Nagelplatten sind metallische Holzverbindungsmittel, deren Entwicklung bis ins Jahr 1918 zurückreicht; damals wurde in Deutschland der erste Ringdübel aus Stahlblech patentiert. Heute werden sie als kraftschlüssige Bestandteile von Nagelplattenbindern in Holztragwerken eingesetzt. Nagelplatten werden an den Knotenpunkten nach statischer Bemessung beidseits ins Holz eingepresst. Dadurch entsteht eine irreversible Verbindung der stumpf stoßenden Stäbe, die Druck- und Zugbelastungen sicher übertragen. Gegenüber den vom Zimmermann traditionell hergestellten Holzbindern bieten Nagelplattenbinder eine wirtschaftliche Alternative. Und das nicht nur für Standardkonstruktionen: Es lassen sich auch hochkomplexe Tragwerke für anspruchsvolle Lösungen mit Türmchen, Vorsprüngen, Überständen und Gauben errichten. Vorteile bieten sie vor allem bei Objekten, die große, stützenfreie Räume erfordern. Die Spannweiten betragen bis zu 35 Meter, mit Genehmigung im Einzelfall sogar noch mehr. Daher ist das Einsatzspektrum breit und reicht von der Dachaufstockung über Einkaufsmärkte, Sport- und Industriehallen bis hin zu landwirtschaftlichen Bauten und mehr. Nagelplattenbinder werden industriell gefertigt und sind bauaufsichtlich zertifiziert.
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Fällt ein Binder aus, helfen die Nachbarn
Für die Bemessung von Tragwerken sehen die europäischen Bemessungsnormen (ECs) vor, dass Tragwerke aller Bauarten – unabhängig davon, aus welchen Baumaterialien sie bestehen – grundsätzlich so auszuführen sind, dass infolge menschlichem Versagen, Materialfehlern oder anderen unentdeckten Mängelgründen keine verhältnismäßig großen Schäden am Bauwerk entstehen dürfen, deren Folgen in keinem Verhältnis zur Schadensursache stehen. Spezielle Festlegungen für einzelne Konstruktionen oder Bauarten zur Umsetzung dieser Anforderungen finden sich in den ECs jedoch nicht. Die Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz (ARGEBAU) hat aber 2011 „Hinweise zur Planung und Ausführung von Nagelplattenkonstruktionen“ veröffentlicht. Sie sehen vor, dass der zufällige Ausfall eines Bauteils nicht zum großflächigen Versagen eines Tragwerks als Ganzes führen darf. Ein Tragwerk, das diese Anforderung erfüllt, wird als robust bezeichnet. Das bedeutet, dass im Falle eines plötzlichen Schadensereignisses – zum Beispiel, wenn ein Baum vom Sturm entwurzelt wird, auf das Dach stürzt und dabei das Tragwerk beschädigt – die jeweils benachbarten Nagelplattenbinder eine stützende Funktion ausüben, sobald ein Tragglied ausfällt. Dies ist vor allem möglich, da systembedingt der Abstand von Nagelplattenbindern vergleichsweise gering gewählt wird; üblich sind maximal 1,25 Meter. Das ist ein Maß, das den benachbarten Bindern noch erlaubt, die statischen Lasten eines ausgefallenen Binders zu übernehmen und auf die Umfassungswände des Gebäudes abzulenken. Insoweit lässt sich bei Tragwerken mit Nagelplattenbindern von einem „solidarischen Konstruktionsprinzip“ sprechen. Das bestätigen auch die Ergebnisse der Studie von Professor Martin Kessel, dem ehemaligen Leiter des Instituts für Baukonstruktion und Holzbau der Technischen Universität Braunschweig. Danach ist die Versagenswahrscheinlichkeit des einzelnen Binders nicht höher als die eines einzelnen Trägers aus Brettschichtholz oder anderen Baumaterialien. Die Dachkonstruktion besteht jedoch aus einer Vielzahl von Bindern mit kleinerem Binderabstand im Vergleich zu den größeren Abständen anderer Konstruktionen. Die Dachlatten (Pfetten) sind über mehrere Felder statisch unbestimmt gelagert und bei entsprechender Ausführung zusammen mit anderen Sekundärtraggliedern in der Lage, die Last eines Binders auf die benachbarten Binder abzuleiten.
Auf Nummer sicher gehen
Um eine robuste, statisch tragfähige Konstruktion zu erhalten, wird Folgendes empfohlen: Die Form des Tragwerks ist ingenieurmäßig sinnvoll zu wählen; das schließt architektonische Kreativität nicht aus. Sowohl die Planung als auch die Ausführung sind von einem im Holzbau versierten Prüfingenieur nach bauaufsichtlichen Maßstäben zu überwachen. Die branchenspezifischen Konstruktionsregeln sowie fachgerecht ausgebildete Details sind zwingend einzuhalten (mindestens zwei Verbände, Dreifeldlatten). Die Tragfähigkeit unter normalen Nutzungsbedingungen ist hinsichtlich der Bemessung und Ausführung der Aussteifung nachzuweisen. Dazu sind für den jeweiligen Gebäudetyp die Anforderungen zu definieren, die von der Tragwerkkonstruktion zu erfüllen sind. Dabei können die Empfehlungen des Technischen Ausschusses in der Gütegemeinschaft Nagelplattenprodukte (GIN) herangezogen werden, die sich auf die genannte Untersuchung von Professor Kessel beziehen und auf der Website des Verbandes (www.nagelplatten.de) im Downloadbereich zur Verfügung stehen. Für die genaue Nachweisführung und zur Detailinformation über die wissenschaftlichen Grundlagen sind die Ergebnisse der Untersuchung von Kessel im Fraunhofer IRB Verlag in Band 38 der Reihe Wissenschaft unter dem Titel „Nachweis der Unempfindlichkeit von symmetrischen Satteldächern mit Windrispen und Pultdächern in Nagelplattenbauart gegenüber lokalem Versagen – Robustheit“ erschienen.
Um bei der statischen Tragfähigkeit nichts dem Zufall zu überlassen, ist die statische Bemessung der gesamten Tragwerkkonstruktion aus Nagelplattenbindern grundsätzlich Teil der Leistung, die GIN-Mitgliedsunternehmen zu erbringen haben. Das Alles-aus-einer-Hand-Prinzip bringt in der Planungsphase eine erhebliche Zeitersparnis mit sich.
Zu guter Letzt macht es für Architekten Sinn, ihren Auftraggebern die Montage durch einen Fachbetrieb zu empfehlen, der das RAL-Gütezeichen 601, Teil II: Montage, führt. Diese Firmen haben sich besonders hohen Anforderungen unterworfen, deren Einhaltung sie im Rahmen von Fremdüberwachungen regelmäßig neu nachweisen müssen. Ralf Stoodt, Sachverständiger für den Holzbau und Obmann im Ausschuss für Gütesicherung und Normung der Gütegemeinschaft Nagelplattenprodukte e.V.: „Schäden am Tragwerk können auch durch handwerkliche Fehler entstehen. Denkbar sind hier Veränderungen an der Konstruktion beim weiteren Innenausbau des Gebäudes – etwa wenn Folgegewerke stabilisierende Streben oder Fachwerkstäbe beschädigen oder ganz entfernen. Auch während des Transports zur Baustelle, durch unsachgemäßes Abladen oder falsche Lagerung am Montageort können die Binder beschädigt werden.“
Achim Zielke ist freiberuflicher Baufachjournalist in Bad Honnef.
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