Professor Dr. Robert Off
Neue transparente und UV-durchlässige Folien aus Fluorkunststoffen machten es möglich, dass in der textilen Architektur immer öfter Kissenkonstruktionen eingesetzt werden. Kissenkonstruktionen zählen wie Traglufthallen zu den pneumatischen Konstruktionen. Ein „Kissen“ entsteht, indem zwei oder drei Lagen aus beschichteten technischen Geweben oder Folien an den Rändern in starren Profilen zusammengeführt werden. Durch Luftzufuhr in den Innenraum werden die Membranen stabilisiert und nach außen gewölbt.
Während bei Traglufthallen die vertikalen Lasten über die eingeschlossene Luft als Druck auf den Boden abgetragen werden, erfolgt die Lastabtragung bei Kissen durch Zugkräfte über die umhüllende Membran. Bei Auflast wie Schnee wird das Kissen deformiert und die pneumatisch gleichmäßig vorgespannten Oberflächen werden ausgelenkt. Die Spannung der oberen Seite wird reduziert und die untere Seite höher beansprucht. Letztlich trägt die untere Folie die Last allein ab. Bei Windsog kehren sich die Verhältnisse um. Dem Grunde nach verhält sich eine Kissenkonstruktion wie eine Luftmatratze. Und ist mit größeren Verformungen zu rechnen, wird der Druck erhöht.
Der Vergleich mit einer Luftmatratze greift auch, um die Wandlungsfähigkeit zu demonstrieren. Luft ablassen, zusammenrollen und verstauen: Diese Möglichkeit des Auf- und Abbauens war mit ein entscheidender Grund, um zum Beispiel in der Arena von Nîmes auch im Winter den Veranstaltungsbetrieb zu ermöglichen.
Als gängige Standardmaterialien werden transluzente PVC-beschichtete Polyestergewebe eingesetzt. Die große neue Gruppe sind die transparenten ETFE-Folien. Letztere sind bis zu 96 Prozent lichtdurchlässig, selbstreinigend und in Verbindung mit ihrem geringen Eigengewicht ein wirtschaftliches Konkurrenzprodukt zu traditionellen transparenten Materialien wie Glas oder Polykarbonatplatten. Ein wesentliches Merkmal gegenüber Glas ist ihre hohe Durchlässigkeit gegenüber UV-Strahlung. Durch Bedrucken der Oberflächen lässt sich die Lichtdurchlässigkeit beliebig reduzieren. Folien haben eine Lebensdauer von mehr als 25 Jahren, sind UV-stabil, selbstreinigend sowie schwer entflammbar nach Baustoffgruppe B2. Sie haben ein geringes Eigengewicht von 0,05 bis 2,0 kg/m². Sowohl ETFE-Folien als auch PVC-beschichtete Polyestergewebe sind voll recycelbar.
Neben den Vorteilen sollen die kritischen Punkte nicht außer Acht gelassen werden. Pneumatische Kissenkonstruktionen sind mithilfe eines geregelten Systems, an das jedes einzelne Kissen angeschlossen werden muss, konstant unter Druck zu halten. Einmal „aufpumpen“ genügt also nicht. Dadurch lässt sich der Innendruck dem Bedarf an abzutragenden Lasten (Wind, Schnee) anpassen. Zusätzlich muss die zugeführte Luft konditioniert werden, um Schimmel- und Tauwasserbildung innerhalb des Kissens zu vermeiden.
Kleinere Leckstellen, die zum Beispiel durch das Picken von Vögeln entstehen, sind unbedenklich. Zur Sicherheit sollten über die Randprofile der Kissen dennoch Drähte gespannt werden. Die bislang größten Nachteile sind die geringen Spannweiten der freitragenden Kissen (ohne Seilunterstützung). Schläuche erlauben einen Achsabstand von 3,5 bis vier Metern, polygonale oder runde Kissen stoßen bei einem Durchmesser von acht Metern an ihre absoluten Grenzen.
Auch die Frage nach dem U-Wert löst Unverständnis bei Fachleuten wie dem Membran- und Bauphysiker Rainer Blum (Labor Blum, Stuttgart) aus. Da neben den Wärmeübergangseigenschaften an den Trennflächen vor allem Strahlungsvorgänge sowohl im sichtbaren wie im infraroten Bereich eine entscheidende Rolle spielen, ist das energetische Verhalten von Kissenkonstruktionen mit den vorhandenen Normen nur schwer fassbar. Im Einzelnen sind die Prozesse beherrschbar. Noch hat sich aber keine zusammenfassende Darstellung und Berechnungsmethode etabliert.
Mit strahlungsbeeinflussenden Beschichtungen (Low-e-Beschichtungen) in mehrlagigen Konstruktionen lassen sich ausreichend gute Werte erzielen. Wird auf Durchsichtigkeit verzichtet, können transluzente Dämmstoffe (zum Beispiel Silikagel) eingesetzt werden, wodurch noch wesentlich bessere Werte möglich sind und dennoch ausreichend natürliches Licht zur Verfügung steht.
Der Schallschutz ist ebenfalls ein Thema, denn eine nahezu masselose Konstruktion absorbiert kaum Schallwellen. Über die Oberflächeneigenschaften und die Ausführung mehrschichtiger Konstruktionen lässt sich hier in gewissen Grenzen Abhilfe schaffen. Es kann eine Schalldämmung bis 20 Dezibel erreicht werden. Akustische Phänomene, wie der „Trommeleffekt“ bei Regen, sind ebenfalls zu bedenken. So kann ein Gewebe zur Reduktion der Tropfendurchmesser über die Kissen gespannt, ein Vlies auflaminiert oder die Rauigkeit der Oberfläche verändert werden.
Visionen rücken näher
Auf dem Gebiet der Energieoptimierung von Membrankonstruktionen und der Integration von Photovoltaik gibt es interessante neue Entwicklungen. Dr. Cremers von der SolarNext AG arbeitet unter anderem an „PV Flexibles“. Das sind in transluzente PTFE- (Polytetrafluorethylen) oder transparente ETFE-Membranen integrierte Photovoltaikelemente. Diese lassen sich auch für pneumatisch gestützte Kissenkonstruktionen einsetzen und bieten damit erstmals die Möglichkeit einer gebäudeintegrierten Anlage für den Membranbau.
Dies ist der erste Schritt hin zu einer siliziumbeschichteten stromerzeugenden tragenden Membran.Das Institut für Membran- und Schalentechnologien (IMS) e.V. entwickelte mit dem Belgischen Stahlkonzern Bekaert ein patentgeschütztes Kissen-Gurtsystem, das einem Kreuzgitter ähnelt. Es setzt sich aus parallelen und sich kreuzenden Gurten zusammen, die aus in PUR (Polyurethan) und ETFE eingebetteten Stahlseilen bestehen. Die einzelnen Kissen sind hierbei miteinander verbunden, was nur noch ein einziges Klemmprofil an den Rändern des Gesamtfeldes notwendig macht.
Dadurch ist es möglich, große Spannweiten zu erzielen und die gesamte Fläche wie ein einziges großes Kissen mit Luft zu versorgen. Gleichzeitig kann das Gurtsystem als zugbeanspruchte Seilnetzkonstruktion ausgebildet werden und somit als primäre Tragstruktur fungieren. Daraus ergeben sich viele Möglichkeiten visionäre Architekturen zu erzeugen.
Professor Dr. Robert Off ist Direktor des Instituts für Membran- und Schalentechnologien e.V. an der Hochschule Anhalt (FH) in Dessau.