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Baustoffe der Zukunft: Carbonfasern und Kunststoffe aus Algen

An der TU München forscht Professor Thomas Brück an nachhaltigen Baustoffen der Zukunft. Durch chemische Prozesse werden aus Algen stabile Materialien, die mehr CO2 speichern als freisetzen

07.07.20205 Min. Kommentar schreiben
Algen in einem Wasserbecken
Im Gewächshaus am Algentechnikum der TU München herrschen ideale Wachstumsbedingungen.

Von Rudolf Stumberger

Sie sind grün, leben im Salzwasser und sind genügsam – und könnten in Zukunft das Klima positiv beeinflussen. Zum Beispiel, indem aus ihnen Flugbenzin gewonnen wird und dabei mehr Kohlendioxid verbraucht als erzeugt wird. Was der Erderwärmung Einhalt gebieten könnte. Oder aus den Algen werden Carbonfasern gewonnen, die als neuartiger Baustoff zum Einsatz kommen: Leichter als Aluminium und genauso stark wie Stahl.

Der weitläufige Campus der TU in Garching, im Norden vor den Toren Münchens: Hier ist in der Lichtenbergstraße 4 das Fachgebiet für Theoretische Chemie untergebracht und dort findet man in einem der Labors inmitten von  Reagenzgläsern und Geräten zur chemischen Analyse Professor Thomas Brück. In der Hand hält er ein gebogenes, schwarzes Materialteil – ein Carbonfaserkomposit – bestehend aus Carbonfasern, die aus Algen gewonnen wurden und versehen mit einer Granitschicht. So könnten in Zukunft Baumaterialien aussehen.

Prof. Thomas Brück im Labor
Prof. Thomas Brück mit einem Verbundstoff aus Granit und Carbonfasern, die aus Algen gewonnen wurden.

Algen als Ausgangspunkt für Bio-Kunststoffe

Thomas Brück ist Professor für Synthetische Biotechnologie wobei „methodische Forschungsansätze der Biochemie, Bioinformatik, Katalyse und Bioverfahrenstechnik“ gebündelt werden. Und von seinem Lehrstuhl in Garching aus koordiniert er mehrere Großprojekte, die mit der industriellen Nutzung von Algen zu tun haben. Seine Vision: Die grünen Wassergewächse könnten der Bio-Rohstoff der Zukunft sein, vielfach nutzbar, nachhaltig und CO2-reduzierend. Denn das Treibhausgas wird in Form von Zucker oder Algenöl gebunden und daraus können dann durch chemische und biotechnologische Verfahren wieder Ausgangsstoffe für unterschiedliche industrielle Prozesse gewonnen werden. Ölbildende Hefen erzeugen zum Beispiel aus Algenzucker Hefeöl, das als Ausgangsstoff für nachhaltige Kunststoffe dient. Es lässt sich enzymatisch in Glycerin und freie Fettsäuren aufspalten, aus denen sich zum Beispiel hochwertige Zusätze für Schmierstoffe herstellen lassen. Und aus dem Glycerin lassen sich Carbonfasern gewinnen.

Klimazonen im Gewächshaus

Ortswechsel nach Ottobrunn, ebenfalls eine Gemeinde am Rande Münchens, diesmal im Osten. Hier befindet sich an der Willy-Messerschmitt-Straße das „Algentechnikum“ der TU.  Von außen sieht das Gebäude aus wie ein großes Gewächshaus, denn die Wände und das Dach bestehen aus Glaselementen, durch die das Tageslicht ins Innere fällt. Nachts leuchtet das Glashaus von innen heraus in grünem Licht. Fast so grün, wie die Flüssigkeit, die hier unentwegt durch sogenannte Reaktoren fließt. Und in der Tat handelt es sich bei dem modernen Bau um ein Gewächshaus: Hier sollen Algen wachsen, die später dann zu Carbonfasern für Bauelemente oder zu Flugbenzin werden.

Gewächshaus am Algentechnikum TU München
Mit LEDs können im Gewächshaus des Algentechnikums passende Klimazonen simuliert werden.

Betritt man das Glasgebäude, findet man sich in einer sehr warmen Atmosphäre wieder: Im Inneren ist gerade „Almeria“ angesagt. Das heißt, es wird exakt das Klima der andalusischen Hafenstadt simuliert, mit einer Lufttemperatur von etwa 30 Grad Celsius. Und für das Licht sorgen über einhundert LED-Lampen, die speziell für dieses Vorhaben von einer Berliner Firma entwickelt wurden. „Das Licht bringt 30 Watt pro Quadratmeter auf die Wasseroberfläche“, sagt Chemiker Daniel Garbe, er ist der Leiter des Algentechnikums. Und dieses Licht sorgt für das Wachstum der Picochlorum, das ist eine Mikroalge mit einem Durchmesser von 3 bis 10 Mikrometern. Unter idealen Bedingungen mit entsprechender Temperatur und  passendem PH-Wert des Wassers sowie bestimmten Salzgehalt und Spurenelementen bringt diese Alge einen Ölertrag von 50 Prozent, im Labor sogar von 70 Prozent, bezogen auf das Gewicht der Trocken-Biomasse, also nach Entfernung jeglichen Wassers außerhalb und innerhalb der Zelle.

Nur 10 von 150.000 Algenarten werden genutzt

Insgesamt gibt es an die 150.000 Algenarten, schätzen Wissenschaftler, 5.000 davon sind ansatzweise erforscht. Doch nur zehn Algenarten werden bisher kommerziell genutzt. „Das Faszinierende am Algentechnikum ist“, so Daniel Garbe, „dass wir hier fast alle Umweltbedingungen simulieren können, unter denen Algen aufwachsen“. Denn „niemand kann voraussagen, ob eine Alge aus der Südsee unter den Lichtbedingungen in Deutschland genauso produktiv ist wie in ihrer Heimat“, sagt Thomas Brück. „Genauso wenig weiß man, ob hier in Bayern erfolgreiche Kandidaten unter den Lichtbedingungen der Sahara noch genauso erfolgreich wären. All dies können wir in unserem Technikum testen.“

Gewächshaus am Algentechnikum TU München
Das Algentechnikum der TU München liegt etwas außerhalb in Ottobrunn.

Carbonfasern aus Algenöl mit negativer CO2-Bilanz

Und sind diese einmal aufgewachsen, dienen sie als Rohstoff für die Herstellung neuer Baumaterialien.  Im Verbund mit heimischem Granit oder anderen Hartgesteinen, unter Verwendung eines Bindemittels wie zum Beispiel Polyester, ermöglichen Carbonfasern völlig neue Konstruktionsmaterialien und Baustoffe. Und: Werden die Carbonfasern aus Algenöl hergestellt, entzieht die Herstellung der Atmosphäre mehr Kohlendioxid als dabei freigesetzt wird. Aus den Algen lassen sich Fasern herstellen, die mit Hilfe der Energie von Parabol-Sonnenspiegeln CO2-neutral zu Kohlefasern umgewandelt werden können. Mit ihnen lassen sich leichte und trotzdem hochstabile Werkstoffe produzieren. „Die aus Algen hergestellten Carbonfasern sind absolut identisch mit den derzeit in der Industrie eingesetzten Fasern“, sagt Projektleiter Thomas Brück. Sie haben nicht nur eine negative CO2-Bilanz, sondern sind leichter als Aluminium und stabiler als Stahl.

Was heute noch im Algentechnikum unter kontrollierten Bedingungen abläuft, soll später in Großproduktion gehen. Dazu müssten die Verfahren freilich noch „deutlich günstiger werden, als sie heute sind“, so der Chemieprofessor. Er denkt dabei an Großanlagen in Südeuropa oder Nordafrika, in denen die Algen gezüchtet und dann als Rohstoff geerntet werden.

Dr. Rudolf Stumberger ist Privatdozent an der Universität Frankfurt am Main und arbeitet als freier Journalist in München für internationale Zeitungen und Magazine


Fernsehtipp zu Algen

Plastikersatz, Treibstoff, Nahrungsmittel: Die Arte-Reportage „Algen – ein unbekannter Rohstoff“ führt in die Bretagne, auf die Färöer-Inseln und an das Kompetenzzentrum Algenbiotechnologie der Hochschule Anhalt in Köthen. Auch Prof. Thomas Brück vom Algentechnikum der TU München berichtet über seine Forschung und stellt einen E-Scooter mit Trittbrett aus einem Carbonfaser-Granit-Komposit vor. Die Dokumentation ist noch bis zum 2. August 2020 in der Arte-Mediathek zu sehen.

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