Text: Heiko Haberle
Das Thema Brandschutz ist emotional aufgeladen. Einerseits weckt es Urängste; andererseits gilt es als wesentlicher Faktor dafür, dass das Bauen immer komplizierter wird (siehe auch Standpunkt). Dabei haben Anforderungen an Energie- und Lüftungstechnik mindestens genauso viele Auswirkungen auf einen Entwurf. Reinhard Eberl-Pacan ist Architekt und Brandschutzplaner mit Büro in Berlin, außerdem leitender Redakteur der Zeitschrift Bauen+ für Energie, Brandschutz, Bauakustik und Gebäudetechnik. Er versendet Newsletter, betreibt eine Brandschutz-Akademie und veranstaltet Brandschutz-Stammtische. Diese offensive Öffentlichkeitsarbeit für das Thema gefällt vermutlich nicht jedem in der „Szene“, wirkt doch der Brandschutz sonst eher im Hintergrund und wird im Idealfall nie benötigt.
Dass der Brandschutz, wie viele andere Sicherheitsvorkehrungen, die unsere Gesellschaft entwickelt hat, still und ohne Behinderungen für den Alltag funktionieren muss, sagt auch Eberl-Pacan selbst. Er möchte vor allem den Architekten die Angst vor dem Thema nehmen und es als selbstverständlichen Teil des Entwurfs vermitteln. „Architekten haben immer Brandschutz gemacht, ohne es zu merken“, findet Eberl-Pacan. Die Organisation des Gebäudes, seine Erschließung und Unterteilung sind nicht nur die ersten Entwurfsaufgaben, sondern auch die Voraussetzungen für Fluchtwege und Brandabschnitte. Dabei empfindet er es als besonders wichtig, auch als Fachplaner eine architektonische Sicht auf den Gesamtentwurf zu haben und erst später in die Details zu gehen. Und „man sollte in Alternativen denken und den Entwerfern Optionen lassen, etwa auf eine Brandwand zu verzichten, aber dafür mehr Gebäudetechnik zuzulassen“.
Ein Bereich, in dem architektonisch gerade viel passiert, ist der Schulbau. Ganztagsbetrieb und neue Lernkonzepte verändern die Gebäude. Zu den Klassenräumen kommen offene Gemeinschaftsbereiche. Verkehrsflächen sollen auch dem Aufenthalt dienen. Der „notwendige Flur“, der keine Brandlasten enthalten darf, ist hier fehl am Platz. Eine Lösung kann die Anordnung von Klassenräumen und möglichen Zusatzflächen in mehreren „Clustern“ sein. Die sind aus pädagogischen Gründen inzwischen oft gewünscht und kommen dem Brandschutz dabei entgegen, weil überschaubare Einheiten entstehen. Die 2016 fertig gestellte Johannes-Schule in Berlin-Schöneberg besitzt drei Flügel, die als Cluster mit je eigenem Treppenhaus und Fluchtszenario definiert wurden: einer für Klassenräume, einer für Fachräume, einer für Sonderräume wie Foyer, Mensa und Eurythmie-Saal. Als Teil eines Waldorf-Campus ist neben der Schule ein Kindergarten entstanden. Weitere Gebäude sollen folgen.
Brandschutz entwerfen
Die Architekten Minka Kersten und Andreas Kopp vom Büro Kersten + Kopp wollten die Schule als Holzbau errichten und banden schon früh Reinhard Eberl-Pacan ein – laut Kopp, „weil Holzbau in der Bauaufsicht immer noch ein Angstthema ist und für uns trotz Erfahrungen auf diesem Gebiet kein Tagesgeschäft“. Der Partner sollte dann möglichst jemand sein, der Brandschutz als kreative Disziplin begreift und im Fall einer Schule auch pädagogische Konzepte versteht. Kopp kennt nämlich zwei Typen von Brandschutzplanern: „Die einen, die offensiv und konstruktiv damit umgehen. Und die anderen, die nicht mitplanen, sondern prüfend auftreten, als seien sie selbst die Bauaufsicht. Das macht einen großen Unterschied für die Planung.“ Dass der Holzbau bisher wenig reguliert ist, sei auch eine Chance, findet Eberl-Pacan. Auf einem Gebiet, das erst von wenigen Experten bearbeitet wird, könne idealerweise ein Nachweis so schlüssig erbracht werden, dass die Bauaufsicht kaum handeln müsse.
Die Johannes-Schule besteht aus Brettschichtholzdecken, die auf Innenwänden aus Brettsperrholz lagern. Die Außenwände sind als Holzrahmenkonstruktion mit dämmender Zellulose-Füllung ausgeführt. Jene Wände, die die Cluster voneinander trennen, sollten feuerhemmend ausgebildet werden. Diese Eigenschaft bringt das Holz – verwendet wurde Fichte – aber ohnehin selbst mit, weil es sehr kontrolliert und vorhersagbar abbrennt, nämlich um 0,7 Millimeter pro Minute. Damit eine Standsicherheit von 30 Minuten erreicht wird, musste also das Holz so bemessen werden, dass nach 30 Minuten Abbrennen der tragende Kern noch vorhanden ist. Solange der Brand vorher gestoppt wird, kann das zerstörte Material übrigens auch ersetzt werden. Für die Schule bedeutete das 16 Zentimeter starke Wände. Weil aber ohnehin nur bestimmte Maße produziert werden und auch statische Anforderungen hinzukommen, unterscheiden sich die feuerhemmenden Wände nicht von den anderen.
Die Cluster sind durch Brandschutztüren voneinander getrennt, die aber im Betrieb offen stehen dürfen. Im Brandfall sorgen Rauchmelder für ein automatisches Schließen. Dadurch sind die Flure für den Aufenthalt nutzbar. Weil die drei Cluster aber jeweils größer als 400 Quadratmeter sind, wurde eine Brandmeldeanlage mit Direktmeldung bei der Feuerwehr notwendig. Im doppelstöckigen Foyer erschwert ein Holzsturz über der Galerie – der vor allem als architektonisches Mittel überzeugt – die Rauchausbreitung. Ein zusätzlicher Rauchschutzvorhang wurde hier nötig, damit die Versammlungsstätten-Verordnung nicht im gesamten Haus gilt, sondern nur für Foyer und Mensa. Dass Treppenhäuser und Sanitärkerne in Stahlbeton ausgeführt wurden, hat mit einem gestalterisch gewünschten Materialwechsel zu tun. Der schalungsraue Beton korrespondiert dabei mit der Holzkonstruktion.
Mogeln geht nicht mehr
Das klingt zumindest im Nachhinein alles recht einfach. Und tatsächlich macht Eberl-Pacan oft die Erfahrung, dass Bauherren, etwa die großen Wohnungsbaugesellschaften, geradezu enttäuscht seien, wie wenige Eingriffe der Brandschutz verursache: „Die denken: Das muss doch wehtun.“ Weh tue es vor allem, wenn der Experte zu spät einbezogen werde, berichtet Stephan Appel, Architekt, Brandschutzplaner und Sachverständiger aus dem fränkischen Volkach. Nach seiner Erfahrung sehen Architekten den Brandschutz immer noch als notwendiges Übel an: „Die Fachplaner werden meistens zu spät beteiligt. Das ist sogar schlimmer geworden.“ Irgendwann könne er dann nur noch in die Trickkiste greifen und der Entwurf leide darunter. „Das tut mir dann besonders leid, weil man Probleme partnerschaftlich früh hätte lösen können.“ Entgegen landläufigen Meinungen, findet Appel sogar, dass es leichter geworden sei, die Anforderungen an den Brandschutz zu erfüllen, denn diese seien dank neuer Erkenntnisse und Bauprodukte heute zielgerichteter. Dass früher scheinbar alles einfacher war, liegt für ihn auch daran, dass Regeln nicht beachtet wurden. „Doch durchmogeln geht nicht mehr!“ Dem stimmt auch Eberl-Pacan zu: „Früher kannte man bei der Bauaufsicht seine speziellen Ansprechpartner, wusste genau, wer worauf achtet – und hat entsprechend nur das vorgelegt.“
Appel rät Architekten auch davon ab, Brandschutznachweise selbst zu erstellen, denn das Baurecht so zu lesen, wie es gemeint ist, sei gar nicht so einfach. Die Bauordnung müsse man sich wirklich „ganz genau anschauen und auf der Zunge zergehen lassen“, meint Kollege Eberl-Pacan. „Viele kennen nämlich nur Teilaspekte.“ Verändern müssten sich zumindest die Bauordnungen in Sachen Brandschutz (und das ist ihr Hauptinhalt) aber nicht wesentlich, um das Bauen schneller oder günstiger zu machen. Die Begriffe „feuerbeständig“ und „nichtbrennbare Baustoffe“ sollten jedoch, wie in Baden-Württemberg schon geschehen, entkoppelt werden. Schließlich ist Holz ein brennbarer Baustoff, aber kann eben durchaus feuerhemmend, ja sogar feuerbeständig sein. „Dann wäre dem Holzbau extrem geholfen, ohne das Sicherheitsniveau zu senken.“ Eberl-Pacan wünscht sich außerdem bundesweit einheitliche Verfahren und ein Vier-Augen-Prinzip mit Fachplaner und Prüfingenieur, wie es in den sechs ostdeutschen Bundesländern, in Bayern und im Saarland praktiziert wird. Und noch immer kollidieren Richtlinien und Verantwortlichkeiten miteinander. So wird etwa in Berlin und Nordrhein-Westfalen auch das Arbeitsstättenrecht auf Schulen angewendet, weil die Lehrer dort arbeiten. Es orientiert sich an großen Sonderbauten und bringt eigene Brandschutzregeln mit sich, die etwa für kleine Schulen Fluchtwegbreiten wie im Fußballstadion zur Folge hätten, wie Eberl-Pacan kritisiert.
Andreas Kopp bemängelt, dass die Gesetzeslage sehr beweglich sei und die Halbwertszeiten von Richtlinien und Normen immer kürzer würden. „Die einzelnen Regeln sind in sich konsistent, aber es bestehen Widersprüche zu anderen Anforderungen und die Prioritäten sind unklar. Gleichzeitig werden die Ansprüche an die Planung immer differenzierter und es werden immer früher genaue Kostenschätzungen gewünscht.“ Deshalb werden Brandschutz- und andere Fachplaner schon während der Entwurfsarbeit beteiligt, denn erfolgreich könne man nur im Team sein.
Zu viel des Guten
Entwurfsarchitekten sollten aber auch selbst über den Brandschutz nachdenken. „Viele trauen sich das gar nicht mehr“, stellt Eberl-Pacan fest. Oder sie würden von ihren Bauherren zu bestimmten Maßnahmen gedrängt. „Dann wird sogar oft zu viel Brandschutz gemacht.“ Das kann auch passieren, wenn man sich strikt an die Normen hält, denn die seien oft von Lobbyinteressen geprägt, wie Stephan Appel bedauert. Er nennt die DIN 18232, die etwa die Entrauchung von Industriebauten regelt. Nach einer Überarbeitung der Norm waren pro Fläche mehr Rauchabzugsgeräte nötig. Appels Berechnungen für ein eigenes Projekt ergaben aber, dass sogar weniger Geräte ausreichten, als die alte Norm verlangte. Ein individueller Nachweis schützt in solchen Fällen vor unnötigen Ausgaben.
Einen baulichen Idealzustand, bei dem kein technischer Brandschutz mehr die Defizite kompensieren muss, scheint es heute kaum zu geben. Die Anlagentechnik sollte dann genau auf die Projektgröße skaliert werden. Und man müsse sich über die Konsequenzen im Klaren sein, meint Eberl-Pacan: „Eine Brandwand ist pflegeleicht. Eine Brandmeldeanlage ist nach zehn Jahren schon überholt.“ Eigentlich könnte sie problemlos 25 Jahre halten, denkt Stephan Appel. Doch wie bei Elektrogeräten mit eingebautem Verschleiß sei ein früherer Austausch wirtschaftlich gewünscht. Hersteller helfen nach, indem es keine Ersatzteile oder keine Software-Updates mehr gibt. Appel tendiert auch deswegen persönlich zu baulichen und langfristigen Lösungen. Doch letztendlich entscheide meist, was, auf einen Lebenszyklus von 20 Jahren betrachtet, wirtschaftlich mehr Sinn macht. Manchmal ist es eben doch eine Sprühnebellöschanlage, wenn die Alternative ist, einen Dachstuhl komplett neu zu bauen. Und nicht nur Technik muss gewartet werden. Auch Fluchtwege gehören regelmäßig überprüft und freigeräumt, Nutzer müssen Schulungen erhalten.
Ein ideales Brandschutzkonzept ist mal mehr baulich, mal mehr technisch ausgerichtet. In jedem Fall sollte es aber möglichst einfach strukturiert und laienverständlich sein. Entwerfer und Fachplaner müssen früh dafür sorgen, dass eine architektonische Idee auch in Sachen Brandschutz funktioniert. Dafür sieht Eberl-Pacan trotz vieler Vorschriften genug Möglichkeiten: „Die Entschuldigung ,Das Amt hat es nicht erlaubt‘ gilt nicht mehr.“
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