Dieser Beitrag ist unter dem Titel „In diesen Hohlraum muss sie kommen“ im Deutschen Architektenblatt 09.2024 erschienen.
Allen Dämmstoffkritikern zum Trotz: Der alles entscheidende Gamechanger für die Wärmewende ist und bleibt der Wärmeschutz der Gebäudehülle, der auf Passivhausniveau bis zu 80 Prozent des Heizenergieverbrauchs zu eliminieren versteht und damit einen beträchtlichen Anteil zur Reduzierung der CO₂-Emissionen beiträgt. Im Altbau als Nachrüstung im Geflecht ökonomisch-sozialer und technischer Randbedingungen, im Neubau mit der physikalisch optimalen Qualität.
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Vorteile der Einblasdämmung
Die Dämmung der mehr als zehn Milliarden Quadratmeter Gebäudehüllflächen in den 19 Millionen Wohnbauten und zwei Millionen Zweckbauten ist ohne Alternative und unabdingbar für den effizienten Wärmepumpenbetrieb, der den Stromverbrauch für die Gebäudeheizung und den Zubaubedarf für Windkraftwerke senkt [1].
Eine häufig unterschätzte und nicht immer im Fokus der Architekten stehende Dämmvariante ist die Einblasdämmung: technisch einfach, niedriginvestiv und damit sozial und zügig ausführbar. Sie bedarf in der Regel keiner Gerüststellung und nutzt vorhandene bauliche Gegebenheiten.
Einblasdämmung als günstige Alternative zum WDVS
Wenn Ausschreibungen und Angebotsanfragen Dämmkosten von über 200 Euro pro Quadratmeter Bauteil erbringen, werden viele Projekte unwirtschaftlich. Kaltmieten lassen sich nicht endlos anheben, jedoch der Handlungsdruck bleibt akut: Mieter stecken in der Heizkostenfalle. Die Lebenshaltungskosten sowie Bauzins- und Baupreissteigerungen laufen den realen Einkommen davon, was den finanziellen Spielraum bei der Gebäudedämmung und somit auch die erzielbare Energieeinsparung in den letzten Jahren spürbar eingeengt hat.
Nicht zuletzt wird dies in der stagnierenden energetischen Modernisierungsrate dokumentiert, die im Jahr 2022 sogar rückläufig war. Auf der Suche nach neuen Wegen für einen spürbaren Klimaschutz und sozialverträglichen energetischen Modernisierungskonzepten im Gebäudebestand spielen zukünftig niedriginvestive Techniken eine wachsende Rolle.
Einblasdämmung seit Jahrzehnten bewährt
Mit der seit Jahrzehnten bewährten Methode der Einblasdämmung lassen sich die Kosten einer üblichen Wärmedämmung, sei es ein WDVS oder eine Aufsparrendämmung, mindestens halbieren. Die Einblasdämmung erschließt keine neuen Einsparpotenziale, sondern nutzt die bereits vorhandenen auf eine kostensparende Art.
Das Einblasen des Dämmstoffs in vorhandene Hohlräume von Außenbauteilen oder auf ungenutzte Dachböden hält den baulichen Aufwand im moderaten Rahmen. Das klassische Verfahren mit einem gebläsebestückten Arbeitswagen vor dem Haus, von dem aus die Dämmflocken über einen Förderschlauch in oder auf das Bauteil gelangen, erlaubt eine zügige Umsetzung und erfordert keine teuren Trag- und Deckkonstruktionen.
Einsatzbereiche und Kosten von Einblasdämmung
Überall dort, wo sich ungenutzte Hohlräume in Außenbauteilen finden, kann die Einblasdämmung ihre Vorteile ausspielen. Komplizierte Geometrien, unebene Flächen mit Durchdringungen sind für das überall gut anliegende faserige, flockige oder granulatförmige Dämmmaterial ein ideales Terrain. Nicht zuletzt ist die Herstellung der Dämmflocken und Dämmgranulate einfach und daher billiger.
Diese Technik wurde ursprünglich für die Kerndämmung zweischaligen Mauerwerks entwickelt – in den USA und den Niederlanden wird sie seit 1965 erfolgreich eingesetzt. Es stehen 13 Dämmstoffarten in loser Faser-, Flocken- oder Granulatform und flüssiges Polyurethan (PU) als Gieß- oder Sprühschaum zur Auswahl. Mit dem PU-Gießschaum lässt sich die Außenschale historischer zweischaliger Wände statisch sichern und ihr U-Wert verbessern.
Der geringe Aufbereitungsgrad des losen Dämmmaterials reduziert den einmal anfallenden Herstellungsenergieaufwand, der sich über 50 Jahre Lebensdauer durch die Heizenergieeinsparung je nach Dämmstoff 18- bis 1200-mal amortisiert.
Das Potenzial der Einblasdämmung
Eine Studie des Energieinstituts Hessen zeigt 31 Anwendungsfelder, für die mindestens 13 passende und recyclingfähige Dämmstoffe zur Verfügung stehen. Zum Stichtag 2009 existierten in Deutschland 18,2 Millionen Wohngebäude mit einer Fläche von insgesamt 7,8 Milliarden Quadratmetern an opaken Außenbauteilen, von denen sich 60 Prozent oder 4,7 Milliarden Quadratmeter für die Einblasdämmung eignen.
Die Ergebnisse lassen sich auch auf Nichtwohngebäude übertragen, wo bereits Kuppel- und Binderdecken, komplizierte Geometrien und Hallendächer mit der Einblasdämmung versehen werden [2].
Die idealen Anwendungsbereiche bei Gebäuden sind:
- Kerndämmung zweischaliger Außenwände,
- Dachböden und Kehlbalkenlagen,
- Hohlräume in Abseiten und Dachschrägen,
- Gebäudetrennwände,
- Keller- und Kriechkeller.
Mit der Einblasdämmung lässt sich im Wohngebäudebestand ein Raumwärme-Einsparpotenzial von 41 Prozent oder 184 TWh/a erschließen, das CO2-Einsparpotenzial liegt bei 58 Millionen Jahrestonnen oder 29 Prozent der Emissionen des Gebäudesektors inklusive Nichtwohnbau. Die Amortisationszeit beträgt im Schnitt aller 31 Anwendungen neun Jahre, bei der Kerndämmung nur zwei bis drei Jahre. Die Grafik oben zeigt die Vielfalt der möglichen Anwendungen im Wohngebäudebestand und listet die Kosten je nach Art des Einbringens auf.
Serielle Sanierung mit Einblasdämmung
Bei selbst genutzten Einfamilienhäusern gleichartiger Bauform, wie sie häufig in Straßenzügen und Siedlungen zu finden sind, kann die Einblasdämmung auch seriell angelegt werden, wenn die Kommune oder ein anderer Organisator mithilft. Dies gilt für alle Einblasdämmverfahren im Dach, für die Kerndämmung von Außenwänden, für Gebäudetrennwände in gereihten Anlagen sowie für Kriechkeller in Reihenhausanlagen.
Praxisbeispiel 1: warmmietenneutrale Dämmung
Bei einem privat vermieteten Achtfamilienhaus in Beckum konnte die sieben Zentimeter breite Luftschicht im zweischaligen Außenmauerwerk innerhalb von drei Arbeitstagen mit einer Kerndämmung aus Glaswolleflocken (WLS 0,035 W/mK) versehen werden. Eingeblasen wurde von außen mithilfe eines Hubsteigers.
Kostenpunkt für die 350 Quadratmeter umfassende Außenwandfläche: rund 9.700 Euro oder 28 Euro/m² Bauteilfläche, abzüglich Förderung. Die Kehlbalkendecke (Spitzboden über den Dachgeschoss-Wohnungen) wurde per Einblasrohr über das Treppenhaus mit 40 cm Zelluloseflocken gedämmt.
Passivhausstandard erreicht
Ein aufgeständerter, 21 m langer Laufsteg sichert die Begehbarkeit. Der U-Wert von 0,1 W/(m2K) entspricht dem Passivhausstandard und reduziert die Wärmeverluste der Decke um 90 Prozent. Das physikalische Optimum der Energieeinsparung ist erreicht. Zudem freuen sich die Bewohner über die sommerliche Hitzeentlastung im Dachgeschoss.
Für die 66 Quadratmeter Bauteilfläche einschließlich Laufsteg fielen lediglich 2.400 Euro Kosten an, rund 37 Euro/m² Die Entlastung bei den Heizkosten fiel höher aus als die Kaltmietensteigerung aufgrund der umgelegten Sanierungskosten.
Praxisbeispiel 2: serielle Kerndämmung
Schon 1938 im Kieler Stadtteil Russee errichtet, waren die 100 Reihenhäuser der Kieler Wohnungsgesellschaft KiWoG in die Jahre gekommen. Die Heizkosten sollten sinken, der Heizenergieverbrauch lag im Durchschnitt bei annähernd 20 m3 Erdgas pro Quadratmeter Wohnfläche, einzelne Schimmelschäden schufen weiteren Handlungsbedarf.
Für eine Modernisierung war es daher höchste Zeit und nun steht die schrittweise Sanierung der „Kleinhäuser“ mit jeweils 60 Quadratmeter Wohnfläche an. Aufgrund der Einkommenslage der Bewohner soll diese möglichst sozialverträglich ablaufen, zudem ist wegen des Denkmalschutzes die Fassadenansicht unveränderbar.
75 Prozent besserer Wärmeschutz
So geriet die acht Zentimeter dicke Luftschicht im zweischaligen Mauerwerk recht schnell in den Fokus. Das Verfüllen derselben mit hydrophob eingestellter Einblasdämmung (Wärmeleitfähigkeit: 0,035 W/mK) im Jahr 2023 wurde an den hundert Gebäuden in seriellem Vorgehen innerhalb von 25 Tagen vollzogen. Am Ende verbesserte sich der Wärmeschutz der Außenwände um 75 Prozent vom ursprünglichen U-Wert 1,56 auf nun 0,36 W/(m²K).
Der Dämmstoff wurde vom Einblaswagen ohne Gerüststellung mit Schläuchen durch Bohrlöcher in 2-Cent-Größe in die Wände geblasen. Die raumseitige Temperatur der gedämmten Wände stieg von 12 °C auf 18 °C (bei -5 °C Außentemperatur). Bei den kleinen Gebäuden mit 43 Quadratmetern Außenwandfläche ist mit einer Heizkosteneinsparung um zehn Prozent zu rechnen.
Auf Mietumlage verzichtet
Dazu passt der geringe Kostenaufwand von nur 900 Euro pro Haus. So wurde auf die Mietumlage der Modernisierungskosten von nur drei bis vier Cent pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat verzichtet. Es ist eine Heizkosteneinsparung von rund fünf bis sechs Cent pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat zu erwarten. Die Modernisierung wurde vom Umweltschutzamt der Stadt Kiel und der KiWoG gemeinsam angestoßen und durchgeführt.
Faktencheck und Fehlinformationen zur Einblasdämmung
Die Gefahr von Feuchteschäden durch Einblasdämmung und die Wirkung der Kerndämmung auf Wärmebrücken sind noch immer ein Thema. Der Fachverband Einblasdämmung bietet hierzu zwei kostenfrei erhältliche Fachinformationen an (Bezug: a.drewer@fved.net).
Auszugsweise einige Fakten in Stichworten:
- Historisch wurden zweischalige Außenwände unbelüftet ausgeführt. Die DIN 1053 führte Ende der 50er-Jahre ohne wissenschaftliche Begründung die Belüftung des Hohlmauerwerks ein, die DIN 4108 lehnte Luftschichten in Wänden bereits seit 1952 mit physikalischer Begründung ab (Auffeuchtung, Feuchtewanderung), ließ sie aber in Norddeutschland zu. Ab 1996 erlaubte auch die DIN 1053 die Kerndämmung [3].
- Die Funktion belüfteter Hohlräume in Bauteilen war bei ihrer Einführung nicht wissenschaftlich untersucht. Die Theorie entstand nach 1945 als Reaktion auf die Verunsicherung durch die Vielfalt neuer Baukonstruktionen.
- Sämtliche ab 1952 einsetzende Untersuchungen bewiesen die Funktionstüchtigkeit der Kerndämmung, die die Außenschalen zweischaligen Mauerwerks mit Luftschicht trockener macht, nachgewiesen an über 500 Messungen [4].
- Eine niederländische Untersuchung an 164 Westwänden mit Kerndämmung fand die Dämmstoffe trockener vor als ihre baupraktische Feuchte [5].
- Es gibt keine unbelüfteten Luftschichten in Außenbauteilen, sie werden immer von Ritzen und Haarrissen her von Innen- oder Außenluft angeströmt. Der berechnete U-Wert von Bauteilen mit „unbelüfteten“ Luftschichten ist also real schlechter [6].
- Das Absacken von Dämmstoffen wurde beim Perlitegranulat beobachtet. Dieser Dämmstoff wird seit Jahrzehnten von Einblasdämmbetrieben in lotrechten Konstruktionen nicht mehr verarbeitet.
- Ausgasungen gab es in der Frühzeit bei Formaldehydschaum, dieser ist seit Langem verboten.
- Bei Kerndämmung steht die erforderliche Hydrophobierung in der DIN 4108/DIN 1053 und in den Zulassungen der Dämmstoffe.
- Alle Einblasdämmstoffe benötigen eine Zulassung, Einblasdämmbetriebe verarbeiten nur solche.
- Kerndämmung reduziert das Ausmaß der meisten Wärmebrücken in Außenwänden (Feuchte und Wärmeabfluss). Bei den Gebäudeecken, den Anschlüssen Kellerdecke/Wand und OG-Decke/Wand sollte man auch die Kellerdecke beziehungsweise den Dachboden dämmen [7].
- Einblasdämmung in Luftschichten und Hohlräumen senkt die Schimmelgefahr, die Temperatur an den innenseitigen Oberflächen der Außenbauteile steigt in der Regel über die Taupunkttemperatur an.
- Bindersteine und Drahtanker in der Luftschicht sind feuchtetechnisch unproblematisch.
- Mörtelreste am Boden in der Luftschicht müssen als Wärmebrücke hingenommen werden. Abhilfe würde hier nur eine zusätzliche Dämmung der Wand von außen oder innen schaffen.
- Sommerkondensation kann bei ungedämmten zweischaligen Wänden mit Luftschicht vorkommen und zu Schimmel in unbelüfteten Räumen führen. Die Kerndämmung unterbindet dies.
- Bei verschiedenen Bauteilen kann der Passivhausstandard sehr kostengünstig erreicht werden, bei anderen begrenzt der Hohlraum die Dämmdicke. Gleichwohl ermöglicht dieser Einstieg in den Klimaschutz zu jeder Zeit die Nachrüstung eines physikalisch optimalen Wärmeschutzes (Außen- oder Innendämmung). Die Heizkosteneinsparung durch die Kerndämmung bildet den Grundstock für spätere Sanierungsinvestitionen.
- Die Kerndämmung ist die Voraussetzung für die volle Funktionsfähigkeit einer späteren Außendämmung, die sonst von Kaltluft im Luftraum hinterströmt würde.
- Für das Einbringen der Einblasdämmung müssen Hohlräume mindestens drei Zentimeter dick sein.
- Förderung: Kerndämmung wird auch bei Überschreiten des U-Wertes von 0,2 W/(m2K) gefördert, wenn ein Dämmstoff der WLS 0,035 W/(mK) eingebaut wird.
Werner Eicke-Hennig war seit 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Wohnen und Umwelt (IWU). Seit 2017 ist er im Ruhestand und betreibt das Energieinstitut Hessen
Literatur und Quellen
- [1] Roadmaps der Chemie-, Stahl-, Zement-, Kalksandstein-, Putz-, Ziegelindustrie 2016 bis 2022; Dr. Rainer Vallentin, C0₂-Global-Budget für Gebäude, in: Passivhausinstitut,
Protokollband 58, Darmstadt 2024; AGORA (Hrsg.), ifeu-Heidelberg u. a., Wert der Energieeffizienz im Gebäudesektor in Zeiten der Sektorkopplung, Heidelberg/Berlin 2019; IWU Institut Wohnen und Umwelt u. a., Analyse der Energieversorgungsstruktur für den Wohngebäudesektor zur Erreichung der Klimaschutzziele 2050, Darmstadt 2019; Ökoinstitut u.a., Systematische Herausforderung der Wärmewende, UBA-Studie, Dessau 2020
- [2] Energieinstitut Hessen, Niedriginvestive Energiespartechniken für die Energiewende im Gebäudesektor, Frankfurt und Paderborn 2022
- [3] Dr. Helmut Künzel, Bauphysik – Geschichte und Geschichten, Stuttgart 2002, S. 55
- [4] Dr. Helmut Künzel, Reihen-Vergleichs-Versuche an künstlich bewohnten Versuchsbauten der Freiland-Versuchsstelle bei Holzkirchen/Obb., Außenstelle des Instituts für technische Physik, Berlin 1958
- [5] Ernst K. H. Wulkan, Das Verhalten von Dämmstoffen in nachträglich verfülltem zweischaligem Mauerwerk mit Luftschicht, in: Bauphysik 4/1983
- [6] Dr. Helmut Künzel, Zweischaliges Mauerwerk – mit oder ohne Belüftung, in: wksb, Heft 42/1998; Leopold Sautter, Der Hohlmauer-Aberglauben, Bauwelt 47 und 51, 1939; Gösele/Schüle, Schall, Wärme, Feuchtigkeit, Wiesbaden 1972
- [7] Fachverband Einblasdämmung FVED, Fachinformation Nr. 2, Paderborn 2023
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Gut dass dieser Artikel erscheint! Man kann es garnicht genug betonen: Die Einblasdämmung bei zweischaligem Mauerwerk und auch sonst ist eine der niederschwelligsten und kosteneffizientesten ernergetischen Verbesserungen. Leider wird ihr Potenzial bei Architekten, Bauherren und Energieberatern immer noch nicht richtig erkannt. Es bleibt zu hoffen dass sich dies endlich ändert!