Text: Marion Goldmann
Ob zu Hause oder im Büro: Pflanzen liebt nahezu jeder Mensch in seiner unmittelbaren Umgebung. Doch meist vegetiert das Grün vor sich hin oder fehlt ganz. Auch der vermeintliche Trend der Rückbesinnung auf die Natur im Zuge der zunehmenden Verstädterung hat die Praxis diesbezüglich noch nicht nachhaltig verändert. Erste Ansätze sind aber spürbar. Die Stiftung „Blumenbüro Holland“ beispielsweise hat sich zur Aufgabe gemacht, die Aufmerksamkeit für Blumen und Pflanzen in ganz Europa zu erhöhen. „Wir setzen uns dafür ein, dass mehr Pflanzen in die Wohnungen und Büros einziehen und Pflanzen schon frühzeitig in der Planung berücksichtigt werden“, so Marketingmanager Frank Teuber. Das ist ein entscheidender Punkt, denn die Innenraumbegrünung ist auch unter Architekten noch immer ein Nischenthema. Wie Gunnar Krempin vom Architekturbüro SPAR*K in Berlin berichtet, liegt das an der fehlenden Nachfrage: „Wir beschäftigen uns immer erst dann damit, wenn der Bauherr es fordert.“
Aktuell haben die Architekten einen Schreibtisch entwickelt, der durch integrierte Pflanzen den klassischen Arbeitsplatz mit Bildschirm und Drucker ein Stück weit auflöst. Das Möbel dient zugleich als Paravent zum Wohnraum, die Bepflanzung als Raumteiler. Diese Doppel-Funktion zu generieren, war den Architekten wichtig – sie war zugleich auch Anlass dieser Eigenentwicklung, denn ein fertiges Produkt bot der Markt nicht an. Wohl auch deshalb ist bereits ein Esstisch mit einem integrierten Pflanzsystem in Arbeit. Gunnar Krempin: „Der Fokus liegt hier auf der Ausstattung mit Nutzpflanzen, zum Beispiel mit Basilikum, das quasi aus dem Tisch wächst.“
Viele Fragen offen
Pflanzen sind nicht nur dekorativ, sie erzeugen viele weitere positive Effekte. Durch ihre natürliche Transpiration strömen sie Feuchtigkeit aus und verbessern so das Raumklima. „Einige Sorten, insbesondere großblättrige, grüne Gewächse wie Einblatt, Efeu oder Schwertfarn, filtern zudem Schadstoffe aus ihrer Umgebung und eignen sich somit bestens für die Bürobegrünung“, erklärt René Grevsmühl, Experte des Blumenbüros Holland und Inhaber von Florale Welten. Gute Empfehlung.
Doch wie die SPAR*K-Architekten steht zum Beispiel auch Ines Wrusch, Innenarchitektin aus Hamburg und für ihre Berufsgruppe im Vorstand der Bundesarchitektenkammer, immer wieder vor der Frage: „Wie kann ich meinen Bauherren eine Begrünung für Innenräume vorschlagen? Es sollen auf jeden Fall lebendige Pflanzen sein, gern auch großflächig angelegt, wie es vertikale Systeme ermöglichen. Doch die Herausforderungen bei Installation, Pflege, Umsetzbarkeit und Dauerhaftigkeit sind groß – und mir fehlen bislang darauf einschlägige Antworten.“
Einer, der auf diesem Gebiet neben Fachwissen über langjährige Erfahrungen verfügt, ist Gerhard Zemp. Der Mann aus der Schweiz ist von Hause aus Gartenbauingenieur und hat später noch ein Architekturstudium absolviert – eine Kombination mit Seltenheitswert. Zemp kennt die Bedenken der Architekten in puncto Vertikalbegrünung nur zu gut. Er begann vor 15 Jahren, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Zu dieser Zeit machten erste Leuchtturmprojekte renommierter Architekturbüros in Zusammenarbeit mit Patrick Blanc, wie die Galeries Lafayette in Berlin, Furore. Auf breiter Basis blieb das Interesse allerdings gering. Auch das eingesetzte Taschensystem – zwei zusammengetackerte Filzlagen mit dazwischen verlegtem Kunststoffschlauch, oben ein Wasserhahn, unten ein Ablauf und Taschen, die man für die Bepflanzung aufschlitzte – war simpel konstruiert und ist mit heutigen Systemen nicht vergleichbar. Zemp hat die technische Entwicklung seitdem mitverfolgt, Bachelor- und Forschungsarbeiten begleitet und in Deutschland und der Schweiz etwa 40 bis 50 Systeme betrachtet, die weltweit auf dem Markt sind.
Kein Hexenwerk
Hierzulande haben sich mittlerweile etwa sechs Systeme durchgesetzt, die gut funktionieren. Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Bepflanzung muss man sich keine Sorgen machen; die Pflanzenauswahl erfolgt nach einer FFL-Richtlinie und zudem sind die Firmen an die fünfjährige Gewährleistung gebunden. Je nach angestrebter Optik sind unterschiedliche Arten der Bepflanzung möglich: zum Beispiel 80 Prozent Grundbepflanzung und 20 Prozent temporäre oder blühende Pflanzen, die für den Show-Effekt sorgen. Wichtig ist dabei, im Vorfeld mit der ausführenden Firma das Prozedere zu klären: In welchem Zeitintervall und vor allem wie soll der Austausch erfolgen, wie hoch ist der Pflegeaufwand? Gerhard Zemp fasst zusammen: „Aus gärtnerischer Sicht bin ich mit den Systemen für die vertikale Innenraumbegrünung sehr zufrieden, aus Architektensicht nicht.“
Problematisch ist die hohe Schicht- beziehungsweise Vegetationsdicke von bis zu 30 Zentimetern. Bei großen Räumen, wie Atrien oder Foyers, fällt das aufgrund der guten Fernwirkung zwar kaum auf, in einem Sitzungszimmer dagegen schon. Die Schichtdicke ist zum Beispiel auch bei einem zu begrünenden Treppenhaus in einem Bestandsbau, wo es um jeden Zentimeter geht, entscheidend. Für solche Fälle sind die nur zehn bis zwölf Zentimeter schlanken Systeme deutlich besser geeignet. Überhaupt sind die baulichen Voraussetzungen für die Wahl eines bestimmten Systems essenziell. Wasserzuleitung und Abfluss werden immer benötigt, ebenso wie Licht. Da sich die in Innenräumen zu begrünenden Flächen in der Regel in tageslichtfernen Bereichen befinden, muss die Beleuchtung künstlich erfolgen und vollflächig auf die Vegetation ausgerichtet sein. Demzufolge ist frühzeitig eine Decken- oder Bodenbeleuchtung einzuplanen, die man am besten – auch um Kosten zu sparen – mit dem Lichtplaner abstimmt. „Die indirekte Ausleuchtung einer Vertikalbegrünung sollte in die Grundbeleuchtung des Raumes miteinbezogen werden“, empfiehlt Zemp. Unsicherheit besteht häufig auch bei der Wahl der Lichtfarbe: Pflanzen brauchen Licht im rot- und blauwelligen Spektrum. Rechtzeitig geplant, lassen sich diese eher kühleren Farben gut abmischen. Pflanzenschädlinge und Insektenbefall sind Argumente, die oft eine Vertikalbegrünung verhindern. Gerhard Zemp hält dagegen: „Schädlinge treten eher in einzelnen mobilen Gefäßen auf, weil diese im Vergleich zu einer Vertikalbegrünung kein eigenes Mikroklima aufbauen können.“ Nicht zuletzt ist bei einer Vertikalbegrünung auch der Brandschutz zu berücksichtigen, was bedeutet, dass die Befeuchtung dauerhaft gewährleistet sein muss. Bei besonderen Anforderungen, wie in Kernzonen von Hochhäusern, werden anstelle von Kunststoffbehältern komplette Metallkonstruktionen eingesetzt.
Planvoll vorgehen
Fragen, auf die der Planer Antworten finden muss, sind: Ist die Nah- oder Fernwirkung wichtig? Soll eine akustische Wirksamkeit erreicht werden. Soll die Luftbefeuchtung messbar sein? Dient die Begrünung ausschließlich dekorativen Zwecken? Handelt es sich um ein temporäres Projekt oder soll die Begrünung über Jahrzehnte bestehen? Die Wahl eines Systems ist nicht zuletzt auch eine Frage des Budgets. Wer bei der Innenraumbegrünung die Kreationen eines Patrick Blanc vor Augen hat, kann diese Optik auch kostengünstiger mit Hänge- und Schlingpflanzen erzielen. Bei der Entscheidung für eine Vertikalbegrünung ist eine neutrale Beratung wichtig, denn die Planung sollte objekt- und nicht systembezogen erfolgen. Passende Ansprechpartner sind hier allerdings eher rar gesät. Geeignete Berater, die die Begrünung mit der Gebäude- und Innenarchitektur verbinden, sind auf dieser Seite unten zusammengestellt. Und die wesentlichen Punkte, die im Zuge der Entscheidungsfindung zu prüfen und abzuklären sind, hat Gerhard Zemp in der Checkliste unten aufgeführt.
Checkliste: Das sollte man vorab klären
Aufgrund der großen Auswahl an Systemen für die vertikale Begrünung wird empfohlen, folgende Punkte zu prüfen:
• Einsatz der Pflanzenwand rein gestalterisch oder auch funktionell
(Luftfeuchte, Schalldämmung)?
• Gesamt-Aufbaustärke von Pflanzenwand: 7,6–50 cm erhältlich.
Schichtdicke der Vegetation (3–50 cm)?
• Planungszeit, Vorlaufzeit?
Zeitplan Montage von Anschlüssen, Wanne, Grundkonstruktion, Licht, Vegetation
• Fertig vorproduzierte Pflanzenmodule oder Bepflanzung vor Ort?
• Modulsystem oder einteilige Konstruktion? Partiell demontierbar?
• Gesamtkosten auf fünf Jahre:
Prüfung der Erstellungskosten, Wartungskosten und Kosten für Pflanzenersatz
• Nachhaltigkeit der Komponenten
• Brandschutzklasse der einzelnen Komponenten bzw. des Gesamtsystems
• Automatische Bewässerung:
Wasserzulauf, -ablauf vorhanden? Manuelle Befüllung? Geräusche?
• Wachstumslicht für Pflanzen bei 95 Prozent der Wände notwendig
• Geruchsemissionsfrei? Den Hygienestandard erfüllend?
• Luftbefeuchtung oder Schalldämmung erwünscht? Max. Eintrag der Feuchte berechnen!
• Referenzprojekte des Systems bzw. des Innenraumbegrüners?
ÜBERGREIFENDE FACHINFORMATIONEN
Fachverband Raumbegrünung und Hydrokultur (FvRH) im Zentralverband Gartenbau e. V., Berlin, www.fachverband-hydrokultur.de
Vereinigungen von Fachbetrieben mit bundesweitem Netzwerk:
Die Raumbegrüner GmbH, Hannover, www.dieraumbegruener.de
Element Green GmbH, 74889 Sinsheim–Hoffenheim, www.element-green.com
Unabhängige Fachplanung für Innenraum- und Gebäudebegrünung:
aplantis AG, Architekturbüro für Innenraum- und Gebäudebegrünung, Bern
www.aplantis.ch
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