„Das klären wir dann vor Ort“, ist bei Planern wie Ausführenden ein beliebtes, weil erleichterndes Schlusswort von Baubesprechungen. Dies gilt vor allem, wenn es um das konventionelle Bauen im Bestand geht. Verfechter vorgefertigten Bauens empfinden dies dagegen als Provokation und Kapitulation vor der Komplexität der Aufgabe. Wer hat die besseren Argumente?
Vorgefertigter Holzbau bezieht – bislang vorrangig bei Neubauten – seine wichtigsten Argumente aus dem hohen Vorfertigungsgrad: Die bekannten Folgen sind eine hohe Ausführungsqualität, eine kurze Montagezeit vor Ort, eine menschenfreundlichere Arbeitsweise und ab einem gewissen Projektzeitpunkt auch eine höhere Kostensicherheit. Was liegt da näher, als diese Bauweise auch beim Bauen im Bestand einzusetzen? Denn beim Umbau von Gebäuden, vor allem bei laufendem Betrieb, wirken sich die kurze Bauzeit sowie die staub- und lärmarme Montage positiv aus. Dennoch werden bislang solche Projekte nur selten realisiert.
Vorgefertigtes Bauen fordert ein hohes Maß an Planungstiefe. Alle relevanten Fragen müssen im Vorfeld beantwortet werden, damit keine Probleme bei der Ausführung entstehen. Welche Erleichterung bringt demgegenüber die konventionelle baubegleitende Planung? Erkennen Architekten aufgrund ihrer Erfahrungen Problemzonen im Vorfeld und können sie, ohne die letztlich auszuführende Lösung im Detail zu kennen, entsprechende Reserven in Kosten- und Terminplänen vorsehen, dann können sie auch im Bauverlauf auf die freigelegte Konstruktion und das wertvolle Praxiswissen der ausführenden Firmen zurückgreifen. Fehler im Aufmaß oder in anderen Bereichen der Bestandsaufnahme fallen in der Regel weit weniger als beim vorgefertigten Bauen ins Gewicht. Anschlüsse und Bauteilaufbauten können zum Teil einfacher gestaltet werden, wenn nicht die Anforderung an geschlossene und transportierbare Elemente besteht. Es bleibt der Wermutstropfen des konventionellen, also des reagierenden Bauens, dass Bauzeit, Kostensicherheit, Qualität und Überwachbarkeit der Ausführung auf einem anderen Niveau stattfinden als beim vorgefertigten Bauen.
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Eine Frage der Kommunikation und Fachexpertise
Vorfertigung im Bestand lebt mit der Gefahr, durch Planungslücken ihre Vorteile zum Teil einzubüßen. Fehlerpotenzial liegt in einer unvollständigen Bestandsaufnahme. Das Bestandsgebäude muss, wenn es mit 2D- oder 3D-Elementen saniert wird, vom Architekten und von den Fachplanern über die Disziplinen hinweg vollständig verstanden und dokumentiert werden. Dafür ist ein hohes Maß an Kommunikation notwendig, an der sich alle Fachplaner aktiv und verantwortungsvoll beteiligen sollten. Ein praktisches Beispiel: Heizleitungen in der Außenwand, wie in der Nachkriegszeit üblich, verursachen kleine Aussparungen in den bestehenden Betondecken. Diese wiederum können den Anschluss von neuen Balkonen oder Fassadenelementen erheblich beeinträchtigen. Wer sollte darauf hinweisen? Ist das ein Haustechnik-, ein Tragwerks- oder ein Architekturthema oder vielmehr eine Frage der Kommunikation? Der Architekt als organisierender Koordinator muss intensiv mit den Beteiligten diskutieren, welche Untersuchungen, etwa zu Betonfestigkeit, Art und Zustand der Bewehrung, Qualität des Bestandsmauerwerks, eventuellen Feuchteschäden oder Setzungen, Trassenführung der Haustechnik sowie Zustand und Sicherheit von Leitungen, für die Planung relevant sind. Denn im Bauverlauf macht es sich bezahlt, wenn wichtige Komponenten, wie Haustrennwände, Bestandsdecken und -wände, Haustechnikschächte und Aussparungen in ihrer Geometrie, Materialität und Erhaltungsgrad, genau erfasst und hinsichtlich Brandschutz, Schallschutz und Tragfähigkeit so exakt wie möglich bewertet sind. Es ist durchaus auch eine Aufgabe des Architekten, festzulegen, wie Bestandstoleranzen bei der Planung der vorzufertigenden Elemente berücksichtigt werden: Der Architekt sollte die Festlegung von Achsen, die Erstellung des Aufmaßes und die aufmaßkonforme Montage der Elemente vor Ort zusammen mit der ausführenden Firma sorgfältig unter Kontrolle behalten.
Holzbaukompetenz in die Planung integrieren
Gerade beim Bauen im Bestand ist es unabdingbar, die Kompetenz zum Thema Holzbau bereits in der Planungsphase im Team zu haben. Ein Blick in die Schweiz, derzeit Holzbau-Spitzenreiter, zeigt das Modell des Holzbau-Ingenieurs: Er berät zur Holzbau- Konstruktion und weist diese statisch nach, arbeitet bei der Detailentwicklung mit und überwacht diese, liefert Input zu Schall- und Brandschutz, erstellt die Ausschreibung, zum Teil sogar die Werk- und Montageplanung für die Ausführung. Eine andere Strategie ist die Beauftragung der ausführenden Holzbaufirma zu einem frühen Projektzeitpunkt. Das hat den Vorteil, dass firmenspezisch optimierte Lösungen erarbeitet werden können. Denn bislang hat jedes Unternehmen bevorzugte Lösungen, es fehlt noch an Standardisierung. Funktionale Ausschreibungen erlauben die Mitarbeit des Unternehmens bei der Detailplanung, was je nach Teamzusammensetzung den Planungsprozess deutlich effektiver machen kann. Es liegen auch Erfahrungen zu verschiedenen Varianten von Bauteam-Lösungen vor, die alle gemein haben, dass ausführende Firmen in der frühen Planung beteiligt sind. Es lassen sich dabei Mechanismen integrieren, die die Kostenkontrolle verbessern: Beispielsweise kann die Firma ein Leistungsverzeichnis mit entwickeln, das dann auch von anderen Unternehmen angeboten werden kann. Der Holzbau-Planungsprozess und mögliche Kooperationsmodelle sind im aktuell erschienenen Schlussbericht des Forschungsprojektes leanWOOD (www.leanwood.eu) unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) intensiv beleuchtet worden.
Erfahrungen aus der Praxis – Fassadensanierung in München-Schwabing
Ein im Abschluss befindliches Projekt aus dem von mir gemeinsam mit Martin Kühfuss und Christian Schühle betriebenen Büro HKS erlaubt einen sicher nicht repräsentativen, aber ungewöhnlich direkten Vergleich zwischen konventioneller Sanierung und der Verwendung vorgefertigter Elemente. Bei der Modernisierung der Gebäudehülle von zwei sechsgeschossigen Schwabinger Blockrandhäusern wurden die Hoffassaden mit neuen Stahlbalkonen, Holz-Alu-Fenstern und einem mineralischen Wärmedämmverbund-System konventionell saniert. An der Straßenseite sollte die Architektur des Hauses aus den frühen 1960er-Jahren grundsätzlich aufgewertet werden. Die aufwendigere Gestaltung der Straßenfassade gegenüber einer schlicht gestalteten Hoffassade ist im gründerzeitlich geprägten Schwabing durchaus ortstypisch.
Es kam das an der TU München entwickelte, auf vorgefertigtem Holztafelbau basierende Timber-based-Element-System (TES Energy Facade) zur Anwendung: Vertikale, über drei Geschosse reichende Elemente mit vormontierten Fenstern wurden vor die gemauerte Bestandsfassade montiert. Damit sind die architektonischen Spielräume der beiden Systeme benannt: Auf der Hofseite beschränken sich die Entscheidungen im Wesentlichen auf das Zusammenspiel von Fensterteilung, Farbe, Putzstruktur und Balkongeländer. Für die Gestaltung war es zudem wichtig, die stählerne Lastabtragung der Balkone im WDVS zu verbergen.
Mit dem vorgefertigten System an der Straße stand ein enorm breites Spektrum an Oberflächen und Formen zur Verfügung. Die Entscheidung fiel auf Faserzementplatten, die, geschuppt montiert, durchlaufende Brüstungsbänder erzeugen und zusammen mit den geschwungenen Balkonen die Fassade neu gestalten. Ein textiler Sonnenschutz konnte durch den leichten zwischen Brüstungsbändern und Fensterzone problemlos integriert werden.
Das WDVS erzielt einen etwas besseren U-Wert als die vorgefertigte Fassade, da deren Aufbautiefe, durch die Baugenehmigung bedingt, limitiert ist und der Gefachanteil der Holzkonstruktion und die Hinterlüftungsebene die Dämmleistung etwas reduzieren. Die Fenster auf der Hofseite verlieren im Vergleich mit der vorgefertigten Fassade etwas weniger Glasfläche. Denn bei der elementierten Fassade wurden die leicht verspringenden Fensterhöhen begradigt und die Unterschiede im Anschluss an den Bestand ausgeglichen.
Die Wetterabhängigkeit ist beim vorgefertigten System viel geringer: Hier werden die alten Fenster erst vor dem Einbau der neuen Elemente mit integrierten Fenstern ausgebaut. Eine Montage bei Minustemperaturen ist zwar nicht ratsam, technisch aber möglich, da die Elemente lediglich auf Holzprolen verschraubt werden. Die Montagezeit der Elemente inklusive Unterkonstruktion lag mit etwa zwei Wochen pro Haus weit unter der Bauzeit des WDVS. Die Ausführung der Fassadendämmung musste wegen eines frühen Wintereinbruchs in das Frühjahr verschoben werden.
Aus ökologischer Sicht ist der Vergleich klar für den vorgefertigten Holzbau entschieden: Die Lebensdauer ist länger prognostiziert, die Bauweise robuster, die Konstruktion kann schichtenweise rückgebaut werden, es entstehen keine nur schwierig zu recycelnden Verbundkonstruktionen. Ein weiterer Vorteil ist, dass auch Lasten abgetragen werden können. Im konkreten Beispiel wurde das bei einem Teil der Balkonverankerungen genutzt.
Je nach Projekt kann ein sehr hoher Vorfertigungsgrad neben der Verbesserung des Prozesses auch das Ergebnis, die Architektur, bestärken, oder aber im Gegenteil hohe Auflagen an die räumliche Qualität mitgeben. Diese Wechselwirkung jeweils zu untersuchen und weitere vorgefertigte Lösungen für das Bauen im Bestand mit Holz zu entwickeln, bleiben höchst spannende Architektenaufgaben.
Dipl.-Ing. Wolfgang Huß ist Architekt und Professor für industrialisiertes Bauen und Fertigungstechnik an der Hochschule Augsburg.
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