
Die Gebäuderichtlinie der EU soll den Gebäudesektor bis 2050 klimaneutral machen.
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Der Bau- und Gebäudesektor steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Der europäische Immobilienbestand spielt eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Pariser Klimaziele, da er derzeit etwa 36 Prozent der energiebedingten Treibhausgasemissionen und rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Europäischen Union (EU) ausmacht.
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Was ist die EU-Gebäuderichtlinie?
Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, hat die EU die bestehende Gebäuderichtlinie EPBD (Energy Performance of Buildings Directive) umfassend überarbeitet. Die neue EU-Gebäuderichtlinie setzt nicht nur ambitionierte Ziele für die Dekarbonisierung und Modernisierung des Gebäudebestands, sondern definiert auch neue Standards für Planung, Bau und Sanierung.
Zentrale neue Aspekte sind die Lebenszyklusbetrachtung sowie das Konzept des Nullemissionsgebäudes. Andere Anforderungen, wie die Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz, der Begriff des Niedrigstenergiegebäudes oder Energieeffizienzausweise, bleiben aus der bisherigen Fassung erhalten.
Dieser Beitrag beleuchtet die wesentlichen Neuerungen der Richtlinie und beantwortet potenzielle Fragen für den Planungsprozess.
An wen richtet sich die EPBD und ab wann gilt sie?
Begründet die EU-Gebäuderichtlinie unmittelbare Pflichten?
Eine EU-Richtlinie entfaltet keine unmittelbare Wirkung, sondern muss zunächst von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Erst durch diesen Umsetzungsakt ergeben sich verbindliche Pflichten für Akteure der Baubranche sowie für Immobilieneigentümer.
Sind die Vorgaben nicht bereits durch das GEG erfüllt?
Das bisherige Gebäudeenergiegesetz (GEG) hat die Anforderungen der alten EU-Gebäuderichtlinie in deutsches Recht überführt. Um jedoch die verschärften Vorgaben der neuen Richtlinie zu erfüllen, wird eine Novelle des GEG erforderlich sein. Zudem sind Änderungen weiterer Gesetze, insbesondere der Landesbauordnungen, zu erwarten.
An wen richten sich die kommenden Pflichten?
Die durch die Mitgliedstaaten umzusetzenden Vorgaben werden sich voraussichtlich an sämtliche Akteure der Bau- und Immobilienbranche richten. Neben den Eigentümern von Bestandsgebäuden betrifft dies insbesondere Bauherren, Investoren, Architekten und weitere Planer.
Welche Sanktionen drohen beim Verstoß gegen die Pflichten?
Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, wirksame und abschreckende Sanktionen zu erlassen, um die Umsetzung der Richtlinie sicherzustellen. Es ist davon auszugehen, dass – ähnlich wie im GEG – entsprechende Vorschriften in das nationale Bußgeldrecht aufgenommen werden.
Bis wann muss Deutschland die EU-Gebäuderichtlinie umsetzen?
Der Großteil der neuen Vorgaben muss bis zum 29. Mai 2026 in nationales Recht überführt werden. Eine Ausnahme bildet das Verbot, Heizkessel mit fossilen Brennstoffen zu fördern, das bereits zum 1. Januar 2025 umgesetzt sein muss. Für Deutschland ändert sich insoweit nichts, da es keine Förderungen gab.
Müssen Planer bereits jetzt die neuen Standards einhalten?
Eine unmittelbare rechtliche Verpflichtung ergibt sich derzeit nicht aus dem öffentlichen Recht. Allerdings können Architekten und andere Planer vertraglich dazu verpflichtet sein, die neuen Standards einzuhalten. Unabhängig davon ist es ratsam, die Vorgaben der Richtlinie bereits jetzt zu berücksichtigen, um Bauherren vorausschauend und zukunftssicher zu beraten.
Das Nullemissionsgebäude
Welche neuen Standards müssen bei Neubauten erfüllt werden?
Das Nullemissionsgebäude wird langfristig den bisherigen Standard des Niedrigstenergiegebäudes für Neubauten ablösen. Während der Übergangszeit müssen Neubauten jedoch mindestens den Anforderungen eines Niedrigstenergiegebäudes entsprechen.
Was ist ein Nullemissionsgebäude?
Ein Nullemissionsgebäude zeichnet sich durch eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aus. Es benötigt entweder keine oder nur eine geringe Energiemenge, verursacht keine CO₂-Emissionen aus fossilen Brennstoffen am Standort und minimiert betriebsbedingte Treibhausgasemissionen. Zudem soll es – soweit wirtschaftlich und technisch realisierbar – auf „externe Signale“ reagieren können, um seinen Energieverbrauch sowie seine Energieerzeugung oder -speicherung anzupassen.
Ab wann werden Nullemissionsgebäude der bautechnische Standard?
Spätestens ab dem 1. Januar 2030 müssen alle Neubauten als Nullemissionsgebäude errichtet werden. Für Gebäude, die sich im Eigentum öffentlicher Einrichtungen befinden oder ausschließlich von der öffentlichen Hand genutzt werden, gilt diese Vorgabe bereits ab dem 1. Januar 2028. Hierbei bleibt es den Mitgliedstaaten freigestellt, solche Neubauten von dem neuen Standard auszunehmen, für die zu den vorstehenden Stichtagen bereits Baugenehmigungsanträge gestellt wurden.
Wie soll der Energiebedarf eines Nullemissionsgebäudes gedeckt werden?
Der Energiebedarf soll vorrangig durch erneuerbare Energiequellen gedeckt werden, die entweder direkt am Standort oder in dessen Nähe erzeugt werden. Dazu gehören Solarthermie, Geothermie, Photovoltaik, Wärmepumpen, Wasserkraft, Windenergie und Biomasse. Zusätzlich werden Energiequellen aus erneuerbaren Energiegemeinschaften sowie hocheffizienten Fernwärme- und Fernkältesystemen berücksichtigt. Ergänzend kann auch Energie aus anderen kohlenstofffreien Quellen genutzt werden.
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Die Gesamtenergieeffizienz
Wie wird die Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes ermittelt?
Die Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes bezeichnet die berechnete oder gemessene Energiemenge, die erforderlich ist, um den Energiebedarf für die übliche Nutzung des Gebäudes zu decken. Dazu gehören Heizung, Kühlung, Lüftung, Warmwasserbereitung, Beleuchtung sowie andere gebäudetechnische Systeme. Die EU-Gebäuderichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, eine einheitliche Berechnungsmethode zur Festlegung der Mindestanforderungen zu entwickeln.
Wie hoch muss die Gesamtenergieeffizienz eines Neubaus mindestens sein?
Der Energiebedarf eines Neubaus muss unter einem von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwert liegen. Dieser muss mindestens 10 Prozent niedriger sein als der derzeit für Niedrigstenergiegebäude geltende Grenzwert.
Die Lebenszyklusbetrachtung bei Neubauten
Wie beeinflusst die Lebenszyklusbetrachtung den Planungsprozess?
Für Neubauten müssen die Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen berechnet und im Ausweis über die Gesamtenergieeffizienz vermerkt werden. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Grenzwerte für Lebenszyklus-Emissionen für alle neuen Gebäude festzulegen. Dies wird dazu führen, dass Planer künftig vermehrt emissionsarm produzierte und gut recycelbare Bauprodukte auswählen müssen, um die vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.
Was fällt alles unter Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen?
Die Lebenszyklus-Treibhauspotenziale eines Gebäudes umfassen sämtliche CO₂-Emissionen, die über den gesamten Lebenszyklus entstehen – von der Herstellung und Beförderung der Bauprodukte, über die Tätigkeiten auf der Baustelle, den Energieverbrauch im Gebäude, den Austausch von Bauprodukten bis hin zum Abbruch, der Beförderung und Bewirtschaftung von Abfallmaterialien und ihrer Wiederverwendung, ihrem Recycling und ihrer endgültigen Entsorgung.
Wie werden die Lebenszyklus-Treibhauspotenziale eines Gebäudes berechnet?
Die Berechnung erfolgt gemäß der Norm EN 15978:2011 (Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der umweltbezogenen Qualität von Gebäuden – Berechnungsmethode), ergänzt durch den Level(s)-Rahmen der EU. Die Treibhausgasemissionen werden in Kilogramm CO₂ pro Quadratmeter Nutzfläche angegeben und auf einen Zeitraum von 50 Jahren bezogen. Mitgliedstaaten dürfen nationale Berechnungsmethoden verwenden, sofern diese die Mindestanforderungen des Level(s)-Rahmens erfüllen. Falls für bestimmte Baumaterialien bereits CO₂-Werte gemäß Verordnung (EU) 305/2011 vorliegen, müssen diese herangezogen werden. Die Norm EN 15978:2011 befindet sich derzeitig in Überarbeitung.
Ab wann müssen die Lebenszyklus-Treibhauspotenziale ausgewiesen werden?
Diese Pflicht gilt ab 2028 für Neubauten über 1.000 m² Nutzfläche, ab 2030 für alle neuen Gebäude.
Ab wann gelten die Grenzwerte für die Lebenszyklus-Treibhauspotenziale?
Die Grenzwerte für Lebenszyklus-Emissionen müssen bis 2027 festgelegt werden. Ab 2030 gelten sie verpflichtend für alle Neubauten.
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Anforderungen an den Gebäudebestand
Welche Vorgaben gelten für den Gebäudebestand?
Die EU-Gebäuderichtlinie unterscheidet zwischen den rechtlichen Anforderungen für Nichtwohngebäude und Wohngebäude. Nichtwohngebäude unterliegen dabei strengeren Vorgaben.
Welche Vorgaben müssen Nichtwohngebäude erfüllen?
Die Mitgliedstaaten müssen Mindestvorgaben für die Gesamtenergieeffizienz für Nichtwohngebäude festlegen. Die Referenzwerte für die Mindestvorgaben ergeben sich aus den energetisch schlechtesten Nichtwohngebäuden im Bestand mit Stand 1. Januar 2020. Nach dem europäischen „worst-first“-Ansatz müssen bis 2030 die ineffizientesten 16 Prozent und bis 2033 die ineffizientesten 26 Prozent der Nichtwohngebäude sorenoviert werden, dass diese eine bessere Gesamtenergieeffizienz unterhalb der Schwellenwerte haben. Weitere Verschärfungen sind bis 2040 und 2050 vorgesehen, um langfristig die Klimaneutralität des Gebäudebestands zu gewährleisten.
Wird es Ausnahmen geben?
Ja, Ausnahmen sind insbesondere bei „erheblichen Härtefällen“ oder einer ungünstigen Kosten-Nutzen-Analyse möglich. Falls eine solche Analyse negativ ausfällt, müssen dennoch zumindest jene Renovierungsmaßnahmen umgesetzt werden, die ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen.
Müssen Wohngebäude energetisch saniert werden?
Für Inhaber von Wohngebäuden werden Renovierungen auf Dauer unumgänglich sein. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, nationale Pfade zur schrittweisen Sanierung des Wohngebäudebestands festzulegen. Das Ziel bleibt, den nationalen Gebäudebestand zwischen 2030 und 2050 schrittweise in Richtung Nullemissionsgebäude zu transformieren. Konkret soll der durchschnittliche Primärenergieverbrauch des gesamten Wohngebäudebestand bis 2030 um mindestens 16 Prozent und bis 2035 um mindestens 20 bis 22 Prozent reduziert werden.
Werden individuelle Renovierungspflichten für Wohngebäude kommen?
Derzeit gibt es keine direkte Renovierungspflicht für private Wohngebäude. Entgegen ursprünglichen Planungen enthält die EU-Gebäuderichtlinie keine konkreten Mindestvorgaben, die eine zwingende Sanierung auslösen würden. Allerdings könnten Mitgliedstaaten verschiedene Anreize oder Verpflichtungen schaffen, um die Ziele des nationalen Renovierungspfades zu erreichen. Eine mögliche Maßnahme wäre eine Renovierungspflicht im Gebäudeenergiegesetz (GEG), falls freiwillige Sanierungen trotz finanzieller Anreize nicht ausreichen. Die konkrete Umsetzung bleibt jedoch den nationalen Gesetzgebern überlassen.
Welche Wohngebäude müssen zuerst saniert werden?
Auch für Wohngebäude gilt der „worst-first“-Ansatz. Die Richtlinie sieht vor, dass 55 Prozent der Energieeinsparungen durch die Sanierung der ineffizientesten 43 Prozent der Gebäude erzielt werden.
Wann müssen Bestandsgebäude die Mindestanforderungen für die Gesamtenergieeffizienz einhalten?
Ein Bestandsgebäude (egal ob Wohngebäude oder nicht) muss die Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz dann erfüllen, wenn es oder eine seiner Gebäudeeinheiten einer „größeren Renovierung“ unterzogen wird – vorausgesetzt, dass dies technisch, funktionell und wirtschaftlich realisierbar ist.
Heizung, Photovoltaik und Gebäudeautomation
Gibt es neue Vorgaben für Gasheizungen und Ölheizungen?
Nach § 72 Abs. 4 Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist der Betrieb von Heizkesseln mit fossilen Brennstoffen bereits jetzt nur noch bis Ende 2044 zulässig. Die EU-Richtlinie geht jedoch noch weiter: Sie sieht im Rahmen des nationalen Gebäuderenovierungsplans einen schrittweisen Ausstieg aus fossilen Heizkesseln bis 2040 vor. Ein explizites Verbot von Gas- oder Ölheizungen enthält die Richtlinie allerdings nicht.
Kommt eine europaweite Solaranlagenpflicht?
Derzeit gibt es bereits in mehreren Bundesländern gesetzliche Vorgaben zur Solaranlagenpflicht. Die EU-Gebäuderichtlinie führt jedoch verbindliche Vorgaben für alle Mitgliedstaaten ein und wird voraussichtlich Anpassungen der bestehenden Bauvorschriften erforderlich machen.
Ab wann gelten welche Solarpflichten?
Ab Ende 2026 müssen neue öffentliche Gebäude und Nichtwohngebäude über 250 m² Gesamtnutzfläche mit Solartechnologien ausgestattet werden. Bestehende öffentliche Gebäude unterliegen gestaffelten Fristen: über 2.000 m² bis Ende 2027, über 750 m² bis Ende 2028 und über 250 m² bis Ende 2030. Auch bestehende Nichtwohngebäude mit mehr als 500 m², die umfassend saniert werden oder genehmigungspflichtigen Maßnahmen unterzogen werden, müssen bis Ende 2027 nachgerüstet werden. Zudem gilt die Solarpflicht für neue Wohngebäude und überdachte Parkplätze spätestens ab Ende 2029.
Gibt es Befreiungen von der Solaranlagenpflicht?
Die Verpflichtung greift nur, wenn die Installation technisch machbar sowie wirtschaftlich und funktional vertretbar ist. Bei der Umsetzung dieser Pflichten in nationales Recht sollen die Mitgliedstaaten auch die strukturelle Integrität, Gründächer und die Isolierung von Dachböden und Dächern berücksichtigen. Anders als in einigen Bundesländern sind aktuell keine generellen Ausnahmen aufgrund von Denkmalschutzvorgaben vorgesehen.
Welche Gebäude benötigen Gebäudeautomations- und Steuerungssysteme?
Nichtwohngebäude mit Heizanlagen, Klimaanlagen, kombinierten Raumheizungs- und Lüftungsanlagen oder kombinierten Klima- und Lüftungsanlage über 290 kW bis 2025 und bei einer Nennleistung über 70 kW müssen bis zum 31. Dezember 2029 mit Gebäudeautomations- und Steuerungssystemen ausgestattet sein.
Dr. Marvin Klein ist Rechtsanwalt bei Hecker Werner Himmelreich Rechtsanwälte in Köln mit Schwerpunkten im öffentlichen Bau- und Planungsrecht, Umweltrecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht. Zudem ist er Lehrbeauftragter der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung
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