Text: Simone Meyer
Für Gebäude mit öffentlicher Nutzung ist nicht geregelt, wie Rettungswege für Behinderte auszuführen sind. Gegenwärtig legt das im Sonderbau jede Genehmigungsbehörde im Einzelfall fest. Der Feuerwehr-Einsatzplanung ist zugrunde gelegt, dass durch bauliche Maßnahmen mindestens ein Rettungsweg für die selbstständige Befreiung der Gebäudenutzer aus einer Gefahrensituation gesichert ist. Die Selbstrettung sollte bei Eintreffen der Feuerwehr bereits abgeschlossen sein.
Eines der wenigen Beispiele, die eine Lösung aufzeigen, entstand im Konservatorium Städtische Musikschule in Cottbus. Im Jahr 2005 beschloss die Stadt, im Zuge von Instandhaltungen in dem Gebäude von 1873 auch die Sicherheit und den Komfort heutigen Anforderungen anzupassen. In Verbindung mit den Arbeiten sollte ein Aufzug ins Dachgeschoss installiert werden, wo sich die Aula und ein Konzertsaal für 60 Personen befinden. Nutzer und Gäste hatten die Räume bisher nur über die 120 Stufen der Treppe erreicht. Menschen mit eingeschränkter Mobilität war der Zugang verwehrt geblieben. Aber wie bringen sich Behinderte, oder gar Rollstuhlfahrer, im Brandfall selbstständig in Sicherheit, wenn als einziger vertikaler Erschließungsweg nur der Aufzug zur Verfügung steht?
Der besondere Aufzug
Die VDI-Richtlinie 6017 „Aufzüge – Steuerung für den Brandfall“ (Stand November 2008) enthält Vorgaben, wie ein Aufzug unter bestimmten Voraussetzungen auch im Brandfall
weiter nutzbar ist. Dieser Aufzug „mit verlängerter Betriebszeit“ ist selbst unter Brandschutzfachleuten weniger bekannt. Beim Cottbuser Konservatorium wurde diese Lösung zwischen Bauherrn, Nutzern, der Bauaufsichtsbehörde mit Brandschutzdienststelle, den Fachplanern für den Brandschutz und den Sachverständigen des TÜV eingehend diskutiert und umgesetzt. Der im Jahr 2011 – nach fast fünfjähriger Planungszeit – installierte Aufzug für die Evakuierung von Personen im ersten Rettungsweg beruht auf folgenden Kriterien:
– Der Aufzug wird in allen Geschossen über einen sicheren Vorraum begangen. Fahrschacht und Vorraum werden vor einer wechselseitigen Raucheindringung geschützt.
– Über eine sichere Stromversorgung (Sprinklerschaltung) bleibt der Aufzug nutzbar, selbst wenn es im Gebäude brennt oder der Strom ausfällt.
– Neben weiteren sicherheitstechnischen Aspekten, vor allem auch die Aufzugskonstruktion betreffend, verfügt das Gebäude über eine Brandmeldeanlage nach DIN 14675 (Vollschutz).
Die Verantwortlichen hatten vor, einen im Schadensfall auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen nutzbaren Aufzug zu errichten. Genau diese Klientel wurde allerdings während der Planung in einem wichtigen Punkt vergessen. Erst nach Abschluss der Maßnahme stellte sich bei einem simplen Vorführtermin mit körperlich gehandicapten Ortsunkundigen heraus, dass keiner den Aufzug als Rettungsweg in Betracht ziehen würde – es fehlte die richtige Ausschilderung. Diese ist umso wichtiger, da sich bei der Bevölkerung das Wissen verfestigt hat, dass Aufzüge im Brandfall nicht zu benutzen sind. Selbst Menschen mit Behinderungen denken beim Betreten eines Gebäudes üblicherweise nicht daran, wie sie bei Gefahr ohne fremde Hilfe heil wieder herauskommen können. Walter Krause, der seit 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen ist, kann das nicht nur persönlich bestätigen. Er leitet die Fachgruppe „Mobilität & Bauen“ im Behindertenrat der Stadt Cottbus und weiß, dass eigentlich alle Betroffenen so denken: „Wichtig ist für uns ein leicht verständliches Leitsystem.“
Leicht verständliches Leitsystem
In den Flucht- und Rettungsplänen sowie am Aufzug selbst muss die herkömmliche Ausweisung „Aufzug im Brandfall nicht benutzen!“ entfallen. Sie ist durch eine objektbezogene Anweisung zu ersetzen. Die Grafik rechts zeigt, wie so ein Hinweisschild aussehen kann. Als Orientierung dienten die Vorgaben der CEN/TS 81-76: Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen – Besondere Anwendungen für Personen- und Lastenaufzüge – Teil 76: Personenaufzüge für die Evakuierung von Personen mit Behinderungen, Seite 26. Es handelt sich dabei aber nicht um eine normative Grundlage, sondern um eine sogenannte Erprobungsnorm.
Zu beachten ist weiterhin, dass Hinweisschilder allein nicht ausreichen. Ein umfassendes Leitsystem muss neben Menschen mit motorischen Einschränkungen auch die mit Behinderungen an Auge oder Ohr berücksichtigen. Eine herkömmliche Alarmanlage ist dafür ungeeignet, da sie einen Hörgeschädigten in der Regel nicht erreicht. Empfehlenswert sind automatische Melder mit integriertem Alarmgeber, der sowohl optische (Blitz) als auch akustische (Sprachmeldung) Signale senden kann. Über eine Schnittstelle lassen sich die Melder an die Alarmanlage koppeln.
Dipl.-Ing. (TU) Simone Meyer betreibt ein Büro für Brandschutz und Denkmalrecht in Lübben.
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