Neue Nationalgalerie: Baustellenbesuch bei der Sanierung
Die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie erforderte von allen Beteiligten eine Gratwanderung zwischen Erhalt und Erneuerung – besonders bei der gestaltprägenden Glasfassade der Architektur-Ikone.
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Spagat zwischen den Modernen“ im Deutschen Arhitektenblatt 05.2018 erschienen.
Von Benedikt Kraft
50 Jahre nach Eröffnung der Neuen Nationalgalerie wird der Bau von Ludwig Mies van der Rohe nun saniert. Aus heutiger Sicht erscheint die Nutzungsdauer gar nicht mal schlecht, insbesondere, wenn man bedenkt, wie sehr so mancher Bau aus dieser Zeit unter Materialexperimenten, Konstruktionsfehlern und teils schlicht der Ignoranz seiner Planer zu leiden hat. Und Letztere ist bei der Neuen Nationalgalerie durchaus wirksam geworden. Die Sanierung, die aktuell durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) nach Plänen des Büros von David Chipperfield vorgenommen wird, hat gezeigt, dass Mies sich in manchen Details zumindest über die anerkannten Regeln der Technik hinweggesetzt hat: strukturelle Idee, ästhetisches Konzept versus State of the Art?
Ein ganz anderer, in gewisser Weise aber analoger Fall in der Architekturgeschichte ist das Kaufmann-Haus, besser bekannt als „Fallingwater“. Hier hatte sich Frank Lloyd Wright, ebenfalls ein Star seiner Zeit, über ziemlich das Meiste hinweggesetzt, was die Physik, die Chemie, die Baustoffindustrie und das Handwerk zu bieten imstande waren. Die Folge: Sanierungs- und Rettungsmaßnahmen seit kurz nach der Fertigstellung 1939 bis heute.
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Für Ausstellungen nicht ideal
Bei der Nationalgalerie ist es nicht so dramatisch, allerdings ist die Ikone für Kuratoren klassischer Kunst bis heute eine Herausforderung. Die Staatlichen Museen zu Berlin müssen sich immer auch mit dem Fassaden- und Decken-Raster des renommierten Hauses auseinandersetzen, mit zu viel Tageslicht und einem labilen Raumklima. So mussten die Ausstellungsmacher über die Jahrzehnte lernen, mit den Gegebenheiten des Hauses umzugehen und speziell auf den Raum ausgerichtete Ausstellungen zu konzipieren.
Kondensat am Glas und Korrosion am Stahl
Die Gründe für die Schwierigkeiten liegen auf der Hand: Der fantastische Ausstellungsraum im Erdgeschoss wird allseitig von einer Glasfassade gefasst, deren Pfosten-Riegel-Konstruktion aus geschweißten Vollstählen gefertigt wurde. Die thermisch nicht getrennte Rahmenkonstruktion, in die zudem Mono-Gussglasscheiben eingesetzt waren, deren U-Wert locker bei sechs lag, ergab das kritische Kondensat, das aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit zur Einhaltung konservatorischer Anforderungen anfiel. Es folgte zwangsläufig Korrosion an den Stählen der Fassade, da diese innen nicht dampfdicht ausgebildet war.
Neue Nationalgalerie war ein Rückschritt
Mies muss sich bewusst gewesen sein, dass seine derart radikal rudimentäre, auf Ansicht und Abwicklungsästhetik getrimmte Konstruktion ein Risiko darstellte und selbst für den Stand der Technik damals ein Rückschritt war. Dennoch setzte er seine Idee vom perfekten Bau konsequent durch. Diese wird, so viel sei schon gesagt, auch bei der Sanierung respektiert.
Prekäre Verbindung von Fassade und Dach
Neben kleineren Zu- und Umbauten seitens des Berliner Teams von Chipperfield, neben der aufwendigen Betonsanierung von Wänden, Decken und Böden, neben der Reinigung und Restaurierung von über 35.000 ausgebauten und eingelagerten Originalbauteilen ist die Instandsetzung der Glasfassade ein wesentlicher Teil der derzeitigen Baumaßnahmen. Zwar werden, so Projektleiter Daniel Wendler vom Büro Chipperfield im Gespräch, „alle Stahl-Glasfassaden im Prinzip instand gesetzt“, doch gibt es bei der Ausstellungshalle „die besondere Problematik des Zusammenspiels der Fassade mit dem Dach“.
Beim Dach handelt es sich um ein großflächiges Stahlkassettendach, das etwa 7,2 Meter über die Fassade hinauskragt und auf lediglich acht Stützen steht. Aufgrund der großen Spannweite von circa 64 Metern entstanden relativ starke Verformungen in Folge von Wind- und Schneelasten sowie Temperaturausdehnungen, die sich auch auf die Fassade ausgewirkt haben. „Die Verbindung von Dach zu Fassade war von Anfang an eine durchlaufende Schwert-/Scheide-Konstruktion als gleitender Anschluss“, so der Projektleiter – doch das Gleiten und damit Ausweichen geschieht nur in der Vertikalen. Gleichzeitig beult der Flachstahl in der geschweißten Führungsnut aus, was wiederum die Ausdehnung der Fassade in Längsrichtung erschwert.
Fassade muss sich bewegen können
„Wesentliches Ziel in der Grundinstandsetzung war es“, so Wendler, „die Fassade so zu modifizieren, dass sie sich in einem definierten Rahmen bewegen kann, ohne Schaden zu nehmen.“ So wurde das Schwert durch Schwertkurzstücke ersetzt. An der Stelle, wo die Führung gleichsam unterbrochen ist – von außen durch geschweißte Bleche kaschiert –, werden je Fassadenseite drei Pfosten durch neue ersetzt, „wir nennen sie Dehnpfosten“, so Wendler. In diese ist eine Dehnungsfuge eingebaut, die die größten Spannungen aus der Konstruktion nimmt. So wird jede Fassadenseite in vier Felder unterteilt, womit sich die einzelnen Einheiten, aber auch das Ganze freier bewegen können. „Die Konstruktion dieses Bauteils ist sehr anspruchsvoll, da es neben der geforderten Beweglichkeit auch Lagestabilität sicherstellen muss – hier leisten kleine Federpakete die nötige Arbeit.“ Zusätzlich werden die vier Fassadenecken über die Verglasung schubsteif ausgebildet. Die Entwicklung erfolgte in Abstimmung mit dem BBR sowie dem Landesamt für Denkmalpflege; besondere Berater waren Mies van der Rohes Enkel und damaliger Bauleiter Dirk Lohan und der Architekturhistoriker Fritz Neumeyer.
Glasscheiben wurden zum Sicherheitsrisiko
Vielleicht hätte man noch gar nicht mit der Instandsetzung angefangen, wären die zahlreichen Glasschäden nicht ein Sicherheitsrisiko für die Besucher und auch optisch so offensichtlich gewesen. Schon länger war die Perfektion des perfekten Gebäudes durch geteilte Glasscheiben (in der oberen Reihe) rüde angegriffen. Der Grund dafür war eher banal: Mies hatte die damals größten Scheibenformate für seinen Entwurf gewählt, Gussglas mit einer Breite von 3,43 Metern. Die Scheiben waren noch nicht eingebaut, als die Industrie in den 1960er-Jahren die maximale Produktionsbreite auf 3,21 Meter begrenzte. Floatglas hieß das nun, das zwar perfektere Oberflächen lieferte, aber eben nicht in 3,43 Meter Breite. So wurden die defekten großen Scheiben der Neuen Nationalgalerie durch je zwei miteinander verklebte ersetzt. Mit etwa zwölf Millimetern Glasstärke waren die Bestandsscheiben zudem nach heutigen Normen statisch völlig unterdimensioniert, eine Verkehrssicherheit war damit nicht gegeben.
Denkmalschutz geht vor energetische Perfektion
Die Planer fanden jetzt mit Northglass einen Hersteller in China, der als einziger Produzent die geforderte Scheibengröße von 3,43 mal 5,40 Metern herstellen konnte, jetzt als teilvorgespanntes VSG mit 27 Millimetern Stärke und einem Gewicht von etwa 1,3 Tonnen. Womit man im Prinzip beim Mono-Glas geblieben ist. In einem aufwendigen Entscheidungsprozess wählte man letztlich die Variante, mit der die Fassadenkonstruktion und so auch die Optik am besten erhalten werden.
Abgesehen von Produktionsschwierigkeiten in diesen Dimensionen, hätten die zeitgemäßeren Gläser denkmalpflegerische Implikationen gehabt. „Dann hätten wir ganz andere Themen bekommen wie Transparenz, Farbigkeit etc. Zudem hätten wir mit einer Isolier-Verglasung die komplette Fassadenkonstruktion opfern müssen“, so Wendler. Hauptpfosten und Rahmenprofile bleiben, abgesehen von den Dehnpfosten, also erhalten und werden nur repariert, die Glashalteleisten müssen wegen der mehr als verdoppelten Scheibenquerschnitte eingekürzt werden.
Neue Nationalgalerie zeigt Möglichkeiten und Grenzen auf
Wenn 2020 alle Arbeiten abgeschlossen sind, wird die Neue Nationalgalerie ein wenig frischer ausschauen, mehr nicht. Mit neuer Haustechnik erreicht das Museum ein stabileres Raumklima. Neben der Verkehrssicherheit und der Gewähr, dass der Bau die kommenden Jahrzehnte gut über die Runden kommt, steht vor allem die Erkenntnis, dass dem Ausstellungshaus – wie jedem anderen Bau aus dieser Zeit – Grenzen gesetzt sind. Wer diese respektiert, kann darin vieles machen; nur im Winter keine klimaempfindlichen Arbeiten zeigen, die hohen konservatorischen Anforderungen unterliegen.
„Im Prinzip“, so Daniel Wendler, „hat die Ausstellungshalle schon in den ersten Jahren, ja schon in der Planung den Ausstellungsanforderungen nicht standgehalten.“ Das aber war bereits Mies van der Rohe klar, der anlässlich der Grundsteinlegung einräumte, dass die Präsentation der Ausstellungen nicht einfach werden würde. „Aber es bieten sich großartige Möglichkeiten für neue Herangehensweisen“, sagte er damals.
Benedikt Kraft ist Architekturjournalist aus Werther in Westfalen.
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