Text: Florian Tabeling, Stefan Sandbrink, Peter Schaumann
Der moderne Stahlhochbau besticht durch offene und architektonisch ansprechende Tragstrukturen, die oftmals auch als gestalterische Elemente eines Bauwerks eingesetzt werden. Stahl ermöglicht dabei aufgrund seiner hohen Festigkeitseigenschaften, mit vergleichsweise geringem Materialaufwand große Spannweiten freitragend zu überspannen. Typische Einsatzgebiete sind daher Dachtragwerke von Sportarenen oder wettkampftaugliche Mehrzweckhallen. Aufgrund der filigranen Bauweise unterliegen Stahlstrukturen jedoch stets der Gefahr, dass sie im Brandfall durch den Einfluss hoher Temperaturen schnell ihre Tragfähigkeit verlieren. Der bauordnungsrechtliche Feuerwiderstand, der für Rettungs- und Löschmaßnahmen gefordert ist, lässt sich mit ungeschützten Stahlbauteilen in der Regel nicht erreichen. Daher sind tragende Stahlbauteile für den Brandfall zur Erlangung einer gewünschten Feuerwiderstandsdauer zu schützen. Das erfolgt üblicherweise durch Putze, Bekleidungen auf Gipsbasis oder Mineralwolle sowie dämmschichtbildende Systeme. Allerdings wirken sich diese Maßnahmen auf die filigrane Optik der Tragwerke nachteilig aus. Das Büro shl ingenieure aus Hannover hat deshalb in Kooperation mit dem Institut für Stahlbau der Leibniz Universität Hannover Brandschutzbekleidungen aus Holz für Stahlbauteile entwickelt.
Im Brandfall deutlich niedrigere Temperaturen beim Stahl
Stahlbauteile erwärmen sich im Brandfall aufgrund der geringen Massigkeit und der hohen Wärmeleitfähigkeit sehr schnell. Holzbauteile erwärmen sich demgegenüber deutlich langsamer. Dieser Umstand ist auf Verkohlungsprozesse im Holz zurückzuführen, die sehr gute wärmedämmende Eigenschaften bei einer Brandbeanspruchung ausbilden. Die verbrennenden äußeren Schichten des Holzes bilden einen thermischen Schutz für den Kern des Querschnitts, wodurch sich die Feuerwiderstandsdauer von stählernen Tragstrukturen signikant erhöhen lässt. Denn die thermischen Schutzeigenschaften des Holzes führen dazu, dass im Vergleich zu den bekannten Brandschutzbekleidungen oder -beschichtungen deutlich geringere Temperaturen im Stahlbauteil auftreten. Übliche Brandschutzsysteme sind darauf ausgerichtet, im Brandfall eine Stahltemperatur von maximal 500 Grad Celsius sicherzustellen, da Stahlbauteile bis zu dieser Temperatur in der Regel noch ausreichende Tragreserven aufweisen. Mit Hochtemperaturversuchen zur thermischen Schutzwirkung von Holz auf Stahlbauteilen in Kooperation mit dem Institut für Stahlbau der Leibniz Universität Hannover konnte von Sandbrink gezeigt werden, dass sich beim Einsatz von Holz Stahltemperaturen von weniger als 300 Grad Celsius sicherstellen lassen.
Im Rahmen dieser Versuchsreihe wurden Stahlplättchen mit einer Größe von 60 mal 60 mal fünf Millimetern mit unterschiedlich dicken Vollholzplatten (20, 30 und 40 Millimeter) bekleidet und im Hochtemperaturofen 30 Minuten der Einheits-Temperaturzeitkurve (ETK) ausgesetzt. Der Ansatz dieser Temperaturzeitkurve ist für eine Klassizierung von Bauteilen in Feuerwiderstandsklassen maßgebend. Die gemessenen Verläufe der Heißgastemperatur und der geschützten Stahlplatten sind im ersten Bild unten dargestellt.
Aus dem zweiten Bild oben ist ersichtlich, dass die Vollholz-Brandschutzbekleidung bei einer Brandbeanspruchung unmittelbar wirksam ist und die Stahltemperaturen erst nach fünf bis sechs Minuten anzusteigen beginnen. Die Heißgastemperatur weist zu diesem Zeitpunkt bereits eine Temperatur von mehr als 600 Grad Celsius auf. Im weiteren Verlauf der gemessenen Temperaturkurven ist erkennbar, dass bei einer Temperatur von circa 100 Grad Celsius das im Holz gebundene Wasser verdampft und der Temperaturanstieg zeitlich deutlich verzögert wird. Nach einer Versuchsdauer von 30 Minuten betragen die maximalen Stahltemperaturen bei einer Holz-Bekleidung mit 20 Millimeter Holz weniger als 300 Grad Celsius und bei einer Bekleidungsdicke von 40 Millimetern sogar weniger als 100 Grad Celsius. Bei diesen Temperaturen weist der Baustoff Stahl noch keinen Festigkeitsverlust und lediglich geringfügige Steifigkeitsreduktionen auf. Neben der Tragfähigkeit werden durch die geringen Stahltemperaturen auch thermisch induzierte Dehnungen und damit einhergehende Einflüsse auf das Tragverhalten eines Systems im Brandfall minimiert. Beispielsweise bleibt ein filigraner Holzbinder mit einer Stahlunterspannung durch eine Holzbekleidung aufgrund der geringen Erwärmung des Stahlelements auch im Brandfall weiterhin ausreichend tragfähig.
Holz als Brandschutzsystem für Stahlbauteile ist dabei ohne Einschränkung und unabhängig vom Querschnitt – so auch für Zugglieder mit rundem Querschnitt – als Brandschutzbekleidung einsetzbar, da das Hochtemperaturverhalten des Baustoffes Holz normativ in DIN EN 1995-1-2 geregelt ist. Die optischen sowie ökologischen Aspekte, die bei der Verwendung von Holz zum Tragen kommen, stehen im Einklang mit dem Trend nach umweltfreundlichen und nachhaltigen Lösungen und werden dabei hohen ästhetischen Ansprüchen gerecht. Mit den modernen Methoden der Holzbearbeitungstechnik lassen sich Holzbauteile zudem in nahezu jede gewünschte Querschnittsform bringen und somit optimal an einen Stahlquerschnitt anpassen. Da die thermische Schutzwirkung über die gesamte Lebensdauer eines Bauwerks erhalten bleibt, ist dieses Brandschutzsystem praktisch wartungsfrei.
Anwendung am Beispiel eines unterspannten Bogenträgers
Dachkonstruktionen von Sporthallen sind in der Regel aufgrund der erforderlichen stützenfreien Ausführung des Spielfeldes für Spannweiten von bis zu Metern auszulegen. Eine ästhetische und architektonisch ansprechende Möglichkeit der stützenfreien Ausführung bieten Bogenträger aus Holz mit einer Stahlseilunterspannung. Durch die Stahlunterspannung wird der Bogenträger primär auf Druck beansprucht, während die Stahlseilunterspannung durch große Zugkräfte beansprucht wird. Mit dieser Konstruktionsweise lässt sich der Bogenträger trotz der großen Spannweite im Vergleich zu einem Biegeträger sehr schlank ausbilden. Damit sich dieses statisch günstige Tragverhalten aus Druck- und Zugkräften einstellen kann, ist die Stahlunterspannung des Bogenträgers, die die Zugkraft überträgt, von elementarer Wichtigkeit. Sofern sich eine brandschutztechnisch ungeschützte Stahlunterspannung im Brandfall zu stark erwärmt, würde der Stahl seine Festigkeit verlieren und damit der unterspannte Bogenträger seine Tragfähigkeit. Für eine deutliche Reduzierung der Tragfähigkeit des Stahlseils genügt dabei bereits eine große thermische Ausdehnung beziehungsweise eine Längenänderung des Stahlseils im Brandfall, die die statisch notwendige Zugkraft gegebenenfalls kritisch abbaut. Die Spannung auf dem Seil wird dabei so schnell abgebaut, dass die Unterspannung nahezu wirkungslos wird. In letzter Konsequenz würde die Tragwirkung der Bogenträger im Brandfall nun einem Einfeld-Biegeträger gleichen, wofür dieses statische System in der Regel aber nicht ausgelegt ist. Im Brandfall würde es versagen. Wird die Stahlunterspannung dagegen mit einer Brandschutzbekleidung aus Holz geschützt, erwärmt sich der Stahl deutlich langsamer: auf rund 100 Grad Celsius nach 30 Minuten Brandeinwirkung nach ETK bei einer 30 Millimeter dicken Holzbekleidung. Die Tragfähigkeit des statisch günstigen Systems aus Druck- und Zugkräften bleibt damit auch im Brandfall erhalten, da nur geringe thermische Dehnungen in der Stahlunterspannung auftreten.
Im oberen Bild ist beispielhaft die Temperaturverteilung einer mit 35 Millimeter Holz bekleideten Stahlunterspannung (Vollkreisquerschnitt mit einem Durchmesser von 60 Millimeter) nach 30 Minuten ETK-Brandbeanspruchung dargestellt. Die Stahltemperatur hat sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht nennenswert erhöht, sodass für diesen Querschnitt keine signikanten thermischen Dehnungen zu erwarten sind und die Tragfähigkeit des Tragsystems auch im Brandfall sichergestellt ist.
Dr.-Ing. Florian Tabeling ist geschäftsführender Gesellschafter der shl ingenieure GmbH, Beratender Ingenieur und Lehrbeauftragter an der HAWK Hildesheim für Stahl- und Verbundbau mit baulichem Brandschutz.
M.Sc. Stefan Sandbrink ist als Projektingenieur bei der shl ingenieure GmbH in Hannover tätig und hat in seiner Masterthesis gezielt den Einfluss von Holz als Brandschutzsystem für Stahlbauteile untersucht.
Prof. Dr.-Ing. Peter Schaumann ist Leiter des Instituts für Stahlbau der Leibniz Universität Hannover.
MEHR INFORMATIONEN
Literatur
[1] Tabeling, F. : Zum Hochtemperaturverhalten dämmschichtbildender Brandschutzsysteme im Stahlbau. Hannover, Leibniz Universität Hannover, Institut für Stahlbau, Diss., 2014
[2] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN) (Hrsg.): DIN 4102-4: Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Teil 4: Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile. Beuth Verlag GmbH, Berlin, März 1994
[3] DIBt (Hrsg.): Zulassungsgrundsätze für reaktive Brandschutzsysteme auf Stahlbauteilen. Berlin, DIBt, 1997
[4] Sandbrink, S.: Optimierung einer Fachwerkbinderkonstruktion in Stahl- bzw. kombinierter Stahl-Holzbauweise unter Berücksichtigung brandschutztechnischer Anforderungen am Beispiel einer Sporthalle. Hannover: Repositorium der Leibniz Universität Hannover, 2017. 244 S. DOI: https://doi.org/10.15488/1747
[5] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN) (Hrsg.): Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten; Teil 1–2: Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall; (DIN EN 1995-1-2). Beuth Verlag GmbH, Berlin, Dezember 2010
[6] ABAQUS: Abaqus/Standard Version 6.10, Pawtucket: Hibbit, Karlsson & Sorensen, Inc. 2011
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