelns eines neuen über ein altes System wird das Thema vorerst weiter in die Zukunft verschoben. Aber stellt sich die Frage irgendwann in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten dann doch, will die Industrie gewappnet sein und Lösungen zeigen. Dazu lässt der Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme jetzt im Rahmen eines Recycling-Forschungsprojektes die Möglichkeiten der Wiederverwertung von WDVS-Bestandteilen prüfen. Beginnen will man mit EPS-Dämmstoffen, weil diese den größten Marktanteil besitzen. Dafür wurde der Industrieverband Hartschaum als Partnerverband gewonnen. Der Forschungsauftrag soll an das Fraunhofer Institut für Bauphysik (Holzkirchen) und das Forschungsinstitut für Wärmeschutz (München) gehen. Der Start hängt noch von der Bewilligung staatlicher Fördermittel ab.
Es gibt zwar Fensterbankabschlüsse, die dicht sein sollen, doch werden diese üblicherweise nicht eingebaut. Regelmäßig werden Fensterbänke mit einfachen Aufsteckprofilen verwendet. Auch auf Ihrem Bild „Fensterbrett“ ist eines ohne Abdichtung zu sehen. Diese müssen aber eine weitere Abdichtung in Form einer unter der Fensterbank liegenden Folie haben. Hierauf sind Sie leider nicht eingegangen.
Klaus Wirth, Sachverständiger, Leipzig/Hamburg
Der letzte Absatz hätte besser „WDVS und kein Recycling“ lauten sollen, denn darum hat sich die WDVS Industrie die letzten 50 Jahre nicht gekümmert. Stattdessen hat man sich mit dem Umstand abgefunden, dass es bei diesem Sondermüll richtig schön teuer wird. Und dann gibt es noch Experten, die das so genannte „thermische Recycling“ gut finden.
Die Formulierung „Dazu lässt der Fachverband Wärmedämm-Verbundsysteme jetzt im Rahmen eines Recycling-Forschungsprojektes …“ liest sich niedlich. Man könnte meinen, dass diese segensreich agierende Organisation endlich mal Geld in die Hand nimmt und sich um eine ernsthafte Analyse des Lebenszyklus`kümmert.
In Wirklichkeit lässt sich die Industrie ein paar Millionen an Steuergeldern hinterherwerfen, weil die ja so arm und mittellos sind. Aber das ist so in Deutschland, das Geld geht dahin, wo es schon ist. Das nennt man dann „Forschung“ und der Herr H. im Bauministerium sorgt dafür, dass der Esel die Talerchen rieseln lässt. Aber was geht`s den dt. Michel an? Der ist eh nur zum Zahlen da.
Wirklich neu ist die Aufdoppelei nicht, der informierte Fachmann kennt das retec Verfahren von weber schon eine geraume Zeit. Das Problem an der Sache: aus 2 x schlecht wird noch lange nicht gut. Es sei denn, man rechnet auch in diesem Falle alles gem. DIN 4108 (mit all ihren VOR-Normen) und Glaser schön – falsch, aber verordnet.
Und die Mieter dürfen auch hier wieder blechen: da der U-Wert „verbessert“ wird, darf das Ganze als energetische Sanierung untergejubelt werden. 11% Umlage lassen grüßen. Man darf gespannt sein, was sich die umtriebigen Akteure und ihre Helfer in den Ministerien in 30 Jahren einfallen lassen, wenn auch die aufgedoppelte Lage den Geist aufgibt.
Wer sich mit dem ganzen Lug und Trug befassen mag, der gebe „recycling wdvs“ in die Suchmaschine ein. Nach den Hurra-Meldungen bei baulinks wird man dann fündig und bekommt die Augen geöffnet – oder man lässt es sein.
Matthias G. Bumann, Bauingenieur, Berlin
Manche Dinge ändern sich eben nie! Bevor ich platze setze ich immer schnell meine rosarote Brille auf: ich plane ein eigenes Forschungsvorhaben zur Renaturierung der stetig zunehmenden Quadratmeterzahlan im Meer schwimmender Kunststoffe. Wenn man diese etwas anschleift und darauf spezielle biologische Kulturen (Geheimhaltung!) ansiedelt, kann alles ein gutes Ende nehmen und ich viele Millionen an Fördermitteln sinnvoll verprassen. Das sollte doch gehen. 😉
Daniel Drescher
Es ist schon bedrückend, wie die Kollegenschaft sich so unkritisch gegenüber einem so unsäglichen Produkt verhält. Wo sind sie die kritischen, Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein predigenden? Wie kann man ein Produkt auf den Markt bringen und verarbeiten lassen, von dem nicht einmal die Entsorgung geregelt ist? Wie kann man so etwas ruhigen Gewissens an die Wände der Bürger dieses Landes klatschen, ohne kritisch zu sein? Warum wird solch ein Unsinn auch noch gefördert, obwohl es nachweislich nur einen Bruchteil an Energieeinsparung bringt? Wo sind die Mahner guter Architektur, solider Handwerkskunst, von Berufsethos und elitärem Können und Wissen?
Reinhard Seevers, Architekt, Burweg (Bossel)