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„Hygienisch, ohne Wenn und Aber“

Patientenzimmer sollen heute gut gestaltet, aber gleichzeitig auch perfekt zu reinigen sein. Innenarchitektin Sylvia Leydecker über diesen ständigen Balanceakt

26.02.20156 Min. 3 Kommentar schreiben
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Hundertprozentig im Thema: Sylvia Leydecker, Inhaberin des ­Kölner ­Büros 100% interior, plante die Innenarchitektur der Privatstation der Rems-Murr-Klinik in Winnenden.

Interview: Nils Hille

Frau Leydecker, seit neun Jahren lautet Ihre Mission, gute Innenarchitektur in Krankenhäuser zu bringen. Haben wir mittlerweile überall Spitäler mit Gestaltungsanspruch?

Schön wär’s! Es gibt auf jeden Fall einige Beispiele, aber von einer flächendeckend gelungenen Innen­architektur in Kliniken sind wir in Deutschland meilenweit entfernt. Und selbst gerade neu gestaltete Räume lassen traurigerweise in vielen Fällen zu wünschen übrig.

Wieso das?

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Die Privatstation der Rems-Murr-Klinik in Winnenden.

Weil oft der Begriff „Hotelatmosphäre“ bei der Zielsetzung mitschwingt und dann auf dem Niveau „Garni“ haltmacht, was nicht wirklich schön wird. Oder aber die Zimmer werden so wie in einem Hotel geplant, was auch ein Problem ist, denn ein Krankenhaus war und ist kein Hotel. Das wird es auch nie sein, denn hier herrschen ganz andere Prozessabläufe und Ansprüche, besonders an die Hygiene. Und da gilt das oberste Gebot für uns Innenarchitekten: Es muss hygienisch sein, auch wenn nicht alles danach aussieht. Ohne Wenn und Aber. Wer da nur auf die Optik guckt, schafft Räume, die alles andere als gut zu reinigen und desinfizieren sind – in Krankenhäusern ein No-Go.

Aber es gibt doch einige fast selbstreinigende Produkte und Materialien mit sogenannten Easy-to-clean- oder fotokatalytischen Beschichtungen?

Ja, die gibt es, aber es sind noch deutlich zu wenige, um völlig frei und kreativ gestalten zu können. Die Materialvielfalt lässt doch in vielen Bereichen sehr zu wünschen übrig. Zwei simple Beispiele: Allein 90 Prozent der Vorhangstoffe fallen von Anfang an bei der 12_Leydecker3Auswahl weg, weil sie nicht bei 60 Grad waschbar sind. Oder finden Sie mal einen Polsterstuhl, der ­Privatpatienten in ihren Zimmern zusteht und der nicht nur gut aussieht, sondern dessen Stoff auch noch urindicht ist und Desinfektionsmittel verträgt. Den finden Sie im Prinzip zwar bei den immer gleichen Anbietern, suchen sonst aber die Nadel im Heuhaufen. Hier ist die Industrie gefordert, nachzubessern. Momentan kann ich bei unseren Krankenhaus-Projekten deshalb nur mit einer Handvoll Herstellern zusammenarbeiten.

Gibt es denn auch positive Entwicklungen?

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Sofa und Sessel schaffen ein Stück Wohnlichkeit. Der zentrale, ausklappbare Tisch rückt das Wickeln des Kindes „als Highlight“, so Leydecker, in den Mittelpunkt.

Bei den Linoleum- und Kautschuk-Böden hat sich einiges getan. Hier ist die Auswahl deutlich besser geworden, sodass ich auf PVC-Beläge leichter verzichten kann, wenn es sinnvoll ist. Wenn ich mir dann unsere komplett gestalteten Zimmer am Ende noch einmal anschaue, gibt es nur noch einen Fremdkörper im Raum: das Patientenbett. Auch dieses ließe sich, trotz der vielen Ansprüche wie Transportfähigkeit, Wendigkeit und Verstellbarkeit, deutlich besser gestalten. Daher gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass mich irgendwann ein Hersteller dazu auffordert, gemeinsam mit ihm ein neues Bett zu entwickeln. Genauso wie ich weiterhin hoffe, dass ich bei allen Industriepartnern irgendwann Ansprechpartner auf Augenhöhe habe. Die Vertriebsmitarbeiter wissen häufig gar nicht, welche hohen Ansprüche in einer Klinik an ein Material oder Produkt gestellt werden.

Dann geht es denen ja wie Ihnen vor neun Jahren.

Stimmt, am Anfang wusste ich genauso wenig von diesen Anforderungen. Trotzdem wurde ich sofort nach meinem ersten Prototyp eines „Patientenzimmers der Zukunft“ als Expertin dargestellt und wahrgenommen, vielleicht auch aus der Not heraus, weil es niemand anderen in diesem Sektor gab. Heute habe ich durch unsere geplanten und realisierten Projekte viel Wissen ansammeln können, zum Beispiel was die Kliniken beim PKV-Verband, dem Verband der Privaten Krankenversicherungen, abrechnen können und was nicht. Dies kam aber vor allem daher, dass ich für sie durch die Entwicklung eines Wahlleistungs-Zimmer-­Prototyps ihren Leistungskatalog auch ­ästhetisch greifbar gemacht habe.

Und die Klinikbetreiber bauen immer häufiger diese Bereiche um, weil der Kampf um die Privat­patienten, mit denen sich noch Geld verdienen lässt, härter geworden ist?

Ja, die meisten Patienten werden nicht aufgrund eines Notfalls eingeliefert, sondern können sich in aller ­Ruhe das Krankenhaus auswählen, in dem sie später behandelt werden wollen. Da spielt neben der medizinischen auch die räumliche Qualität eine immer ­größere Rolle. Und noch ein anderer, nicht zu vernachlässigender Faktor kommt hinzu: An spezialisierten, erfahrenen Ärzten und auch Pflegepersonal herrscht Mangel. Da knüpft neuerdings „der Herr Professor Doktor Doktor“ auch immer häufiger an seine Zusage die Bedingung, dass seine künftige Privat­station gut gestaltet wird. Eine Chance für uns Innenarchitekten.

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Kleiner Sonnenschein: Passend zum fröhlichen Ereignis, der Geburt eines Kindes, kreierte das Büro 100% interior diese freundliche Raumgestaltung für Wöchnerinnen.

Komfort trotz Kostenrahmen

Bei ihrem neusten realisierten Projekt im Gesundheitsbereich zeigt Sylvia Leydecker, wie sich Gestaltungs- und Hygieneansprüche in Patientenzimmern vereinen lassen. In dem Neubau der Rems-Murr-Klinik Winnenden sorgte ihr Büro „100% interior“ für die Innenarchitektur der Privatstation sowie des Wahlleistungsbereichs für Wöchnerinnen. Für diesen nahm sie in einzelnen Akzenten die gelben Farbtöne der Fassade des Gebäudes von Hascher Jehle Architekten wieder auf – zum Beispiel in Form von transparenten Designobjekten, die ein Besucher auch ganz unprätentiös als Sitzgelegenheit nutzen kann. Sie sorgen gemeinsam mit gestalterischen Elementen, wie bunt gepunkteten Tapeten im Retrostil, für ein frisches und fröhliches Ambiente, das der Zielgruppe der überwiegend jüngeren Frauen gefallen soll.

Bei der ursprünglichen Planung sollte der Wickeltisch noch in einer Ecke neben dem Bett 12_Leydecker6gequetscht positioniert werden. Leydecker rückte ihn aber in den Mittelpunkt des Raumes. „Das Wickeln des Neugeborenen ist doch das Highlight. Da wollen alle Familienmitglieder zugucken“, erklärt die Innenarchitektin. Alternativ können sie es sich auch mit dem Baby im Arm auf dem Sofa gemütlich machen. Sein spezieller Stoffbezug lässt sich bei kleinen Malheuren schnell reinigen.

Ebenso komfortabel, aber deutlich hochwertiger kommen die Zimmer der Privatstation daher. Hier bestimmen Holzimitationen schon bei den Türen das Bild. Sie ziehen sich am Boden und an den Wänden weiter durch das Zimmer, da Leydecker echtes Holz aus Hygienegründen nicht verwenden kann. Ebenso gut sind Wandbilder und Sessel steril zu halten, ohne dass sie steril wirken. Sie kombinierte Leydecker mit den Brauntönen. „Durch 12_Leydecker5diesen dezenten Farbeinsatz wollen wir eine edle Zeitlosigkeit erreichen, die bei einer breiten Alterszielgruppe auf Wohlgefallen stößt.“ Das soll auch die für ein Krankenhaus eher ungewöhnliche Deckenlampe bewirken, die außerhalb der Chefarztvisite dem Patienten auch ein rein indirektes Licht ermöglicht.

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3 Gedanken zu „„Hygienisch, ohne Wenn und Aber“

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,

    mit Interesse habe ich die Beiträge zur Gestaltung von Krankenhäusern in der März Ausgabe gelesen. Allerdings sind mir auf den Bildern des neugestalteten Krankenzimmers im Beitrag „Hygienisch, ohne Wenn und Aber.“ auf den ersten Blick planerische Mängel aufgefallen.
    Von der Farb- und Raumgestaltung wirkt das Patientenzimmer sehr ansprechend. Der zum Fenster hin farbig zweigeteilte Fußboden lässt den Raum größer und heller wirken. Die Farbkombination braun/grün vermittelt Wohnlichkeit und Naturnähe. Die Fehler liegen jedoch im Detail.

    Eine große auf dem Boden stehende Glasvase hat in einem Patientenzimmer nichts verloren – auch wenn sie noch so dekorativ aussieht. Vor dem Hintergrund, dass viele ältere Menschen heutzutage blutverdünnende Medikamente einnehmen müssen und die Sturzneigung im Alter zunimmt, stellt eine Glasvase eine erhebliche Gefahr für den Patienten dar. Ebenso sollten Tisch- und Regalkanten zur Vermeidung von Unfällen abgerundet sein.

    Das auf Beckenhöhe angebrachte schmale Wandregal lädt ältere und gehbehinderte Menschen ein Halt zu suchen und ich abzustützen. Das Regal ist zwar ein schönes Detail, aber spätestens wenn sich ein Patient mit vollen Körpergewicht darauf abstützt, wird es bis zu seiner Reparatur, auf die man oft Wochen wartet ziemlich armselig von der Wand hängen.

    Die senkrechte Anbringung der Einmalhandschuh-Halter ist in der Praxis durchaus gängig, aber bei jedem Griff in die Packung fallen ein bis zwei Handschuhe auf den Fußboden heraus und müssen entsorgt werden. Da man im Tagesverlauf sehr oft in diese Packungen greift, sind die Packungen sehr schnell aufgebraucht. Es empfiehlt sich die Halterung daher waagerecht oder mit einer gewissen Neigung zu montieren um dies zu verhindern.

    Letztendlich hat sich niemand Gedanken um die Anbringung des Desinfektionsmittelspenders gemacht. Es wurde hier ein Modell gewählt bei dem die Auffangschale für abtropfendes Desinfektionsmittel fehlt. Entweder wurde dieses Detail vergessen oder es wurde absichtlich wegen der geringeren Raumtiefe dieses Modell gewählt. Ein Desinfektionsmittelspender stellt einen sehr oft benutzten Gebrauchsgegenstand im Patientenzimmer dar. Beim Gebrauch des in der Abbildung gezeigten Desinfektionsmittelspenders wird jedes mal Desinfektionsmittel auf die Oberfläche des Schrankes und auf den Fußboden tropfen. Erstens wird dies mit der Zeit unschöne Flecken geben und zweitens wird der Fußboden im Bereich des Desinfektionsmittelspenders nach einmaliger Benutzung sofort spiegelglatt sein, weil Hautdesinfektionsmittel zum Schutz der Haut einen rückfettenden Anteil besitzen.

    Alles in allem sagt ein Bild mehr als tausend Worte und zeigt auf, dass die Innenarchitektur im Krankenhaus in Sachen Funktionalität noch immer in den Kinderschuhen steckt. Der Kardinalfehler liegt darin, dass Planer keinen Kontakt zur Krankenhausbasis aufnehmen. Die Mitarbeiter des Krankenhauses, die täglich in Patientenzimmern zu tun haben liefern bestimmt gerne wertvolle Vorschläge zur funktionalen und vorallem sicheren Gestaltung ihres Arbeitsplatzes.

    Mit freundlichen Grüßen

    Peter Clauer, St.Ingbert

    Antworten
  2. Sehr geehrter Herr Clauer, vielen Dank für Ihre Anmerkungen…In Kürze dazu: Der „Glashocker“ verursacht nur scheinbar Verletzungsgefahr, weil dem nicht so ist: Das Material ist pflegeleichter Kunststoff. Die Desinfektionsmittelspender wurden nicht von mir platziert. Wir haben des öfteren Kontakt zur Basis im KH, zu Pflege, Hygiene, FM, etc. ..leider sind auch hier oft keine einheitlichen Meinungen vorhanden, sodass sich hier die Geister oftmals scheiden ..sei es aus persönlichen oder sachlichen Gründen. Ich empfehle mein aktuelles Buch „Das Patientenzimmer der Zukunft“. Aktuell bei Birkhäuser erschienen, incl. Hygiene. Die Entwicklung schreitet weiter fort …

    Antworten
  3. ….insgesamt möchte ich aber sagen, dass wir gerne im Team mit den KH-Mitarbeitern arbeiten, meistens vielerlei Perspektiven vertreten sind, sodass Kompromissbereitschaft, Zeiteinsatz und Priorisierung erforderlich sind, um alles erfolgreich unter einen Hut zu bekommen. Das ist unser aller erklärtes Ziel, um mit dem Resultat glücklich zu sein.
    Schöne Grüße aus der HealthcareWelt? Sylvia Leydecker, 100% interior

    Antworten

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