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Keimfreie Oberflächen

Beim Einsatz antimikrobieller Farben und Beschichtungen stehen Architekten vor der Qual der Wahl zwischen umstrittenen Verfahren

29.09.20136 Min. Kommentar schreiben
Foto: Fraunhofer inHaus; odoras.com
Sauber forschen: Das Fraunhofer-in- Haus-Zentrum in Duisburg experimentiert mit Oberflächen, die die Verbreitung von Mikroben stoppen.

Text: Iris Kopf

Jährlich erkranken in Deutschland rund 500.000 Menschen an Infektionen mit gesundheitsgefährdenden Bakterien und Keimen. Zwanzig bis dreißig Prozent der Infektionen, so schätzen Experten, wären durch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen vermeidbar. Dazu gehört unter anderem die laufende Desinfektion gefährdeter Oberflächen. Sie ist sogar gesetzlich vorgeschrieben. Doch herkömmliche Desinfektions- und Reinigungsmittel wirken auf Decken, Wänden, Fußböden, Fliesen, Türen oder Schaltern nur kurzfristig und erzielen bei besonders resistenten Bakterien und Keimen kaum einen Effekt. Deshalb werden Spezialbeschichtungen und -anstriche von Oberflächen zunehmend Bestandteil moderner Hygienekonzepte in einschlägigen Gebäuden. Keimhemmend beschichtete Oberflächen und Elemente, mit denen Patienten, betreute Personen und Personal in Kontakt kommen, können helfen, das Infektionsrisiko zu minimieren.

Auch für die Architektur im Gesundheitsbereich spielt die antibakterielle Oberflächenqualität bei der Planung der Innenräume eine wesentliche Rolle. Die dafür erforderlichen Materialien können nach individuellen Anforderungen an das Kontaminationsrisiko von darauf spezialisierten Firmen hergestellt werden, was sehr teuer sein kann. Es sind jedoch auch kostengünstige Massenprodukte in breiter Auswahl verfügbar. Hier werden überwiegend sogenannte nanoskalige Materialien verwendet – also Stoffe mit winzigen Partikeln in einer Größe von einem bis hundert Milliardstelnmetern. Nur selten enthalten Produktdeklarationen Hinweise darauf – obwohl oder weil die Nanotechnologie durchaus umstritten ist.

Zunächst zu ihren Vorteilen. Mit Nanotechnologie lässt sich die Funktionalität von Anstrichstoffen und Beschichtungen verbessern. Die Partikel werden den Anstrichstoffen als unterschiedlich wirksame Komponenten beigemischt. Auch Farbpigmente können bei entsprechend geringer Größe Nanomaterialien sein. Antibakterielle Wandfarben erzielt man durch Zugabe von Nano-Silberpartikeln. Auch mit photokatalytisch wirksamen Zusätzen von Titandioxid- oder Zinkoxid-Nanopartikeln konnten antibakterielle Effekte nachgewiesen werden. Die nanoskaligen Additive sind nach Aussagen der Hersteller fest in die jeweilige Materialmatrix eingebunden. Emissionen aus der Oberflächenbeschichtung seien deshalb nicht möglich. Sie wirken ausschließlich auf der Oberfläche gegen Bakterien, Viren, Keime und Pilze.

Eine Variante für die antibakterielle Ausrüstung von Oberflächen ist ihre Imprägnierung, um Bakterien das Anhaften zu verwehren. Dies ist ultrahydrophob möglich, zum Beispiel mit perfluorierten Materialien oder mit negativen Ladungen, wie mit Polyacrylsäure, oder sehr hydrophil, wie mit Polyethylenglykol. Imprägnierungen sind nicht filmbildend, sondern der mit Wirkstoffen versehene Anstrich dringt in die Oberfläche des Untergrunds ein.

Foto: Fraunhofer inHaus; odoras.com
Klein und gemein: Das Bakterium Staphylococcus aureus ist nur ein Tausendstelmillimeter groß. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem kann es Krankheiten an Haut und Muskeln hervorrufen.

Eine weitere Möglichkeit sind mit Bioziden ausgestattete Beschichtungen. Sie gehören zu den Massenprodukten und werden heute auch als Nano-Produkte angeboten. Die Biozide werden permanent freigesetzt und töten die Bakterien bei Anhaftung ab (siehe auch www.biozid.info). Zu den Wirkstoffen zählen unter anderem Triclosan-, Silber- oder Tributylzinn-(TBT-)Verbindungen. Biozide haben gravierende Nachteile: teilweise nachgewiesene negative Wirkungen auf die Gesundheit, die unkontrollierte Freisetzung des Biozids, die Kontamination der Umgebung sowie die Förderung der Bildung resistenter Bakterienstämme. Weiterhin erfolgt über kurz oder lang eine Inaktivierung der Oberfläche durch Auswaschen des Wirkstoffs. Dieses bei Fassadenfarben bekannte Phänomen kann in Abhängigkeit von der Luftfeuchte und der Reinigung der Flächen aufgrund von Hygienevorschriften auch in Innenräumen auftreten.

Verfügbar sind auch Beschichtungen mit antimikrobiellen Sterionen. Sterione bilden kontinuierlich Ionen mit hoher Aktivität, die die Stoffwechselsysteme der Zellen primitiver Organismen angreifen, so dass diese absterben. Für Menschen sind sie ungefährlich. Die nanoskaligen Moleküle werden als Additive in Lacke, Kunststoffe und andere Werkstoffe eingebracht. Sie bleiben im Trägermaterial verankert und können nicht, wie Biozide oder Nanometalle, entweichen. Ihre Wirkung bleibt über viele Jahre erhalten.

Nach dem Prinzip des Säureschutzmantels der menschlichen Haut hat die Firma AMiSTec eine Technologie zur Abtötung von Keimen auf Oberflächen und zur Verhinderung der Neubesiedelung entwickelt. Durch das Einbringen bestimmter Metalloxide (Lewissäuren) wird der pH-Wert der Beschichtung abgesenkt. Bei Kontakt mit der Oberfläche werden Keime rasch und effizient zerstört. Das Verfahren ist weltweit patentiert. Die Wirksamkeit wurde in unabhängigen Studien nachgewiesen und ist deutlich stärker und länger anhaltend als jene von Desinfektionsmitteln, Silber-Nanoteilchen, Kupfer oder Titandioxid.

Foto: UK Ulm
Blitzblank: Sterilität dominiert auch die Architektur, wenn es um Operationssäle geht – hier ein neuer im Universitäts- klinikum Ulm von KSP Jürgen Engel Architekten aus München.

Eine Beschichtung zur Herstellung antimikrobieller Fliesen für den Gesundheitsbereich ist Silverzanit. Die Silber-Moleküle sind in die Keramik abriebfest eingebrannt. Laut Hersteller verhindern sie das Wachstum der vier häufigsten Mikrobenstämme mit 99,9-prozentiger Sicherheit und vermindern damit auch für das Umfeld das Risiko mikrobieller Verunreinigung.

Hat Nano Zukunft?

Ob Nanopartikel für Menschen ein Gesundheitsrisiko darstellen, ist noch sehr umstritten. Ob es sich um „kleine Helfer oder gefährliche Winzlinge” handelt, fragt zum Beispiel das Portal www.euractiv.de. Zwei Fachverbände, die Sektion Klinische Antiseptik der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. (DGKH) und die Desinfektionsmittel-Kommission des Verbunds für Angewandte Hygiene e.V. (VAH), äußerten sich 2010 zu den gesundheitlichen Risiken: „Bei Anwesenheit von Eiweißverunreinigungen wird die Wirksamkeit von Silber- und Kupferionen komplett aufgehoben. Bei Einsatz auf mechanisch beanspruchten Oberflächen muss mit einer Verringerung der wirksamen Oberfläche der Nanopartikel durch Abrieb gerechnet werden. Das heißt, dass die Wirkung allmählich nachlassen wird. Bisher ungeklärt ist, ob mit zunehmender Nutzungsdauer durch Abrieb von den Oberflächen Nanopartikel in die Raumluft freigesetzt werden, was toxikologisch höchst kritisch zu beurteilen wäre.” Die Autoren fürchten gar „eine vergleichbare Situation wie nach dem Bekanntwerden der Risiken durch Asbestfaserfreisetzung”.

Universalrezepte gibt es nicht

Doch die Praxis geht darüber hinweg; Nanomaterialien werden längst vielfach angewandt. Anbieter verweisen darauf, dass Materialien für hygiene-sensible Bereiche höchsten Anforderungen hinsichtlich Qualität und Sicherheit unterliegen würden. Die Nanotechnik gilt für die antibakterielle Oberflächenbeschichtung als Schlüsseltechnologie der Zukunft mit hoher Wirtschaftskraft und spielt vor allem für Massenprodukte eine herausragende Rolle.

Foto: UK Ulm
Anstriche dominieren: Anzahl der Nanotechnologie-Akteure in den verschiedenen Anwendungsfeldern im Bauwesen laut nano.DE-Report 2011

Der Züricher Materialwissenschaftler Bernd Nowack verweist einerseits auf Probleme. Für Qualitätsnachweise von Nanomaterialien fehle es noch an dafür notwendigen standardisierten und zugänglichen Methoden und an der Transparenz der Ergebnisse. Fortschritte sieht Nowack andererseits beim Thema „Auswaschung”. Produktionsprozesse seien verbessert worden; die Partikel werden in das Material oder in eine Matrix eingebunden. Gerade bei Farben, Putzen und Beschichtungen sollen sich dadurch Auswaschungen von Nano-Materialien verhindern lassen.

Auch die Fraunhofer-Gesellschaft beschäftigt sich mit Nano-Materialien. Ihr inHaus-Zentrum in Duisburg hat seit Juli ein „Hospital ­Engineering Labor“, in dem auf 350 Quadratmetern alle Funktionsbereiche eines Krankenhauses nachgebaut sind. Innerhalb dieses Projektes forscht das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik, Umsicht, an einem Verfahren, mit dem polymere Oberflächen durch sogenanntes überkritisches Kohlendioxid oberflächennah imprägniert werden, so dass Nanosilber langfristig haftet. Die Oberflächen von Türklinken, Schaltern oder Ähnlichem wären somit dauerhaft gegen Bakterien beständig. Auch eine nachträgliche Behandlung der Oberflächen sei möglich.

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