Text: Marion Goldmann
Mit einer konventionellen Fußbodenheizung lassen sich prinzipiell auch Räume kühlen. Diese Umkehrfunktion wird bei Bürogebäuden oder Objekten mit vergleichbaren Kühllasten bislang nicht genutzt, denn ihre Leistung ist wegen der Taupunkt-Problematik begrenzt. Damit der Estrich nicht durchfeuchtet, muss die Wassertemperatur in den Rohren mindestens 17 Grad Celsius betragen – das ist zu hoch, um die laut Arbeitsstätten-Verordnung als Maximum empfohlenen 26 Grad Celsius in Büroräumen zu gewährleisten.
Das Pilotprojekt: Bei dem Bürogebäude Step 8.2 in Stuttgart steht die Fußbodenkühlung, installiert im 5. Geschoss, im direkten Vergleich zur thermisch aktivierten Decke in den anderen Stockwerken. Foto: Peter Behr
Das System des Stuttgarter Ingenieurs Peter Behr erlaubt dagegen, die Vorlauftemperatur in den Rohren auf zwölf Grad Celsius abzusenken. Möglich wird das mithilfe einer Dampfsperre, die den gesamten Fußbodenaufbau umschließt. Dadurch wird der kritische Taupunktbereich von der Rohroberfläche an die Estrichoberfläche verlagert und die Kühlleistung wird etwa verdoppelt. „Kalte Füße“ bekommen die Nutzer dabei nicht. Je nach Wärmeleitwiderstand des Bodenbelags beträgt die Temperatur am Boden 20 bis 24 Grad Celsius. Sie liegt also deutlich über den im Rahmen der Behaglichkeitskriterien mindestens einzuhaltenden 19 Grad Celsius.
In der Praxis erprobt
Zehn Jahre Betriebserfahrung und vergleichende Messungen belegen, dass die Idee mit der Dampfsperre tatsächlich funktioniert. Selbst in der heißesten Woche des Sommers 2003 bewegten sich die Raumtemperaturen im Bürgerservice-Zentrum der SSB Stuttgarter Straßenbahnen AG bei Außentemperaturen von 38 Grad Celsius im vorgegebenen Rahmen. Mit dem Kühlboden werden demnach Leistungen erreicht, die denen von Kühldecken entsprechen. Die Anforderungen an dieses Projekt brachten Behr überhaupt erst dazu, sich mit der Bodenkühlung intensiver zu beschäftigen: „Der Bauherr akzeptierte keine zusätzlichen Geräte zur Kühlung der Räume, deshalb musste ich mir eine alternative Lösung überlegen.“
Die Messwerte: Die rote Kurve zeigt die Raumtemperatur bei thermisch aktivierter Decke im 4. Geschoss des Step 8.2; die Temperatur bei Fußbodenkühlung ist blau dargestellt. Grafik: Peter Behr
Im neuen Bürohaus „Step 8.2“ der Step Stuttgarter Engineering Park GmbH steht der im obersten Geschoss als Pilotprojekt installierte Kühlboden sogar im direkten Vergleich zu dem im übrigen Gebäude eingesetzten Deckenkühlsystem. Diese Konstellation erlaubte es, in einer Langzeitstudie Vergleichsmessungen durchzuführen. Unter anderem belegt ein Ergebnis aus dem Sommer 2011, dass die Temperaturen in den Räumen mit Bodenkühlung auch in den heißesten Wochen niedriger waren als in den Büros mit Deckenkühlung.
Flexibel erfassbare Verbrauchsdaten
Im Step 8.2 kam dem Bauherrn zudem eine weitere installationstechnische Optimierung des Flächensystems entgegen. Gefordert war, dass sich die Größen der Büros mittels rückbaubarer Zwischenwände jederzeit wechselnden Nutzungen anpassen lassen. Entsprechend variabel sollte auch die Abrechnung der Betriebskosten für das Heizen und Kühlen sein. Dafür wurde jeder Gebäudeachse eine Heiz- und Kühlfläche zugeordnet; in den Fluren wurden zusätzliche, mit Ventilen ausgestattete Rücklaufleitungen verlegt. So lassen sich im Abstand der Achsraster die Flächen beliebig zusammenschalten oder wieder trennen, ohne in die Installation eingreifen zu müssen. Das ist nicht nur für zukünftige Grundrissänderungen vorteilhaft, sondern erlaubt bereits während der Bauphase, beispielsweise bei noch nicht voll vermieteten Flächen, eine hohe Flexibilität.
Speichermasse wird genutzt
Das System Behr lässt sich auf alle von Fußbodenheizungen her bekannten Bodenaufbauten, wie schwimmender Estrich, oder Trockenbau-Lösungen, wie etwa Hohlraumböden, anwenden. Als Bodenbelag kommen jegliche für Fußbodenheizungen geeignete Materialien infrage. Die realisierten Projekte ermöglichten auch einen Kostenvergleich. Gegenüber einer thermisch aktivierten Decke mit zusätzlichen Heizflächen liegen die durchschnittlichen Herstellungskosten um etwa 30 Prozent darunter. Behr: „Der Unterschied zu Kühldecken ist noch deutlich größer”. Denn die Kühllast eines Raumes besteht überwiegend aus Wärmestrahlung. Diese trifft größtenteils auf den Boden; zum Beispiel als solare Strahlung. Ein Kühlboden kann etwa 35 Prozent der Wärme direkt aufnehmen und abführen. Bei einer Kühldecke funktioniert das nur indirekt, wenn der Boden und das Mobiliar die aufgenommene Wärme wieder abgeben. Berechnungen und Messungen zeigen, dass eine Kühlleistung über den Fußboden in Spitzenlastzeiten bis zu 80 W/m² möglich ist. Diese hohe Leistung wird auch durch die Nutzung der Decke als passiver Speicher möglich. Lastspitzen werden entsprechend gedämpft und die erforderliche Kühlleistung wird reduziert. Ist die Decke dagegen durch ein Kühlsystem belegt, fällt sie als Wärmespeichermedium für den Raum weg. Dadurch erhöht sich die Kühllast im Raum, was zu einer aufwendigeren Kälteversorgung führt.
Bei hohen Kühllasten sind Massivbauweisen von Vorteil, vor allem unverkleidete Massivdecken. Leichtbauweisen oder abgehängte Decken bremsen dagegen die natürliche Speicherfähigkeit. Sollten sich abgehängte Decken nicht vermeiden lassen, empfiehlt Behr, mit PCM ausgestattete Gipskartonplatten zu verwenden. Das Speichervermögen einer nur zwei Zentimeter dicken Platte entspricht dem von zehn Zentimetern Stahlbeton. Außerdem lässt sich die Leistung durch gezielte Luftbewegungen im Raum bei geringen Strömungsgeschwindigkeiten steigern. Meist stellen sich diese allein durch innere Wärmequellen im Raum ein. Außerdem wird in Arbeitsräumen zu einer Lüftungsanlage für eine hygienisch notwendige Lufterneuerung mit Wärmerückgewinnung geraten, nicht zuletzt aus energetischen Gründen.
Berechnungsprogramme
Die Funktion des Kühlbodens steht und fällt jedoch mit der richtigen Berechnung. Das Programm dazu hat der Stuttgarter Klimaexperte Behr selbst entwickelt, weil am Markt verfügbare Softwareprodukte nur auf die Berechnung der Heizung ausgelegt sind; der Kühlbetrieb wird lediglich angepasst. Aber für eine hohe Funktionalität und Wirtschaftlichkeit müssen alle bauphysikalischen Grundsätze einfließen, außerdem Daten zur Leistung sowie die Kaltwassertemperaturen. Dabei gilt es nachzuweisen, dass die im Verlauf von 24 Stunden in das Gebäude eingebrachte Wärme innerhalb dieser Zeit auch wieder abgeführt wird. Behr: „Insofern spielt die Wärmespeicherfähigkeit des Gebäudes eine wichtige Rolle, weil die Spitzenlast, die tageszeitlich recht unterschiedlich ausfällt, die Dimensionierung der Kälteerzeugung maßgeblich bestimmt.” Deshalb wird die Speicherfähigkeit des Gebäudes in seinem Programm umfassend berücksichtigt. Architekten bietet Behr die Berechnung auch als Service an und genehmigt damit zugleich die Verwendung des patentierten Systems.
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