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„Lehmbau geht auch mehr­geschossig“

Mit einem Forschungsprojekt und einem Musterbau will der Bau­ingenieur Wolfram Jäger den Lehmbau wieder konkurrenzfähig machen. Industriell gefertigte Lehmsteine sollen bis Gebäudeklasse 4 einsetzbar werden

Von: Marion Goldmann
Marion Goldmann wählt für das DAB die wichtigsten Produktneuheiten aus....

31.01.20195 Min. Kommentar schreiben

Interview: Marion Goldmann

Herr Jäger, warum favorisieren Sie Lehm für den mehrgeschossigen Wohnungsbau?

Gegenüber anderen Baustoffen wird zur Herstellung deutlich weniger Energie benötigt, auch die Rückführung in den Baustoffkreislauf ist unproblematisch. Außerdem wohnt man sehr gesund in einem Lehmhaus: Pufferung der Luftfeuchtigkeit und damit ein Ausgleich des Raumklimas, Abschirmung hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung, Absorption von Schadstoffen und wärmespeicherfähige Masse sind einige der Vorteile.

Welche praktischen Erfahrungen konnten Sie schon sammeln?

Mein Lehrstuhl an der TU und mein Büro waren viele Jahre am Wiederaufbau der Zitadelle von Bam im Iran nach einem Erdbeben beteiligt. Wir konnten dabei den Lebenszyklus dieser über 2.500 Jahre alten Bauten kennenlernen und fragten uns: Warum bauen wir hierzulande eigentlich nicht mehr mit Lehm, zumal die industriellen Voraussetzungen bei uns deutlich besser sind? In Bam werden die Steine noch mit der Hand in Rähmchen geformt und in der Sonne getrocknet.

Will Architekten den Lehmbau näherbringen: Prof. Dr. Wolfram Jäger ist Inhaber des Lehrstuhls für Tragwerksplanung an der Technischen Universität Dresden und betreibt seit 1990 ein eigenes Ingenieurbüro in Radebeul.

Und warum ist Lehm bei uns aus der Mode gekommen?

Angeblich wegen seiner zu geringen Festigkeit und der Feuchteempfindlichkeit des Baustoffs. Dabei erzielen industriell gefertigte Lehmsteine Festigkeiten in der Größenordnung von Porenbeton und Leichtbeton. Auch Wasser lässt sich mit einfachen Maßnahmen vom Mauerwerk fernhalten.

Wie wollen Sie diese Vorurteile entkräften?

Mit unserem Forschungsprojekt „Entwurfsgrundsätze Lehmbau“ der TU Dresden möchten wir den Architekten den Baustoff wieder näherbringen und das notwendige Handwerkszeug bereitstellen, mit dem sie Häuser aus industriell gefertigten Steinen sicher entwerfen und bauen können. Das Spektrum reicht dabei von funktionalen Prämissen über baukonstruktive Lösungen bis hin zur technischen Gebäudeausrüstung.

Lehmsteine im klassischen Normalformat gibt es ja seit Langem. Welche Steine verwenden Sie?

Wir verwenden ungebrannte und getrocknete Schallschutzsteine aus dem normalen Produktprogramm der Ziegelindustrie. Der Vorteil ist: Aufgrund der industriellen Fertigung steht eine konstant hohe Qualität der Rohstoff­mischung zur Verfügung, die gute Steinfestigkeiten garantiert. Das Vermauern erfolgt mit Dünnbettmörtel. Möglich sind tragende Außenwände bis zur Gebäudeklasse 4, also bis maximal 13 Meter Höhe. Knackpunkt ist zurzeit: Es gibt keine Norm zur Bestimmung der Festigkeit beziehungsweise zur Bemessung des Mauerwerks. Deshalb haben wir in Versuchen den Tragfähigkeitsnachweis erbracht. Im nächsten Schritt werden die Forschungs­ergebnisse an einem Pilotprojekt in Meißen demonstriert.

Wie soll dieser Lehmbau konstruiert werden?

Es handelt sich um ein zweigeschossiges Gebäude, etwa 10,5 mal 12,5 Meter groß, das als Ein- oder Zweifamilienhaus genutzt werden kann. Außen- und Innenwände bestehen aus 24-Zentimeter-Lehmmauerwerk. Die Außenwände erhalten zusätzlich eine 22 Zentimeter dicke Hanfdämmung, die mit einer Bekleidung aus Lärchenholz abschließt. Die Dämmung ist erforderlich, da die getrockneten Lehmsteine keinen ausreichenden Wärmeschutz bieten. Hanfdämmung und Holzverschalung bestehen aus nachwachsenden Rohstoffen und passen somit bestens in das ökologische Konzept. Innen werden die Wände mit einem Lehmputz versehen.

Und woraus bestehen die Decken?

Um die Leistungsfähigkeit des Wandbaustoffes zu demonstrieren, haben wir für die Decken mit Stahlbeton-Vollplatten die schwerste Variante gewählt. Ziegeldecken, Handmontagedecken oder Holzbalkendecken sind somit ebenfalls möglich. Da die Verarbeitung der Lehmsteine mit Dünnbettmörtel erfolgt, ist es auch statisch kein Problem, Gebäude mit vier Geschossen und einer größeren Deckenspannweite zu realisieren. Statt einer 24er-Außenwand würde dann lediglich eine Außenwanddicke von 36,5 Zentimetern benötigt.

Wie verhält es sich mit dem Schall- und Brandschutz?

Die 24er-Wände erfüllen selbst die erhöhten Anforderungen an den Schallschutz optimal, da die Steine eine Rohdichte zwischen 1,4 und 1,6 kg/dm³ besitzen. Durch Brandversuche konnten wir nachweisen, dass auch die Brandschutzanforderungen der Gebäudeklasse 4 ohne zusätzliche Maßnahmen erfüllt werden.

Welche Maßnahmen haben Sie gegen die Feuchteanfälligkeit des Baustoffs Lehm getroffen?

Zu Beginn des Projektes nahmen wir an, dass über die herkömmliche Bauwerksabdichtung hinausgehende Maßnahmen notwendig würden. Diese Vermutung hat sich nicht bestätigt. Für die normale Wohnungsnutzung mit Küche und Bad sind keine besonderen Vorkehrungen erforderlich. Messungen haben ergeben, dass der Feuchtezuwachs in den Wänden in Bad und Küche bei normaler Nutzung zu keiner Absenkung der zulässigen Spannungen führt. Um dennoch sicherzugehen, werden die Installationswände zwischen Küche und Bad sowie Bad und Windfang als Trockenbau-Konstruktion ausgebildet. Eine Folie innerhalb der Installationswand sorgt im Falle einer Havarie für den geordneten Ablauf des Wassers. Vor dem Überlaufen der Badewanne oder dem Platzen des Waschmaschinenschlauches braucht der Nutzer keine Angst zu haben, dafür sind unsichtbare Havarieeinläufe in den Nassräumen vorgesehen. Auch wird es während des Bauens nicht zu vermeiden sein, dass einmal Wasser auf der Stahlbetondecke steht. Um das Eindringen in die Lehmwand zu verhindern, besteht die erste Schicht auf der Decke aus Ziegeln oder Leichtbetonsteinen.

Erste Anwendung: Beim Neubau des Zinzendorf-Gymnasiums im sächsischen Herrnhut wurden die nichttragenden Innenwände aus Lehmsteinen errichtet.

Was können Sie zur Verarbeitung und zu den Kosten sagen?

Für die Herstellung der Steine und die Verarbeitung haben wir bereits beim Neubau des Zinzendorf-Gymnasiums in Herrnhut mit dem Architekten Daniel Neuer einen ersten Probelauf machen können. Neuer hat getestet, inwieweit sich die Steine unter normalen klimatischen Bedingungen verarbeiten lassen. Alles hat gut funktioniert. Die Lehmsteine wurden von einem Ziegelwerk aus Bayern eingeschweißt und damit wettergeschützt auf die Baustelle geliefert und lassen sich sogar ohne Weiteres nass sägen. Die Ausführung kann also jede Maurer- oder Baufirma übernehmen. Die Kosten der Außenwand entsprechen in etwa denen einer herkömmlichen zweischaligen Wandkonstruktion.

Wann fällt der Startschuss für den Bau des Hauses?

Baubeginn ist noch dieses Jahr; Bauherr ist ein ökologisch ambitionierter privater Investor. Zurzeit befindet sich das Projekt noch in der bauordnungsrechtlichen Genehmigungs­phase. Für das Lehmmauerwerk brauchen wir eine Zustimmung im Einzelfall, da die gültigen bauaufsichtlichen Regelungen zu konservativ für ein modernes leistungsfähiges Lehm­mauerwerk sind. Wir streben die Zertifizierung DGNB-Gold an und werden dabei von Werner Sobek WSGreenTechnologies betreut. Ziel ist ein Aktivhaus.

 

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