Metzgermeister Schmälzle aus Pfullingen hatte einen Plan. Er wollte in seinem Heimatort nicht einfach nur ein Fleischereifachgeschäft eröffnen, sondern etwas Neues wagen. Die Kundschaft sollte nicht bloß kommen und rasch einkaufen, sondern – Pfullingen ist eine schwäbische Kleinstadt – sich auch auf einen Schwatz treffen, die Kinder in einer Spielecke abgeben und nebenher einen Imbiss verzehren können, sich beraten lassen und Neues probieren.
Es muss dem geschäftstüchtigen Metzger wohl gedämmert sein, dass dafür in dem vorschriftsmäßig voll verfliesten, wenig anheimelnden Verkaufsraum ein paar Tische nicht reichen würden. Also betraute er den Innenarchitekten Hartmut Raiser vom Stuttgarter Büro Raiserlopes mit der Aufgabe, der 340 Quadratmeter großen Ladenfläche so etwas wie Aufenthaltsqualität einzuhauchen. Und eigentlich beginnt die Geschichte, um die es hier gehen soll, erst jetzt.
Denn Innenarchitekt Raiser setzte bei der Planung des Ladens auf ein nicht greifbares, immaterielles Gestaltungselement, dessen Beherrschung gleichermaßen architektonische Virtuosität, Erfahrung und technisches Können voraussetzt: Licht.
Die einzelnen Verkaufs- und Aufenthaltsbereiche des Ladens modellierte Hartmut Raiser über den Einsatz unterschiedlicher Leuchtmittel und definierte mittels Licht und Farbe distinkte Sphären mit einer jeweils eigenen Atmosphäre.
So ist das für Metzgerläden typische bläulich-kühle Licht, das zwar Filetspitzen schmeichelt, Menschen jedoch frösteln lässt, auf die umlaufende Warentheke begrenzt. In den Aufenthalts- und Verzehrbereichen hingegen dominiert eine warme, anheimelnde Beleuchtung. An die Decke montierte Stoffschürzen schirmen die unterschiedlich temperierten, auch farblich abgesetzten Ladenzonen voneinander ab. „Das Licht war bei diesem Projekt der Ausgangspunkt für die eigentliche Planung“, sagt Hartmut Raiser.
„Es ging dabei weniger um die technischen Aspekte der Lichtplanung als um die emotionale, atmosphärische Seite. Denn man kann auch über die Platzierung von Leuchten, Lichtleisten, Spots oder einer hinterleuchteten Voute einen Raum modellieren. Und Farben und Materialien entfalten ihre Wirkung erst mit dem richtigen Licht.“ Zugegeben, die Metzgerei ist nur ein kleines Projekt, doch sie illustriert die gestalterische Wirkmacht von Licht in der Innenarchitektur auf recht anschauliche Art.
Bisher wurde Lichtplanung als rein ingenieurtechnische, dem Entwurf nachgeordnete Disziplin begriffen. Doch darüber sind vor allem Innenarchitekten längst hinaus. So widmet sich das aktuelle Handbuch ihres Verbandes BDIA dem Thema Licht in all seinen Facetten, und BDIA-Präsident Rudolf Schricker stellt fest: „Licht ist ein wesentliches Beispiel dafür, wie sehr sich Zielrichtung, Selbstverständnis und Spielraum von Planung und Gestaltung im Raum verändern.“
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Lichtplanung vereint Ästhetik und Technologie
Lichtdesign ist ein eigenständiges, kreatives Fach, in dem Erkenntnisse aus Architektur, Psychologie, Medizin und Anthropologie ebenso berücksichtigt werden wie Optik und Elektrotechnik. Doch dieses Bewusstsein hat sich an den Architekturfakultäten in Deutschland erst spät durchgesetzt. Volker von Kardorff musste Mitte der Neunzigerjahre jedenfalls noch nach London ziehen, um ein Aufbaustudium zu absolvieren, das er als Master of Light and Lighting abschloss. Heute führt er gemeinsam mit seiner Frau Gabriele das Büro Kardorff Ingenieure Lichtplanung in Berlin.
In den gut 13 Jahren seit der Gründung des Büros haben die von Kardorffs nicht nur das Brandenburger Tor, die Museumsinsel oder den Al Mas Tower Dubai glanzvoll in Szene gesetzt, sondern auch zahlreiche Hotels, Museen und Einkaufszentren zum Leuchten gebracht. Mit ihren inzwischen 16 Mitarbeitern gehören sie zu den renommiertesten Lichtplanern des Kontinents. Der Erfolg ihrer Arbeit hat vor allem mit einer Art ganzheitlicher Ansatz zu tun, der Technologie und Ästhetik nicht länger als getrennte Aspekte begreift, sondern Charakter und Zweck einer Architektur, eines Raums oder eines Objekts erfasst und mithilfe von Licht zum Ausdruck zu bringen sucht.
Erst begreifen, dann beleuchten
Der Auswahl der jeweils optimalen Beleuchtung und ihrer gestalterischen Integration geht ein langer Prozess voraus, in dem die architektonischen Details, Materialien und Farben ebenso analysiert werden wie die Bedürfnisse und Ansprüche der künftigen Nutzer. „Erst begreifen, dann beleuchten“, sagt Volker von Kardorff. Lichtplanung verläuft idealerweise parallel zum Entwurfsprozess und ist selten mit der Fertigstellung eines Projekts abgeschlossen. Und fast so körperlos und flüchtig wie das Licht selbst sind auch die allenthalben befürchteten Mehrkosten. „Abgesehen von einem Honorar für die Lichtplaner entstehen jenseits des ohnehin erforderlichen Budgets für die Beleuchtung keine zusätzlichen Kosten“, so Gabriele von Kardorff. „Wir können mit unserem Know-how jedoch dafür sorgen, dass dieses Budget optimal genutzt wird.“
Eine raffinierte Beleuchtung vermag schlechte Architektur zwar nicht in gute zu verwandeln, doch umgekehrt wirkt kein noch so gelungenes Detail, wenn das Licht nicht stimmt. Egal, ob es sich um ein Hotel, ein Museum, Büroetagen oder eine Shoppingmall handelt: Bei der modernen Lichtplanung geht es zunehmend um die Inszenierung von Räumen, Waren oder Exponaten, den dramatischen Auftritt und das Spiel mit der Wahrnehmung. Nicht ganz zufällig entwickelte sich dieser illusionistische, spielerische Ansatz des Lichtdesigns im angelsächsischen Raum, wo für die Illuminierung von Kaufhäusern, Hotels und Restaurants zunächst nicht Ingenieure herangezogen wurden, sondern Theater- und Filmbeleuchter. Weniger spektakulär, dafür umso dringlicher verlangt schließlich auch das Gebot der Energieeinsparung nach einer intelligenten Lichtplanung.
Sie muss Fragen der optimalen Tageslichtausnutzung und der Bedarfsdynamik schon im Entwurf berücksichtigen und planerische Kurzsichtigkeiten gleich hier korrigieren. Lichtplanern und -designern steht heute eine ungeheure Fülle an Technologien und Leuchtmitteln zur Verfügung. Als wäre mit dem Aussterben der Glühbirne die lichttechnologische Neuzeit angebrochen, überbieten sich die Hersteller in rascher Folge mit immer neuen Entwicklungen. Die Entwicklung im Bereich der digitalen Beleuchtungstechniken – Stichwort LED – vollzieht sich mit ungeahnter Rasanz. Heiko Bartels, Professor für Produktdesign an der Bauhaus-Universität Weimar, konstatiert: „Licht wird künftig integraler Bestandteil von Architektur und Möbeln sein.“
Denn die neuartigen organischen Leuchtdioden, sogenannte OLEDs, ermöglichen die Herstellung selbstleuchtender Oberflächen, die als Raumteiler, Schranktüren, Wandpaneele oder Türen eingesetzt werden können. Die Kluft zwischen Leuchte und beleuchtetem Objekt verschwindet; scheinbar handfeste Strukturen entmaterialisieren sich auf Knopfdruck und werden zu Lichtquellen. Doch diese fantastische neue Vielfalt an Möglichkeiten braucht die gestalterische Kompetenz der Architekten und Lichtplaner. Schon heute arbeiten große Hersteller wie Ansorg und Zumtobel bei der Entwicklung neuer Produkte eng mit Innenarchitekten und Planern zusammen.
Trend zu mehr Dramatik
Zur Licht-Avantgarde gehören auch die Innenarchitekten Ulrike Tiemann und Rolf Romani. Die Inhaber des Büros CRi im hessischen Bensheim haben sich im Bereich Shopdesign einen Namen gemacht und entwickeln für Modeproduzenten wie Puma und Boss sowie für den Glashersteller Leonardo neue Laden- und Beleuchtungskonzepte. Auch Tiemann und Romani sind vom Potenzial der neuen LED-Technologie fasziniert, doch nicht selten müssen sie die ungebremste Begeisterung ihrer Kunden für die digitalen Leuchten dämpfen.
Denn wenn es auf Details gerade in kleinen Räumen ankommt, sind LED-Lampen mit ihren extra zu kühlenden Vorschaltgeräten und einer von Leuchte zu Leuchte schwankenden Farbwiedergabe noch nicht immer die optimale Lösung. Und auch der nach wie vor relativ hohe Anschaffungspreis für LEDs spielt bei der Planung eine Rolle. Denn das Lichtdesign, gerade im schnelllebigen Einzelhandel, unterliegt flüchtigen Moden. „Vor drei, vier Jahren waren die Läden hell ausgeleuchtet, ganz in Weiß gehalten und bis in den letzten Winkel erhellt“, so Ulrike Tiemann. „Heute gibt es einen allgemeinen Trend hin zu mehr Dramatik. Die Ware wird theatralischer inszeniert, mit punktuellem Licht aus dem dunklen Raum geholt und wie ein Fetisch zelebriert.“
Während europäische Einzelhändler erfolgreiche Beleuchtungskonzepte nur zu gern übernehmen oder nachahmen, üben sich asiatische Kunden in skeptischer Zurückhaltung. Sie bevorzugen kaltes, hartes Licht und tun sich schwer mit der westlichen, wärmeren Lichtästhetik, die mit den nach Corporate-Identity-Vorgaben genormten Filialen globaler Marken nach Fernost dringt. „Die Vorlieben für bestimmte Lichtverhältnisse haben viel mit den klimatischen Bedingungen und kulturell geprägten Sehgewohnheiten zu tun“, so Rolf Romani. „Wenn es draußen immer heiß und sonnig ist, fühlen sich die Leute im kalten Licht einer Leuchtstoffröhre wohler.“ So bleibt am Ende nur festzustellen: Es gibt kein universell gültiges Kriterium für gutes Licht. Doch Licht in den richtigen Händen kann oft eine Erleuchtung für die ganze Architektur sein.
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