Dr. Frank Dratschmidt, Jörg Huiber
Die aktuelle Fassung der Windlastnorm DIN 1055-4:2005-03 ist rechtskräftig bauaufsichtlich eingeführt und in die Liste der technischen Baubestimmungen aufgenommen. Damit ist die Norm bindend für die Standsicherheitsbemessung zur Berücksichtigung der einwirkenden Windlasten bei Gebäuden und damit auch für die Montage von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS). Mit dem überarbeiteten Teil 4 der DIN 1055, worin das Thema Windlasten geregelt ist, liegt im Vergleich zu der alten Fassung eine wesentlich umfangreichere Dokumentation zur Ermittlung der einwirkenden Beanspruchungen durch Wind vor. Die wichtigsten Änderungen beziehen sich auf den Einfluss der Region, in der das Gebäude steht, auf die Einteilung in Flächenbereiche der Fassade sowie auf die Höhenstaffelung.
Die Überarbeitung der Norm begann schon Ende der 1990er-Jahre. Ein Ziel war und ist, den Planern und Anwendern mehr technische Sicherheit zu geben und die heute mögliche größere Anzahl an Bezugsgrößen und Parametern einzubeziehen. Definitionswerte haben sich ebenso verändert wie Bemessungsgrundlagen, schon weil heute die erforderlichen Daten durch mehr Messstationen viel umfangreicher erfasst werden. Der Wind bläst in Deutschland entgegen früherer Normdefinition eben nicht überall gleich; auch hat sich die Abhängigkeit von der Gebäudegröße verändert. Impulse zur Überarbeitung der Norm gab es schon seit Jahren, Wetterphänomene wie „Kyrill“ haben nicht ursächlich mit der Änderung zu tun, können aber als beschleunigende Faktoren an diesem Prozess gelten.
Außerdem war die europäische Komponente in diesem Prozess zu berücksichtigen: Auf dem ganzen Kontinent liegen zu diesem Thema neue Erkenntnisse vor; diese müssen vereinheitlicht werden, um die europäische Harmonisierung bei der Bemessung realisieren zu können. Ziel ist letzten Endes, dass Windsogbelastungen in ganz Europa nach gleichen Rechenmaßstäben ermittelt werden.
Vergleich: alt und neu
Nach der DIN 1055-4 neu werden vier regionale Windlastzonen über der Fläche Deutschlands definiert. Sie berücksichtigen die unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten und stellen damit einen Parameter zur Ermittlung der Windbeanspruchungen dar. Jeder Windlastzone wird eine bestimmte Windbeanspruchung zugeordnet.
In der alten Norm wurde jede Fassadenfläche eines Gebäudes unabhängig von der Windrichtung unterteilt in Flächen- und Randbereich. Diesen wurden dann unterschiedliche Windbelastungen zugeordnet. Der Randbereich betrug damit ein Achtel der jeweiligen Fassadenlänge, maximal jedoch zwei Meter. Nach DIN 1055-4 neu muss die Fläche jeder Gebäudeseite individuell ermittelt werden hinsichtlich Windanströmungsrichtung und daraus resultierender Flächenbereiche mit unterschiedlicher Windbeanspruchung. Eingeteilt wird in maximal vier Bereiche: A= Randbereich, B, C und E = Flächenbereiche. In diese Ermittlung fließen die jeweiligen Gebäudeabmessungen mit ein und damit ist man bei der Höhenstaffelung angelangt: Nach der alten Norm wurde die Windbeanspruchung in Abhängigkeit von der Gebäudehöhe in drei diskrete Höhenbereiche gegliedert.
In der Neufassung der Norm wird beim Standardnachweis die Ermittlung der höhenabhängigen Windbelastung (= Geschwindigkeitsdruck x aerodynamischer Beiwert) nach der regionalen Lage des Gebäudes, des Geländeprofils und der davon abhängig gestuften Höhenzone des Gebäudes vorgenommen. Beim Standsicherheitsnachweis sind diese neuen Anforderungen entsprechend zu berücksichtigen. Der Nachweis ist in der neuen Norm stark abgestimmt auf die bauwerksspezifischen Zusammenhänge und daher recht aufwendig zu erstellen, was oft eine ingenieurmäßige Planung erfordert.
Es gibt daher auch die Möglichkeit zur vereinfachten Ermittlung der Windbelastung bei Gebäuden bis 25 m Höhe. Hierbei werden Beanspruchungen für drei Gebäudehöhen definiert (0–10 m, >10–18 m; > 18–25 m), die dann über die gesamte Höhe des Gebäudes gelten. Dieses Verfahren kann in den Windzonen 1 bis 3 zum Einsatz kommen.
In Hinblick auf die Durchzugsfestigkeit des Dübeltellers durch den Dämmstoff hat sich infolge der detaillierten Berechnung der Windbelastung nicht die Widerstandsgröße geändert, sondern die einwirkende Größe. Die Widerstandsgröße muss grundsätzlich größer sein als die einwirkende Größe.
Die zugelassenen Systeme sind geprüft auf Durchzugsfestigkeit und wurden mit anerkannten Verfahren bewertet. Damit ist eine praxissichere Widerstandsgröße gegen das Durchziehen des Tellers gegeben. Für die Einhaltung der neuen Vorgaben tragen alle am Bau Beteiligten die Verantwortung: Hersteller, Planer und Verarbeiter. Die Bringschuld der Industrie ist mit der Umsetzung der Norm in der Produktentwicklung erbracht. Die Systemhersteller müssen ihre Informationen schriftlich und mündlich entsprechend anpassen, der Verarbeiter ist gefordert, diese Vorgaben fachgerecht umzusetzen.
Die Systemanbieter dürfen keine WDV-Systeme nach altem Normenstandard mehr liefern, auch in den Ausschreibungen muss die neue Norm berücksichtigt sein. Der Fachhandwerker sollte seinen Lieferanten fragen, ob die DIN 1055 neu berücksichtigt ist oder nicht. Der Fachhandwerker hat eine Hinweispflicht, wenn die Ausschreibung nicht stimmt. Zur Überprüfung kann er die Ausschreibung mit der Dübeltabelle abgleichen.
Was der Planer entscheiden muss
Standsicherheitsnachweise für WDVS sind Bestandteil
der Zulassung. Dabei wird unterschieden zwischen:
- WDVS mit angeklebten Dämmstoffplatten aus Polystyrol-Partikelschaum
- WDVS mit angedübeltem und geklebtem Wärmedämmstoff
- WDVS mit Schienenbefestigung
- WDVS mit angeklebten Mineralfaser-Lamellendämmplatten
- WDVS mit Mineralschaum-Fassadendämmplatten
- WDVS mit angeklebter keramischer Bekleidung
Im Planungsstadium ist dann Folgendes zu entscheiden:
- Unter welchen Voraussetzungen ist eine ausschließliche Verklebung der Dämmplatten zulässig?
- Wann muss gedübelt werden?
- Welche Dübelmenge ist erforderlich?
- Welche Dübelarten stehen zur Verfügung?
- Wann ist eine Schienenbefestigung sinnvoll?
Die Festlegungen sind notwendig, um eine eindeutige Leistungsbeschreibung erstellen zu können. Welche Befestigungsart zum Einsatz kommt, hängt vom Systemaufbau und von der Untergrundbeschaffenheit ab. Abhängig von der Befestigungsart muss der Untergrund auf Tragfähigkeit geprüft werden. Die Standsicherheit der Wandkonstruktion selbst muss im Bedarfsfall ein Tragwerkplaner beurteilen.
Dr. Frank Dratschmidt ist Leiter des Arbeitskreises Dübel im Fachverband WDVS, Dipl.-Ing Jörg Huiber gehört als internationaler Produktmanager dem AK Dübel an.