Statt vorgesetzter Balkonsysteme konstruierten Architekten Anbaubalkone aus Stahl, die auch ohne aufwendige statische Ertüchtigung des Gebäudes auskommen.
Sollen ältere Wohngebäude saniert werden, stehen Balkone ganz oben auf der Wunschliste von Bauherren. Als Lösung mit dem geringsten statischen Aufwand fällt häufig die Wahl auf Systeme, bei denen die Balkone auf vor die Fassade gestellten Stützen mit eigenen Fundamenten ruhen. Oft erscheinen sie allerdings wie Fremdkörper und gelten daher gestalterisch eher als suboptimal. Einige Architekten haben jedoch in jüngster Zeit Lösungen für stützenfreie Anbaubalkone entwickelt, die nicht nur ausgezeichnet mit dem bestehenden Gebäude harmonieren, sondern auch ohne dessen aufwendige statische Ertüchtigung auskommen. Neue Verbindungstechniken ermöglichen zudem, dass sich die Konstruktionen auch bei schwieriger Bausubstanz sicher, energieeffizient und preiswert ausführen lassen.
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Balkone an Backstein
Der Architekt Georg Graetz von Graetz Architekten aus Berlin baute die alten Backsteingebäude des historischen Klinik-Campus Am Urban in Berlin-Kreuzberg zu zeitgemäßen Stadtwohnungen um. Vorgestellte Stützenreihen kamen bei dem mehr als 100 Jahre alten Ensemble schon aus denkmalpflegerischen Gründen nicht infrage. So entwickelte Graetz einen Balkontyp aus Stahl, der 1,20 Meter tief und je nach Bedarf drei oder sechs Meter breit ist. Mit ihrer schlichten und geometrischen Formgebung fügen sich die Balkone gut in die nüchterne Backsteinarchitektur der alten Klinik ein. Die von einer Schlosserei gefertigten Balkone sind in der Gebäudefassade mit speziell für diesen Anwendungsfall entwickelten Verankerungen befestigt.
Dazu wurden dem Mauerwerk zunächst Bohrkerne entnommen. In diese Öffnungen fügte man Verankerungselemente ein, die horizontal rückwärtig in der Deckenkonstruktion des Gebäudes verankert wurden und in der äußeren Fassaden-ebene Kopfplatten zur Aufnahme des Balkons besitzen. Die in den Verankerungselementen liegenden Dämmkörper gewährleisten eine wärmebrückenfreie Konstruktion. Mit speziellem Vergussmörtel wurden die Öffnungen kraftschlüssig geschlossen. An die Kopfplatten wurden die auskragenden Stahlträger angeschraubt, die den Balkon letztendlich tragen. Die Geländerpfosten bestehen aus 30 Millimeter breiten Quadrathohlprofilen, die Ausfachung aus 15 Millimeter dicken Stäben.
Stahl und Holz im Einklang
Ebenfalls mit der Sanierung eines gründerzeitlichen Mietshauses war das Büro Leibenatus Stockburger Wittayer Architekten Ingenieure aus Berlin beauftragt. Mitinhaber und Projektleiter Volker Wittayer entwarf die neuen Balkone an der Hofseite in einer Stahl-Holz-Konstruktion: Planken beziehungsweise Leisten aus unbehandeltem Lärchenholz wurden für Boden und Brüstung der Balkone verwendet, das konstruktive Tragsystem besteht aus verzinkten Stahlprofilen. Die Basis bilden dabei Rahmen aus verzinktem Profilstahl. Die 120 Millimeter hohen Lasteinleitungsträger, die die Balkone tragen, wurden 30 Zentimeter tief in das vorhandene Mauerwerk der Außenwand eingemörtelt.
Die Auflageröffnungen erhielten eine innenseitige Dämmplatte zur thermischen Trennung sowie Lastverteilerplatten aus Stahl zur Aufnahme der Einspannmomente. Alle Profile des Grundrahmens wurden untereinander auf der Baustelle verschraubt und an der Unterseite mit Zugbändern diagonal ausgesteift. Der selbsttragende Bodenbelag aus 44 Millimeter dickem Lärchenholz kommt ohne Zwischenunterstützung aus. Dadurch konnte das Gewicht erheblich reduziert werden. Sowohl rechteckige als auch in die Gebäudeecken eingepasste dreieckige Balkone aus Stahl und Holz prägen die neu gestaltete Fassade des modernisierten Wohnquartiers:
Wellen vor dem Haus
Eine interessante Kombination aus Anbau- und Vorstellbalkon realisierte das Büro Hild und K Architekten aus München, nachdem es den Auftrag für die Sanierung eines um das Jahr 1880 erbauten Wohnhauses in der Münchener Reichenbachstraße erhalten hatte. Die Architekten entwarfen sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Ebene wellenförmig anmutende Balkone. Je nach Etage sind die Wellen unterschiedlich breit und zudem gegeneinander versetzt, wodurch eine höchst lebendige Fassade entsteht. Als reine Anbau-Balkone wäre die bis zu 1,70 Meter auskragende Konstruktion ohne aufwendige statische Maßnahmen im Baubestand nicht realisierbar gewesen. Daher wählte man direkt vor die Fassade gesetzte vertikale Stützen, die punktuell in der Hauswand rückverankert sind und die Aufnahme der hohen Anschlusslasten gewährleisten. Im Blickfeld des Betrachters steht die Gesamtkonstruktion der Balkonanlage mit den harmonisch geschwungenen Geländern aus dunkel beschichteten Flachstäben. Vorgesetzte Stützen hätten hier das Bild erheblich getrübt.
Frank Peter Jäger arbeitet als Architekturkritiker und als Redakteur der Zürcher Ingenieurzeitschrift Tec21.
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