Fred Wagner
Deutschland ist mit Abstand Weltmarktführer in der Gründachtechnologie und besitzt erfahrene Ausführungsbetriebe. Jedes Jahr werden Millionen Quadratmeter Dachflächen in grüne Oasen verwandelt. Architekturbüros, die sich in diesem Bereich spezialisiert haben, sind jedoch rar. Dabei ist es ein attraktives Betätigungsfeld, wie innovative und spektakuläre Gründachprojekte von Architekten vor allem im Ausland beweisen.
Wolfgang Ansel, Diplom-Biologe und Geschäftsführer des Deutschen Dachgärtner Verbandes (DDV): „Hauptgründe für die Zurückhaltung von Architekten sind die Unkenntnis über die vielseitigen Möglichkeiten sowie das fehlende Wissen. Viele sehen Dachbegrünungen immer noch als eine Art Kunstobjekt à la Friedensreich Hundertwasser. Das Thema Pflanzen am Gebäude werde in der Ausbildung häufig zu wenig gelehrt und eher als Beiwerk in Form eines ökologischen Designs gesehen, mit dem man einen Entwurf aufhübscht. Ansel: „Aber genau das – ein Designelement – ist eine Dachbegrünung nicht, denn sie besitzt mehrere Nutzungsqualitäten.“
Die Entscheidung für ein Gründach trifft der Architekt bei der Grundlagenplanung. Er kann im direkten Gespräch mit dem Investor beziehungsweise Bauherrn auf diese Möglichkeit aktiv hinweisen oder das Thema auch „abwenden“. Wenn Vorkenntnisse und Erfahrungen fehlen, wird er sich eher für Letzteres entscheiden, um möglichen Problemen aus dem Weg zu gehen. So klagen Landschaftsarchitekten immer wieder darüber, dass Hochbauarchitekten oft nicht das volle Potenzial einer Dachbegrünung entwickeln könnten, weil ihnen das Wissen fehle. Sie würden dann zu einfachen Lösungen neigen, die sie ohne fremde Hilfe umsetzen können.
Dabei bieten Dachflächen ein enormes Potenzial. Wohnhäuser, Büroimmobilien, Einkaufszentren, Industrieanlagen oder öffentliche Gebäude kommen infrage. Der Schlüssel liegt in der Argumentation. Gründachspezialist Ansel: „Dem Architekten kommt dabei die Aufgabe zu, den Bauherrn über die zahlreichen Spielarten der Dachbegrünung zu informieren und einen ‚Masterplan‘ für die Einbindung der gestalterischen, technischen, sozialen und ökologischen Komponenten zu entwickeln.“ Deshalb sollte bereits in der Planungsphase ein fächerübergreifender Kontakt und Informationsaustausch mit den Kollegen aus der Landschaftsarchitektur sowie Praktikern des Garten- und Landschaftsbaus stattfinden.
Wassergebühren sparen
Peter Neher, Büroinhaber von Neher Landschaftsarchitektur in Sindelfingen, weist auf den Bedarf an Fachkompetenz hin: „Obwohl die Aufgeschlossenheit für das Thema im Allgemeinen hoch ist, wird häufig unterschätzt, dass auch eine etablierte Technologie wie die Dachbegrünung eine fundierte, gebäudespezifische Planung erfordert.“
Zu den Schlüsselkriterien gehören eine auf den Vegetationsaufbau und die spätere Nutzung abgestimmte Dachtechnik (Statik, Gefälle, Aufbauhöhen, Drainage, Windsog, Absturzsicherungssysteme, Zugänglichkeit) und bewährte Gründachsysteme. Die Leistungsverzeichnisse sollten außerdem unbedingt die Position der „Fertigstellungspflege“ enthalten, damit sich das Grün etablieren kann. Auch in den Folgejahren sind, wie bei allen Grünflächen, Pflegegänge nötig, die ausgeschrieben werden sollten.
Häufig würden Architekten und Investoren gegen Gründächer Kostenargumente anführen, berichtet Peter Neher. Durch die Einsparungen bei den Niederschlagswassergebühren verliere dieses Argument aber zunehmend an Bedeutung.
Neher sieht nicht nur beim Neubau Potenzial, sondern auch bei der Sanierung von Altdächern, etwa im Rahmen des Konjunkturpaketes II. Zusätzliches Potenzial bieten Industrieunternehmen, die begrünte Dächer als Imageträger entdecken, sowie Seniorengärten auf Altenwohnanlagen.
Der Sindelfinger Landschaftsarchitekt integriert begrünte Dächer in fast alle Entwürfe. Zu den aktuellen Projekten gehören das Klinikum Hannover mit rund 10 000 Quadratmetern extensiv und intensiv begrünter Dachflächen sowie die Mitarbeitergärten auf den Dächern des Laserspezialisten Trumpf GmbH in Ditzingen.
Hilfreiche Hersteller
Der Landschaftsarchitekt Dietmar Lennartz aus München begrünt seit rund 20 Jahren Dächer. Heute gehört dieses Genre zu seinem Standardprogramm. Ein aktuelles Projekt ist der Bau der neuen Kleinen Olympiahalle in München, deren Flachdach mit intensiver Dachbegrünung ausgeführt ist. Diese entsteht, um das Veranstaltungsangebot zu erweitern. In München gibt es die Auflage, alle neuen Flachdächer mit mehr als 100 Quadratmetern mindestens extensiv zu begrünen.
Hersteller stehen Planern zur Seite. So bietet der Gründach-Systemhersteller ZinCo GmbH aus Unterensingen mit einer auf komplexe Dachgestaltungsvarianten spezialisierten Ingenieurwerkstatt einen umfangreichen Beratungsservice. Wer nach erfahrenen Ausführungsbetrieben sucht oder kommunale Fördermaßnahmen erfragen möchte, ist auch beim Deutschen Dachgärtner Verband an der richtigen Stelle. Die Palette reicht dabei von Dachgärten mit Aussicht bis hin zur Gestaltung natürlicher Ausgleichsflächen oder der Kombination mit Photovoltaik.
Intensiv und extensiv
Dachflächen für Freizeit und Erholung erfordern Intensivbegrünungen. Extensiv begrünte Dachflächen eignen sich als ökologische Ausgleichsmaßnahme für das Stadtklima. Sie sorgen für natürliche Abkühlung und binden Luftschadstoffe. Gleichzeitig halten sie einen Großteil der Niederschlagsmengen zurück und entlasten die Kanalisation. Das belohnen viele Kommunen durch Senkung der Niederschlagswassergebühren. Häufig werden Extensivbegrünungen in neuen Baugebieten durch die Kommunen im Bebauungsplan festgesetzt, um einen Ausgleich für den Eingriff in den Naturhaushalt zu schaffen. Dies sollte aber nicht mit billigem Alibigrün geschehen. „Substratwüsten“ helfen letztlich keinem.
Neuere Einsatzgebiete sind Geh- und Fahrbeläge auf Dächern oder die Kombination von Dachbegrünung und Photovoltaik. So steigert die kühlende Wirkung der Dachbegrünung den Wirkungsgrad der PV-Anlagen. Aber auch die wärmedämmende Dachbegrünung kann bei Sanierungen der Königsweg sein, um auf besonders ökologische Weise die aktuellen Werte der Energieeinsparverordnung zu erreichen.
Der Tagungsband des Internationalen Gründach-Kongresses 2009 informiert anhand von Objektbeispielen, wie Gründächer heutzutage sicher geplant und ausgeführt werden. Er kann unter www.greenroofworld.com bei der International Green Roof Association (IGRA) zum Preis von 39,80 Euro plus Versandkosten bestellt werden.