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Genormte Frischluft

Der Mindestluftwechsel von Wohnungen muss auch ohne das Öffnen der Fenster durch den Nutzer möglich sein – das legt eine neue Norm fest

03.05.20117 Min. Kommentar schreiben

Von Gerd Burkert

Bereits seit Mai 2009 ist die neue Norm zur Raumlufttechnik DIN 1946 Teil 6: „Lüftung von Wohnungen“ veröffentlicht, aber unter Architekten ist sie noch weitgehend unbekannt. Dabei schafft ihre Anwendung endlich mehr Rechtssicherheit zum Thema „Mindestlüftung“. Denn Architekten erhalten zum ersten Mal ein Nachweisinstrument an die Hand, das überprüft, ob überhaupt eine lüftungstechnische Maßnahme (LTM) erforderlich ist.

Das Dilemma

Die Energieeinsparverordnung 2009 (EnEV) schreibt in § 6 ausdrücklich vor, Gebäude dauerhaft luftundurchlässig auszuführen. Auf der anderen Seite ist aber der zum Zwecke der Gesundheit und Beheizung erforderliche „Mindestluftwechsel“ sicherzustellen. Doch welcher Mindestluftwechsel gemeint ist, lässt die EnEV offen. In DIN 4108-2 Teil 2: „Mindestanforderungen an den Wärmeschutz“ wird ein durchschnittlicher Luftwechsel von n = 0,5 h-1 als ausreichend für die Hygiene und die Begrenzung der Raumluftfeuchte betrachtet. Das bedeutet einen kompletten Luftaustausch im Abstand von jeweils zwei Stunden. Für Hinweise zur Planung wird auf die DIN 1946-6: „Lüftung von Wohnungen“ verwiesen. In der aktuellen Veröffentlichung vom Mai 2009 findet sich dort ein Rückverweis auf den in der EnEV geforderten Mindestluftwechsel: „Die zeitliche Mittelung der definierten Lüftungsstufen entspricht über den Bilanzzeitraum dem nach EnEV § 6 definierten, zum Zwecke der Gesundheit und Beheizung erforderlichen Mindestluftwechsel.“ Die DIN 1946-6 wird aber nur dann rechtsverbindlich, wenn in einem Gesetz oder einer Verordnung darauf Bezug genommen wird. Um die Rechtsverbindlichkeit herzustellen, reicht der Rückverweis allein nicht aus.

Mögliche Lösung

Immer wieder stellen sich Architekten deshalb die Frage, ob es überhaupt noch zulässig ist, ein Wohngebäude zu planen, das nur manuell durchs Fenster gelüftet werden kann. Nach der neuen DIN 1946-6: „Lüftung von Wohnungen“ ist das nicht mehr ausreichend. Aber ob diese neue Norm beachtet werden muss, hängt davon ab, wann sie zur „allgemein anerkannten Regel der Technik“ wird. Trotzdem ist Architekten die Verwendung der Norm bei Vertragsvereinbarungen zu empfehlen, da sich so Rechtsstreitigkeiten von vornherein vermeiden lassen. In zahlreichen Urteilen zum Lüftungsverhalten wurde immer wieder zugunsten des Nutzers entschieden, dem das technisch nötige häufige Fensterlüften nicht zugemutet werden könne. Das führt zu Haftungsrisiken für den Planer. So hat der Bundesgerichtshof bereits 2002 in einem Urteil entschieden, dass der Beklagte eine Gebrauchstauglichkeit der Wohnung schuldet, die besondere Lüftungsmaßnahmen nicht erfordert. In jenem Fall war die Wohnung mangelhaft, weil ihr ein Beschaffenheitsmerkmal gefehlt hat, das für den vorausgesetzten Gebrauch erforderlich ist. Ein Wohnungslüftungskonzept, das allein eine manuelle Fensterlüftung vorsieht, wäre nach diesen Urteilen also nicht ausreichend.

Lüftungskonzept vom Architekten

Wird die DIN 1946-6 als Planungsgrundlage vertragsrechtlich vereinbart, ist ein Lüftungskonzept für neu zu errichtende oder zu modernisierende Gebäude mit lüftungstechnisch relevanten Änderungen zu erstellen. Eine Instandsetzung beziehungsweise Modernisierung eines bestehenden Gebäudes ist dann lüftungstechnisch relevant, wenn ausgehend von einem undichten Gebäudebestand (n50 = 4,5 h-1), im Ein- und Mehrfamilienhaus mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster ausgetauscht werden, und im Einfamilienhaus mehr als ein Drittel der Dachfläche abgedichtet wird. Dabei kann das Lüftungskonzept von jedem Fachmann erstellt werden, der in der Planung und Modernisierung von Gebäuden oder in der Planung, der Ausführung oder der Instandhaltung von lüftungstechnischen Maßnahmen tätig ist — also nicht nur von Architekten, sondern auch von Fachplanern oder Handwerkern, die diese Norm bereits anwenden. Das macht es immer wahrscheinlicher, dass die Norm bald zur „allgemein anerkannten Regel der Technik“ wird. Da das Lüftungskonzept aber ein wesentlicher Bestandteil des Energiekonzeptes ist, sollte seine Erstellung im Verantwortungsbereich des Architekten verbleiben.

DIN-gemäße Lüftungsstufen

Die DIN 1946-6 unterscheidet vier Lüftungsstufen mit steigender Intensität: Die niedrigste Stufe, die Lüftung zum Feuchteschutz (FL) beziehungsweise auch Bautenschutz, ist abhängig vom Wärmeschutzniveau und muss wegen zeitweiliger Abwesenheit der Nutzer ständig, also 24 Stunden am Tag an allen 365 Tagen im Jahr, und vor allem nutzerunabhängig sichergestellt werden. Hier sollen Gebäude und Bewohner vor der Entstehung von Schimmelpilz bewahrt werden. Die zweite Lüftungsstufe wird als Reduzierte Lüftung (RL) bezeichnet, da der ehemalige Begriff Mindestlüftung nun anderweitig belegt ist und es somit nicht zu Verwechslungen kommen kann. Sie muss wegen hygienischer Mindeststandards und des Bautenschutzes weitgehend nutzerunabhängig sichergestellt werden. Bei Normalnutzung der Wohnung stellt die Nennlüftung (NL) als dritte Stufe Anforderungen an Gesundheit bzw. Hygiene und Bautenschutz. Sie wurde bisher als Grundlüftung bezeichnet und kann durch den Nutzer teilweise mit aktiver Fensterlüftung erreicht werden. Man könnte die bisherige Rechtsprechung aber auch dahin gehend interpretieren, dass die „Normalnutzung der Wohnung“ (Nennlüftung) ohne manuelle Fensterlüftung sicherzustellen ist. Die vierte Stufe dient dem Abbau von Lastspitzen und wird als Intensivlüftung (IL) bezeichnet. Diese kann ebenfalls durch den Nutzer teilweise mit aktiver Fensterlüftung erreicht werden.

Lüftungstechnische Maßnahmen

Zu Beginn eines jeden Lüftungskonzeptes steht die Frage, ob eine lüftungstechnische Maßnahme notwendig ist oder nicht. Wenn ja, ist zu prüfen, ob die geplante Einrichtung zur freien oder ventilatorgestützten Lüftung den Luftaustausch unabhängig von Aktivitäten der Nutzer sicherstellt. Eine manuelle Fensterlüftung nach DIN 1946-6 gilt nicht als lüftungstechnische Maßnahme. Erforderlich werden lüftungstechnische Maßnahmen, wenn der notwendige Luftvolumenstrom zum Feuchteschutz (niedrigste Stufe) den Luftvolumenstrom durch Infiltration überschreitet – wenn also das Gebäude nicht mehr undicht genug ist und die nötige Luftmenge, die zur Vermeidung von Schimmelpilzwachstum notwendig ist, nicht mehr in das Gebäude einströmen kann. Danach folgt die Auswahl des Lüftungssystems.

Es können Konzepte zur freien Lüftung, wie Querlüftung oder Schachtlüftung, geplant werden. Bei er­höhten Anforderungen an Raumluftqualität, Schallschutz oder Energieeffizienznutzung ist aber immer eine ventilatorgestützte Lüftung erforderlich. Hier wird zwischen reinen Abluft-, reinen Zuluft- oder Zu- und Abluft-Systemen unterschieden. Die energiesparende Wärmerückgewinnung setzt dabei eine Zu- und Abluftan­lage voraus.

Leider haben viele Bauherren noch Vorurteile und Bedenken bei der Entscheidung für eine ventilatorgestützte Lüftungsanlage und assoziieren diese mit Begriffen wie dem „Sick Building Syndrom“. Wenn man sich und dem Bauherrn aber bewusst macht, dass Autofahrer in ihrem Wagen von einer Lüftungsanlage mit Heizregister oder sogar einer Klimaanlage mit frischer Luft versorgt werden, dann werden auch die ventilatorgestützten Wohnungslüftungsanlagen eine breitere Akzeptanz finden. Denn die hygienischen Standards der Wohnungslüftungsanlagen sind weit höheren Anforderungen an Wartung und Inspektion unterworfen als die Lüftung im Auto. Außerdem ist die Luft von außen oft mit Schadstoffen oder allergieauslösenden Pollen belastet. Dann muss man sich sogar vor dieser „schlechten Luft“ schützen und kann durch Filter gereinigte, saubere Luft kontrolliert in das Gebäude führen.

Dipl.-Ing. Gerd Burkert ist Architekt und Energieberater in Ludwigsburg, www.der-energie-coach.net.


Mehr zum Thema Wohnungslüftung
Der Fachverband Gebäude-Klima e. V. hat auf seiner Website unter dem Link www.kwl-info.de/Kontrollierte_Wohnungslueftung/FAQ-Normung/faq-normung.php häufig gestellte Fragen zu folgenden Normen beantwortet:

– DIN 1946-6 Lüftung von Wohnungen (Mai 2009)
– DIN 18017-3 Lüftung von Bädern und Toiletten ohne Außenfenster (Juli 2009)
– DIN 4719 Anforderungen, Leistungsprüfungen und Kennzeichnung von Lüftungsgeräten (Juli 2009)

Das Europäische Testzentrum für Wohnungslüftungsgeräte e. V. (TZWL) stellt auf seiner Website www.tzwl.de in seiner Fachzeitschrift „TZWL-eBulletin Nr. 11“ zum ersten Mal eine Liste für Wohnungslüftungsgeräte mit und ohne Wärmerückgewinnung als kostenloses E-Book zum Download zur Verfügung.

Software: Planungshilfe für Lüftungsanlagen

www.solar-computer.de
Software L46 zur Wohnungslüftung nach DIN1946-6

http://comfoplan.comfosystems.de
Kostenfreie Online-Planungshilfe für Lüftungsanlagen

 

www.wohnungslueftung-ev.de
VfW Bundesverband für Wohnungslüftung e.V.
Auslegungsprogramm Wohnungslüftung in Excel

www.linear.de
Software liNear Wohnungslüftung nach DIN 1946-6

www.bauphysik-software.de
Software Dämmwerk Lüftungskonzept nach DIN 1946-6:2009

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