Text: Alfred Breitschmid
Der Schweizerische Ingenieur- und Architekten-Verein SIA hat mit seiner Empfehlung SIA 112/1 „Nachhaltige Architektur – Hochbau“ 2004 wichtige Grundlagen erarbeitet. Auf der Basis der heute weltweit anerkannten Definition von 1987 durch die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) erläutert die zuständige Kommission der SIA:
„Bei einer nachhaltigen Entwicklung geht es nicht allein um die Umwelt, sondern ebenso um die Gesellschaft und die Wirtschaft. Diese drei Bereiche sind unmittelbar miteinander verbunden. Wirtschaftliches Wohlergehen ist ebenso wie die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen Voraussetzung für die Befriedigung unserer materiellen und immateriellen Bedürfnisse. Und nur eine solidarische Gesellschaft ist in der Lage, die erworbenen wirtschaftlichen Güter gerecht zu verteilen, die gesellschaftlichen Werte zu pflegen sowie mit den natürlichen Ressourcen haushälterisch umzugehen.“
Zukunftsfähige Architektur basiert auf ganzheitlichem Denken
Le Corbusier hat in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts vom Haus als Maschine gesprochen. Vor einigen Jahrzehnten hat sich das Verständnis vom Haus als System etabliert und heute kann im Sinne einer ganzheitlichen Denkweise das bewohnte Haus als selbstorganisierender Organismus betrachtet werden. Selbstorganisation ist das spontane Auftreten stabiler Strukturen mit neuer Musterbildung von Komponenten in offenen Systemen. Seit einigen Jahren wird die wissenschaftliche Gaia-Hypothese diskutiert, wonach der Planet Erde als Ganzes ein selbstorganisierender Organismus ist. Ein wichtiger Begriff des systemischen Denkens ist die Emergenz. Dies ist die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften eines Systems infolge der Wechselwirkung seiner Elemente. Einfach ausgedrückt ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile.
Auf der Basis dieser ganzheitlichen Ansätze entwirft nachhaltige Architektur Räume, in denen sich das Leben frei entfalten kann, wo sich Menschen wohl fühlen und ihren beruflichen und privaten Alltag im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung gestalten können. Die Architektur sowie das gesamte Bau- und Planungswesen spielen sich im Dreieck Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ab, umrahmt von der jeweiligen Kultur (Bild 1). Die Koevolution von zukunftsfähiger Architektur mit einer menschen- und naturwürdigen Kultur führt zur Entwicklung in eine nachhaltige Gesellschaft.
Ganzheitliches Lehren und Lernen
Die von Ruth C. Cohn entwickelte Themenzentrierten Interaktion TZI in der humanistischen Psychologie und Pädagogik basiert auf einer ganzheitlichen Grundhaltung:
- Kooperationsbereitschaft anstelle von Rivalität
- Wirklichkeitssinn und Sensibilität für eigene und andere Bedürfnisse
- eigene Verantwortung anstelle von Fremdsteuerung.
Der ganzheitliche Lehr- und Lernprozess findet in einem Dreieck mit den Ecken „Ich-Wir-Es“ statt, eingebettet in das jeweilige Umfeld (Bild 2). Auf der Basis problemorientierten Lernens entwickeln Studierende und Dozierende ein partnerschaftliches Umfeld, in dem die Studenten folgende wichtigen Kompetenzen für das Verständnis nachhaltiger Architektur erwerben können:
Sachkompetenzen:
- Kennenlernen der Entwicklung des Lebens mit den Begriffen Ökologie, Nachhaltigkeit, Selbstorganisation, Emergenz
- Einsicht gewinnen in die Auseinandersetzung Mensch-Umwelt
- Grundlagen nachhaltiger Ansätze in den Bereichen Energie, Material, Entwurf und Konstruktion kennen
Methodenkompetenzen:
- Kennenlernen nachhaltiger Methoden im Berufsfeld der Architektur
- Beurteilen der Nachhaltigkeit mit der Nachhaltigkeitsrosette unter Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten
- Kritisches Hinterfragen von nachhaltigen Methoden
Sozialkompetenzen:
- Fähigkeit des vernetzen Denkens und Handelns mit ganzheitlichen Ansätzen
- Einbringen der eigenen und akzeptieren von anderen Sichtweisen
- Fähigkeit der nachhaltigen Kommunikation im Beruf und im Alltag
Selbstkompetenzen:
- Übernahme von Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Umwelt
- Motivation entwickeln für nachhaltiges Handeln
- Einsicht gewinnen sich ständig weiterzubilden im Bereich der nachhaltigen Architektur
Nachhaltige Architektur mit ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten gelingt nur mit interdisziplinärer Zusammenarbeit verschiedener Fachleute. Die Studierenden machen erste Erfahrungen durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Dozierenden aus verschiedenen Fachbereichen und entwickeln im Verlauf des Studiums durch intensive Betreuung die nötigen Kompetenzen, um die Aspekte der Nachhaltigkeit in ihren Projekten umzusetzen (siehe Projektbeispiele).
Die didaktische Nachhaltigkeitsrosette ermöglicht lehrreiche Diskussionen
In Ergänzung der Empfehlungen von SIA 112/1 wurden in den drei Bereichen Gesellschaft (sozial), Wirtschaft (ökonomisch) und Umwelt (ökologisch) 12 Handlungsfelder – je vier pro Bereich – mit entsprechenden Kriterien festgelegt (siehe Tabelle).
Damit eine ganzheitliche, nachhaltige Architektur gelingt, müssen in allen drei Bereichen – der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Umwelt – gute Umsetzungen erzielt werden. Mit der an der Berner Fachhochschule entwickelten Nachhaltigkeitsrosette können diese bewertet, grafisch dargestellt und diskutiert werden.
Für jedes Handlungsfeld erfolgt eine subjektive Bewertung von 0 (Minimum) bis 10 Punkten (Maximum) auf der Basis der aufgeführten Kriterien. Damit die konkrete qualitative oder quantitative Bewertung nachvollziehbar ist, muss die Einschätzung der einzelnen Kriterien begründet werden. Dies ist mit einem Würdigungstext oder mit einer entsprechenden Tabelle möglich (siehe Tabelle). Bei der Unterschreitung der Qualitätsgrenze Nachhaltigkeit von 4 Punkten (dunkles Feld) besteht Handlungsbedarf. Ein nachhaltiges Projekt wird mit einer ausgeglichenen Nachhaltigkeitsrosette in einem Zwölfeck (gelbes Feld) grafisch ausgewiesen.
Die Nachhaltigkeitsrosette ist kein objektives Label-Instrument, sondern ein didaktisches Instrument für die Darstellung der Selbsteinschätzung von Anstrengungen in der Umsetzung der nachhaltigen Aspekte eines geplanten oder ausgeführten Projektes. Mit zunehmendem Wissen über die einzelnen Kriterien gelingt eine sinnvolle Diskussion zur Optimierung einer ganzheitlichen, nachhaltigen Architektur. Die Nachhaltigkeitsrosette kann auch eingesetzt werden für die Diskussion und die Abwägung verschiedener Varianten desselben Projektes.
Zuversichtliche Erfahrungen an der Berner Fachhochschule
Im Departement Architektur, Holz und Bau AHB der Berner Fachhochschule BFH werden in den Bachelor-Grundstudien Wissen und Fähigkeiten in der Bildung für eine ganzheitliche, nachhaltige Entwicklung seit vielen Jahren vermittelt. Die Studierenden vertiefen dabei ihre Sach-, Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenzen. In allen drei Studienjahren des Bachelor-Studiums in Architektur werden von verschiedenen Dozierenden wichtige Themen der nachhaltigen Architektur angesprochen und an konkreten Projekten umgesetzt. Für gut gelungene Projekte werden jedes Jahr von den Dozenten in der Kerngruppe Nachhaltigkeit Buchpreise vergeben.
In Absprache unter verschiedenen Lehrkräften in den Lehrbereichen Technik, Gestaltung und Management werden in den drei Studienjahren folgende Lernfelder in nachhaltiger Architektur angeboten:
1. Studienjahr
- Einführung und Begriffsklärungen, Anwendung der Nachhaltigkeitsrosette
- Exkursion zu vorbildlichen Bauten nachhaltiger Architektur und Umsetzung in Übungsprojekten
2. Studienjahr
- Vorstellen von vorbildlichen Neubauten und Projekten mit nachhaltiger Siedlungsentwicklung
- Umsetzung in Projekten mit Gruppen- und Einzelarbeiten
3. Studienjahr
- Kennenlernen von nachhaltigen Projekten in den heute wichtigen Arbeitsfeldern Sanierung und Weiterbauen
- Umsetzung in Projekten mit Gruppen- und Einzelarbeiten
In der Bachelor-Thesis bearbeiten die Studierenden individuell die verschiedenen Aspekte einer nachhaltigen Architektur. Für die beste Arbeit wird von einer Jury der Kerngruppe Nachhaltigkeit der Award for Sustainability (SFR 1.000,-) vergeben.
Von ehemaligen Studierenden, die heute als Architektinnen und Architekten tätig sind, erhalten die Dozenten positive Rückmeldungen, was ihnen bestätigt, dass sie in der Vermittlung von Kompetenzen in nachhaltiger Architektur auf gutem Wege sind. Generell machen die Lehrenden die Erfahrung, dass die jungen Studierenden motiviert sind, sich für die Anliegen der Nachhaltigkeit einzusetzen und dass sie gewillt sind, Verantwortung für ihren Beitrag an eine nachhaltige Gesellschaft zu übernehmen.
Weiterbildung
Seit einigen Jahren bieten fünf Fachhochschulen in der Schweiz gemeinsam ein modulares Nachdiplomstudium mit 17 verschiedenen Weiterbildungsblöcken an (Master of Advanced Studies MAS). Für einen Abschluss als „Master of Advanced Studies in nachhaltigem Bauen“ müssen fünf Blöcke erfolgreich absolviert und eine Masterarbeit vorgelegt werden. Im Grundlagenkurs, der für alle MAS-Studierende obligatorisch ist, wird ebenfalls das Verständnis für eine ganzheitliche, nachhaltige Architektur vermittelt und die Nachhaltigkeitsrosette bei den praxisorientierten Modularbeiten erfolgreich angewendet.
Mit guten internationalen Austauschkontakten des Fachbereichs Architektur wird die Nachhaltigkeitsrosette auch in Bildungsprogrammen in Indien und in China erfolgreich angewendet. Dabei ist es sehr wichtig, dass sie den jeweiligen Kulturen entsprechend angepasst wird. Es geht nicht darum, dass wir Europäer anderen Kulturen unsere Methoden aufzwingen, sondern dass sie selbst Verantwortung für die eigene nachhaltige Entwicklung übernehmen.
Zwei Beispiele von ausgezeichneten Arbeiten
Projekt Serviceapartments Bangalore von Mélanie Joder
Preis für die beste Studienleistung und Award for sustainable architecture and planning 2010, Planfabrik Gmbh CH 3014 Bern. Das Projekt wurde von Prof. Jürg Grunder an der Berner Fachhochschule BFH begleitet.
In der südindischen Stadt Bangalore (Bundesstaat Karnataka) befindet sich einer der größten IT-Cluster der Welt. Daher gibt es dort viele Filialen und Tochterfirmen internationaler Unternehmen. Für in- und ausländische Mitarbeiter dieser Firmen, die für einige Monate in Bangalore arbeiten und leben, sogenannte Expatriates, sollen auf einer Baulücke an der 100-Feet-Road im Stadtgebiet Indiranagar, Serviceapartments als Unterkünfte gebaut werden.
Als Baumaterial für den fünfgeschossigen Bau wird der vor Ort vorhandene und durch den Aushub gewonnene Lehm in Form von Stampflehm verwendet. Das hat einerseits wirtschaftliche Vorteile, da dieses Baumaterial kostenlos zur Verfügung steht und außerdem der Wegtransport des Aushubmaterials eingespart werden kann. Andererseits ist der Lehm ein absolut ökologisches Material, da für die Aufbereitung kaum Energie verwendet wird und das Material zu 100 Prozent recycelt werden kann. Dank seiner hervorragenden Eigenschaften wie Wärme- und Feuchtigkeitsspeicherfähigkeit sorgt der Lehm für ein angenehmes und gesundes Raumklima. Die Stampflehmwände nehmen die überschüssige Wärme auf, kühlen in der Nacht wieder ab und sorgen so für natürliche Klimatisierung. Das macht eine teure und im Betrieb energieaufwändige Klimaanlage unnötig.
Gesellschaftlich gesehen hat der Lehmbau in Indien allerdings ein großes Problem: Er hat trotz seiner optimalen Eigenschaften einen schlechten Ruf bei der indischen Bevölkerung, denn er gilt als „Arme-Leute-Material“. Diesem Aspekt soll durch das Projekt entgegengewirkt werden. Durch einen repräsentativen Lehmbau mitten in der Stadt Bangalore, wo eine wohlhabende Bevölkerungsschicht wohnt, soll Lehm salonfähig werden. Dies ist in der westlichen Welt schon längst der Fall, vor allem Dank architektonisch hochwertiger Bauten, beispielsweise Objekte des österreichischen Lehmbaupioniers Martin Rauch.
Da Lehm zwar Druck- aber keine Zugkräfte aufnehmen kann, braucht es gewisse Elemente aus einem auf Zug belastbaren Materials, in diesem Fall Beton. Da Beton wegen des hohen Zementanteils energieaufwändig ist, werden diese Elemente auf das statisch benötigte Minimum reduziert. Ein zentral liegender Erschließungskern aus Beton gewährleistet die Erdbebensicherheit und Betonbänder auf Sturz- und Brüstungshöhe nehmen als Ringanker die Zugkräfte der Konstruktion auf. Die Betonbänder halten das zweiteilige, in der Mitte um ein Halbgeschoss versetzte Gebäude optisch zusammen. Zudem übernehmen sie die Funktion des Witterungsschutzes. Denn die horizontalen Elemente wirken einerseits als Abtropfkanten und verringern andererseits die Fließgeschwindigkeit des in der Monsunzeit stark auftretenden Meteorwassers.
Die Grundrisse der kleinen Wohnungen sind windmühlenförmig angeordnet, so dass jede Wohnung nach zwei Seiten ausgerichtet ist. Die kleinen Wohnungen sind so konzipiert, dass sie zu größeren Wohneinheiten zusammengeschlossen werden können, was große Flexibilität gewährleistet. Dank einer feingliedrigen Abstufung von öffentlich zu privat wird Diskretion und ein hohes Sicherheitsempfinden gewährleistet. Die Grundrisse sind geschossweise gespiegelt, so dass die Fassade durch ein lebhaftes Spiel zwischen offen und geschlossen belebt wird.
Im Erdgeschoss befindet sich nebst Rezeption und Lobby, die nur für die Bewohner zugänglich sind, eine öffentliche Bar. Sie soll einen interkulturellen Schnittpunkt zwischen der indischen Bevölkerung und den Expatriates ermöglichen.
Mélanie Joder, www.planfabrik54.ch
Projekt Nachhaltige Siedlung mit solaren Direktgewinn-Mehrfamilienhäusern von Silke Goldenberg und Mike Weber, Werkstatt Gmbh Architektur Energie, CH 8908 Hedingen
Das Projekt wurde von Prof. Peter Schürch an der Berner Fachhochschule BFH begleitet.
Die Studie über die optimale Anordnung der Gebäude ergibt sich aus Sonnenverlauf und bestehendem Gebäude. Die Gebäude sind nach Osten bis 15 Grad und nach Westen bis 17 Grad abgedreht. Dies ergibt sich aufgrund der asymmetrischen Gebäudeform und der Grenzabstände. Andererseits soll damit eine Spannung im Außenraum erzeugt werden. Die Fahrzeuge der Bewohner der drei Mehrfamilienhäuser werden in einer gemeinsamen Tiefgarage geparkt.
Ausgangspunkt für die Architektur ist ein Volumen auf Grundlage eines Rasters, da vorgefertigte Holzelemente gleicher Art zum Einsatz kamen. Die Wohnungsgrößen wie auch die Gebäudelänge sollten zudem eine hohe Flexibilität aufweisen, die Erstellungskosten und Bauzeit minimiert werden. Da die passive Sonnenenergienutzung über die Südfassade erfolgt, sind die Balkone an der Ost-und der Westseite angeordnet. Aufenthaltsräume orientieren sich nach Süden, während die Nebenräume im Norden liegen. Im Gebäudeinneren ergibt sich eine klare Zonierung des Grundrisses in Längsrichtung, die es erlaubt, dass auch die Nassräume natürlich belichtet werden können. Durch das Stützenraster mit einem Achsmaß von 3,25 bzw. 4,85 Metern in Längsrichtung und 2,50 Metern in Querrichtung ergeben sich flexibel nutzbare Zimmergrößen, die neue Wohnformen wie z.B. Wohngemeinschaften für Betagte begünstigen. Auch ein Mehrgenerationenhaus ist denkbar. Die soziale spielt neben der ökologischen Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle bei diesem Konzept. Der Laubengang im Norden dient der vertikalen Erschließung und als halbprivater Vorplatz, als eine Terrasse, die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung gibt und der Kommunikation mit Nachbarn dient. Die Reduits trennen die halbprivaten Vorplätze von den privaten Außensitzplätzen ab. Der Laubengang bildet zusammen mit den Reduits und den Balkonen eine äußere, unbeheizte Hülle, die das beheizte kompakte Volumen von drei Seiten her umfasst. Ein weiterer Ort, um die Kommunikation zwischen den Bewohnern zu fördern, bietet der im 1. Obergeschoss angeordnete Wasch- und Trockenraum.
Je nach Anordnung auf dem Grundstück ist das Gebäude um eine Achse länger oder kürzer (Situationsplan). Somit ergeben sich in den einzelnen Häusern verschieden große Grundrisse. Der Gebäudetyp (Grundrisspläne) mit sieben Achsen sieht zwei Wohnungen pro Geschoss vor, wobei diese über zwei Geschosse reichen können. Die Wohnungsgröße kann sich an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen (Schema Flexibilität). Aus einer zweigeschossigen 5½- bis 6½-Zimmer-Wohnung können durch relativ geringe bauliche Maßnahmen zwei eingeschossige 3½ -Zimmer-Wohnungen entstehen. Das Konzept der Flexibilität setzt voraus, dass die Wohnungseigentümer eines Gebäudes vor Baubeginn miteinander kommunizieren. Damit werden sie schon in einer sehr frühen Planungsphase hinzugezogen. Dies hat den Vorteil, dass zusätzliche Räume Platz finden können, z. B. ein Gemeinschaftsraum oder ein Atelier mit separatem Zugang. Das Konzept erlaubt damit auch, dass eine Durchmischung möglich wird.
Die passive Sonnenenergienutzung erfolgt über die Südfassade mit großflächigen Fensteröffnungen. Absorbiert wird die Wärme in Böden, Zimmertrennwänden und in den Deckenelementen. Außenwände bestehen aus vorgefertigten Holzelementen, Zimmertrennwände aus Lehmziegeln. Die vorgefertigten Deckenelemente sind Holz-Beton-Verbunddecken mit Trittschalldämmung und Industrieboden. Als sommerlicher Wärmeschutz sieht das Konzept Ausstell-Fallarmmarkisen vor, die über Wettersensoren gesteuert werden.
Während der kritischen Monate November bis Februar wird der Energiebedarf durch einen Stückholz- oder Pellet-Ofen pro Wohnung ausgeglichen. Er hat eine Leistung von 4 bis 5 kW und liegt an zentraler Stelle der jeweiligen Wohnung. Die Nordfassade ist mit einer durchgehenden Installationsebene versehen. Dort sind alle Versorgungsleitungen (Wasser, Abwasser, Strom, Lüftungskanäle) untergebracht. Dadurch können die Wohnungen mit geringem Aufwand mit Nasszellen oder Küchenzeilen ergänzt werden. Der gesamte Strombedarf der Gebäude wird durch PV-Panels gedeckt. Um den Betriebsstrom zu decken, würden 86 Quadratmeter ausreichen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die gesamte, 200 Quadratmeter große Dachfläche zu nutzen und überschüssige Energie ins Stromnetz zu speisen.
Die Trennwände aus Lehm dienen als „Luftfeuchtepuffer“. Eine zentrale Lüftungsanlage mit Erdregister ist im Untergeschoss untergebracht. Zuluft-Durchlässe befinden sich in Wohn- und Schlafzimmern an den Deckenelementen, Abluft wird in den Nasszellen und den Küchenbereichen abgesaugt. Die Nachtauskühlung erfolgt ebenfalls über die Lüftungsanlage, ist jedoch auch über die manuelle Fensterlüftung möglich.
Silke Goldenberg, Dipl.-Ing. (Architektur), Mike Weber, Werkstatt GmbH Architektur Energie, CH-8908 Hedingen
Literatur
SIA Empfehlung 112/1: Nachhaltiges Bauen Hochbau; SIA Zürich 2004
Wallbaum H., Kytzia S., Kellenberger S.: Nachhaltig Bauen; vdf Zürich 2011
Dr. phil. nat. Alfred Breitschmid war Professor für Ökologie und Nachhaltigkeit an der Berner Fachhochschule im Departement Architektur, Holz und Bau bis 2010 und ist Dozent im Weiterbildungsprogramm MAS Nachhaltiges Bauen an den Fachhochschulen Bern und Luzern (Schweiz).
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