Um beim Ausbau einer Scheune zu Büros in Lottstetten das Erscheinungsbild zu erhalten, ... (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Holzfaser, Hanf, Seegras und Co.“ im Deutschen Architektenblatt 11.2020 erschienen.
Von Christian Kaiser
Energieeffizientes Bauen beinhaltet nicht nur die Einsparung von Energiekosten, sondern auch einen bewussten und ressourcenschonenden Umgang mit Materialien. Bei der Auswahl der geeigneten Dämmstoffe sehen sich Planer und Bauherren einem immer größeren Angebot gegenüber und suchen Argumente, um ihre Wahl zu begründen. Im Winter dämmen fast alle Dämmstoffe ähnlich gut. Nur, welche zusätzlichen Eigenschaften bringen die Materialien mit und wie ökologisch ist ihr Einsatz?
Der größte Anteil an verbauten Dämmstoffen entfällt seit Jahren auf Mineralwolle mit 55 Prozent und EPS mit 32 Prozent. Einschließlich weiterer Sonderanwendungen, wie Flachdach- und Perimeterdämmungen aus XPS und PUR/PIR, stammen insgesamt rund 95 Prozent der verbauten Dämmungen aus synthetisch gewonnenen und/oder verarbeiteten Materialien. Naturdämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verharren dagegen bei etwa fünf Prozent, wobei der größte Teil auf Holzfaser- und Zellulosedämmungen entfällt. Vermutlich wäre es nicht möglich, den gesamten Bedarf ausschließlich mit Naturdämmstoffen abzudecken. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein verstärkter Einsatz hinsichtlich ihrer ökologischen und bautechnischen Vorteile sinnvoller wäre.
Ökologische Dämmung an der Fassade
Sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen erfreuen sich Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) großer Beliebtheit. Die hier hauptsächlich verwendeten Mineralwolle- oder EPS-Systeme werden lediglich mit einer dünnen Deckspachtelung aus armierten Kunstharzputzen verputzt. Diese dünne synthetische Beschichtung ist jedoch nicht in der Lage, klimabedingte Feuchtigkeit abzufedern, sondern bietet aufgrund ihrer erdölbasierten Zusätze Algenwachstum und anderen Mikroben einen hervorragenden Nährboden. Deshalb werden diese Deckanstriche meist mit Bioziden oder desinfizierenden Nanopartikeln versetzt. Durch Wind und Wetter können diese Biozide in die Umwelt ausgewaschen werden und in den Gewässerkreislauf gelangen.
Wer auf biozide Behandlungen der Fassadenanstriche verzichten will, muss das System von Grund auf mineralisch wie folgt aufbauen:
- Deckputz ohne Kunstharzanteile mit rein mineralischem Putz, der circa einen Zentimeter dick sein muss, um Niederschlagsfeuchte zu puffern,
- Deckanstrich mit rein mineralischer Farbe.
Damit der dickere Deckputz auf dem Dämmstoff haftet, muss ein festerer Dämmstoff eingesetzt werden. Mineralwolle wäre zu weich für die äußere Putzschicht und eine EPS-Dämmung aufgrund der Erdölbasis nicht kompatibel mit Mineralputz. Daher kommt hier entweder eine Holzfaser- oder Korkdämmung infrage oder alternativ eine Mineralschaumplatte. Alle drei WDVS-Varianten zeichnen sich durch ihre hohe Rohdichte aus und schützen daher auch hervorragend gegen Vandalismus.
Bauphysikalisch betrachtet, ist vor allem die Kapillaraktivität von Vorteil, wodurch in den Dämmstoff eingedrungene Feuchte direkt wieder ausgeleitet wird. Das bedeutet, dass mineralisch aufgebaute WDVS nicht durchnässen und somit ihre Dämmwirkung auch unter ungünstigen Bedingungen aufrechterhalten wird. Eine durchfeuchtete Mineralwolle verliert dagegen umgehend ihre Dämmwirkung, wenn die Luftzwischenräume nass werden. Die genannten ökologischen WDVS besitzen zudem eine höhere Brandbeständigkeit, da die stärkere mineralische Putzschicht den Dämmstoff im Brandfall sehr gut schützt und die Materialien selbst nur schwer entflammbar sind. Im Vergleich dazu schneiden EPS-, PUR- und PIR-Dämmstoffe deutlich schlechter ab. Sie tropfen im Brandfall ab und setzen giftige Dioxine und weitere Schadstoffe frei.
Ökologische Dämmung als Innendämmung
Aufgrund gestalterischer oder denkmalpflegerischer Vorgaben lassen sich Bestandsgebäude nicht immer mit einer Außendämmung energetisch aufwerten. Die alternative Innendämmung ist aus bauphysikalischer Sicht allerdings stets riskanter als eine vollflächige Fassadendämmung. Dies liegt an mehreren Faktoren:
- Innere Dämmschichten dürfen nicht beliebig dick sein, um einen Frostschaden in der Fassade zu vermeiden. Ideal ist eine Dicke von sechs bis acht Zentimetern.
- Der Kondensateintrag bei Innendämmungen sollte möglichst wirksam verhindert werden, um Feuchteschäden zu vermeiden.
- Wärmebrücken, wie beispielsweise bei Deckenanschlüssen, sind zu berücksichtigen beziehungsweise kondensatsicher abzudichten.
Der Einsatz von hochdichtem EPS als Innendämmung ist bauphysikalisch heikel, da sich hier zwischen Dämmung und Wand häufig Feuchtigkeit sammelt und sich aufgrund der Schimmelpilzanfälligkeit von EPS ein starker mikrobieller Befall bilden kann. Mineralwolle als Innendämmung erfordert sehr zuverlässige innere Dampfbremsen oder -sperren, um eine Durchfeuchtung, die zum Dämmverlust führt, zu verhindern. Mit Naturdämmstoffen lässt sich dieses Risiko deutlich minimieren. Eingesetzt werden können: Holzfaser, Zellulose, Hanf, Flachs, Schilfrohr, Schafwolle, Stroh, Kork, Seegras, Leichtlehm, Kokosfasern und sogar Jutefasern aus alten Kakaosäcken (wie im Recycling-Haus in Hannover von Cityförster).
Die höhere Rohdichte der Naturdämmstoffe ermöglicht einen besseren Schallschutz sowie die Pufferung von Gerüchen im Innenraum. Schafwolle ist zum Beispiel in der Lage, hohe Formaldehydbelastungen aus Klebern, Lacken oder Holzwerkstoffplatten zu binden. Durch den Einsatz von Leichtlehmsteinen kann zudem ein aktiver Beitrag zu einer optimierten Raumluftfeuchte in Leicht- und Holzbauten geleistet werden. Leichtlehmsteine dämmen nicht nur, sondern der sorptive Baustoff puffert auch im Tagesverlauf anfallende Feuchtigkeit. Auch bei der Innendämmung kommt die feuchtepuffernde Wirkung voll zum Tragen. Schließlich erlaubt diese Eigenschaft eine fehlertolerantere und „gutmütigere“ Konstruktion.
Cool für den Sommer
Gerade bei nachträglichen Dachausbauten oder unter Flachdächern können im Sommer die Temperaturen leicht über 30 Grad Celsius in Innenräumen steigen. Um dem entgegenzuwirken, sollte bei der Dämmstoffwahl auch ihr sommerlicher Wärmeschutz berücksichtigt werden. Als Messgröße steht hier nicht die Wärmeleitfähigkeit im Vordergrund, sondern die sogenannte Phasenverschiebung. Dämmstoffe aus künstlichen Mineralfasern (KMF, Glaswolle, Mineralwolle) und/oder Polystyrolen bieten nur eine Phasenverschiebung von circa zwei bis drei Stunden, sodass die Hitze bereits nach kurzer Zeit in den Innenraum gelangt. Naturdämmstoffe, wie Holzfaser, Schafwolle, Flachs oder Hanf, weisen dagegen mit acht bis zwölf Stunden eine deutlich längere Phasenverschiebung auf, sodass die Wärme den Raum erst gegen Abend erreicht. In Zeiten zunehmender Klimaerwärmung ist dies ein wichtiges Kriterium für eine zufriedenstellende Behaglichkeit im Innenraum.
Gesundheit und Rückbau
Als Megatrend der Zeit genießt die Gesundheit derzeit fast einen höheren Stellenwert als ökologische Nachhaltigkeitsaspekte. Daher ist es sinnvoll, auch im Bauwesen allfällige gesundheitliche Stör- oder Reizeinflüsse von Materialien in Innenräumen zu bewerten. Gerade die künstlichen Mineralfasern (KMF) sind diesbezüglich in der Vergangenheit ins Gerede gekommen, da die älteren Feinfasern (vor 1993) als krebserzeugend erkannt wurden. Neuere KMF mit feinen Fasern sollten daher aus Vorsorgegründen nicht offen in Innenräumen verbaut werden und auch während der Verarbeitung möglichst nicht großflächig verteilt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass bereits heute der Ausbau älterer KMF (Glaswolle, Mineralwolle) aufgrund der erhöhten Personenschutzmaßnahmen deutliche Mehrkosten erzeugt. Ob dies auch zukünftig für neuere KMF gelten wird, ist derzeit noch nicht zuverlässig auszuschließen.
Aus langfristiger und volkswirtschaftlicher Sicht von Vorteil ist die gute Recyclingfähigkeit der meisten Naturdämmstoffe. Ergänzend spielen für eine ökologische Baustoffbewertung auch noch weitere Aspekte eine wichtige Rolle, bei denen Naturdämmstoffe eine gute Bilanz aufweisen:
- Herkunft der Rohstoffe und Materialien,
- Grauenergieanteil während der Verarbeitung,
- geringe bzw. unschädliche Nebenprodukte und Abfälle während Herstellung, Verarbeitung und Entsorgung.
Gerade letztere abfallwirtschaftliche Kriterien gewinnen zunehmend an Bedeutung und nehmen Einfluss auf Baukonstruktionen und Bauprozesse – vor allem mit Blick auf den zukünftigen Rückbau. Im Hinblick auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen und eine zukünftige gute Umbaufähigkeit von Gebäuden wäre daher eine Erhöhung der Anteile verbauter Naturdämmstoffe sehr zu begrüßen.
Christian Kaiser ist Architekt und Baubiologe mit eigenem Architekturbüro in Lottstetten und Lehrbeauftragter an der HTWG Konstanz und der Baukaderschule St. Gallen
Raus aus der Nische: Ökologische Dämmung hält Bauvorschriften stand
Der Absatz von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen (NawaRo) stagniert seit Jahren bei fünf bis sieben Prozent Marktanteil trotz des gestiegenen Interesses an nachhaltigen Produkten. Das soll sich jetzt definitiv ändern. Die Grundlagen dafür liefern die Ergebnisse des im Oktober 2020 abgeschlossenen Verbundprojektes „Mehr als nur Dämmung – Zusatznutzen von Dämmstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen“. Über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren untersuchte ein interdisziplinäres Team, bestehend aus zwölf Partnern aus Forschung, Herstellern und Verbänden, NawaRo-Dämmstoffe in sechs Arbeitsbereichen: Brandschutz und Glimmverhalten, Schallschutz, Wärmeschutz, Feuchteschutz, Nachhaltigkeitsanalysen und Emissionen. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert.
Der Grund für die schleppende Verwendung von NawaRo-Dämmstoffen ist, dass sie in baurechtlichen Vorschriften und Normen bislang nicht oder nur ungenügend berücksichtigt sind. „Das verunsichert natürlich potenzielle Anwender“, erklärt die bei der FNR zuständige Referentin Birgit Herrmann. „Zudem ist die Datenlage zu diesen Dämmstoffen sehr lückenhaft und unübersichtlich.“ Ein Ziel dieses Forschungsvorhabens war daher die Ermittlung von Materialkennwerten. Mit ihnen lässt sich zum Beispiel der Aufwand für die Nachweise im Schall- und Brandschutz deutlich reduzieren.
Brandverhalten
In Bezug auf das Brandschutz- und Glimmverhalten konnten die Forschenden feststellen, dass die NawaRo-Dämmstoffe zwar brennen, jedoch verhältnismäßig langsam sowie mit geringer Rauchentwicklung, und nicht brennend abtropfen. Das Brandverhalten von NawaRo-Dämmstoffen ist damit trotz des materialimmanenten Glimmverhaltens vor allem in der Frühphase eines Brandes deutlich vorteilhafter als das von Hartschäumen und grundsätzlich kalkulierbar.
Wärmeschutz
Beim Wärmeschutz wurde auch untersucht, inwieweit der zur Festlegung der Wärmeleitfähigkeit vor Jahren eingeführte Faktor der Feuchtigkeitsregulierung tatsächlich zutrifft, sodass man die hierfür relevanten Vorschriften jetzt entsprechend nachregulieren kann. Zusammengefasst besteht das grundlegende Ergebnis des Projektes darin, dass Naturdämmstoffe gesicherte Eigenschaften haben, Konstruktionen verlässlich berechenbar sind und in fast allen Anwendungsgebieten eingesetzt werden können. Normen und baurechtliche Vorschriften können nun angepasst und der Weg freigemacht werden für mehr NawaRo-Dämmstoffe im Bau. So wurden die beim Schallschutz gewonnenen Bauteil- und Materialdaten bereits in die aktuelle Überarbeitungsrunde der DIN 4109-33 eingebracht.
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Die Pressemitteilung des FNR enthält weitere Informationen zu ökologischen Dämmungen sowie zahlreiche Links zu Forschungsergebnissen und Ansprechpartnern.
Größter Strohballenbau Süddeutschlands
Die Bayerische Architektenkammer stellt in ihrer Reihe „Klimabus 2020… digital“ in einem Online-Seminar die Baustelle des größten Strohballenbaus Süddeutschlands, ein Erweiterungsbau des Benediktinerklosters Plankstetten, vor. Das Video ist zusammen mit weiteren Informationen zum Strohballenbau abrufbar.
Weitere Film- und Buchtipps bietet der Fachverband Strohballenbau an.
Ökologische Dämmung: Buchtipp
Der Autor beschreibt anhand konkreter Projekte die typologischen Besonderheiten von Altbauten und stellt denkmalpflegerische und energetische Sanierungsmaßnahmen vor. Dazu gehören zum Beispiel der Holzschutz ohne Gift, die Dachsanierung, statische Eingriffe, Dämmung und Fassade, die Haustechnik, die Weiterverwendung alter Bauteile sowie die Themen Wohngesundheit und Nachhaltigkeit.
Christian Kaiser
Ökologische Altbausanierung
VDE-Verlag, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage 2020
Festeinband, E-Book oder PDF, 52 Euro
Ja das Thema ist wichtig und ja wir sollten unbedingt dahin kommen, ressourcenschonend zu bauen. Deshalb habe ich den Artikel gelesen, bin aber nicht wirklich schlauer geworden.
Es müßten stichhaltigere Argumente gebracht werden, um aus der Nische zu kommen und Dinge wie Kostenfaktor und konkrete Dämmfähigkeit berücksichtigt werden, die hier nicht einmal erwähnt sind.
Ansonsten ist es einfach Schönfärberei mit Liebhaberobjekten und der Sache nicht dienlich.
22-06-2023
viele Hinweise bestätige ich aus vielen Jahrzehnten Erfahrung.
Aber das Thema Brandverhalten greift zu kurz.
Brandverhalten = normgerecht = okologisch = ?
Als ich einen Brandschaden auf einen Balkon mit Isokorb-Anschluss aus statischer Sicht bewerten sollte, war nur noch eine Probelastung in der Lage, die massive Bauweise vor dem Abriß zu schützen.
Warum wird der Gedanke Brandschaden völlig vernachlässigt ?
Die Feuerwehr bietet Einblick in die Häufigkeit und das Ausmaß von Brandschäden.
Ist der Gedanke von Nachhaltigkeit für das „abgebrannte“ Gebäude noch vermittelbar ?
Ist unser Leben derzeit nur noch von der Feuerversicherung und Rechtschutzversicherung geprägt ?
Ist das nachhaltig und ökologisch ?
Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft ?
Was ist heute Verantwortung ?
Gruß aus Husum
Horst Hilke