Text: Iris Kopfy
Der Gesamtbestand an Bauwerken in Deutschland ist mit rund 50 Milliarden Tonnen inzwischen ein bedeutendes, menschengemachtes Rohstofflager, das nach Ende der Nutzung wieder dem Recycling zugeführt werden könnte. Bau- und Abbruchabfälle machen etwa 52 Prozent des gesamten Abfallaufkommens aus. Allerdings ist die Baubranche von einer Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt, obwohl die Verwertung dieser Abfälle derzeit annähernd 80 Prozent beträgt. Der Anteil an daraus wiedergewonnenen Baustoffen liegt gerade einmal bei knapp 10 Prozent der jährlich insgesamt benötigten Menge an Baurohstoffen. Durch die Nutzung des in diesen Reststoffen enthaltenen Wertstoffpotenzials könnte bei wesentlich höherem Prozentsatz ein wichtiger Beitrag für die Schonung natürlicher Ressourcen geleistet werden. Seit vielen Jahren wird auch schon an Lösungen für die Wiederverwertung beziehungsweise Wiederverwendung dieser Stoffströme gearbeitet. Zahlreiche Studien belegen, dass die Voraussetzungen für ein möglichst hochwertiges Recycling dabei mit der Sortenreinheit der Materialien steigen.
Mehr kreislauffähige Bauprodukte
Vor allem Designer und Architekten sehen die Kreislauffähigkeit von Bauteilen und Materialien zunehmend als entscheidenden Faktor für nachhaltiges Bauen an. Aufgerüttelt durch Meldungen über Kunststoffabfälle in unseren Weltmeeren, durch Analysen zu Ausdünstungen von Holzwerkstoffen und Weichmachern in Polymerwerkstoffen orientieren sich die Kundenwünsche immer häufiger an Produktkonzepten auf Basis biologischer Materialien. Der Experte für Materialinnovationen Dr. Sascha Peters von der Agentur „HAUTE INNOVATION“ aus Berlin sagt dazu: „Die Biologisierung der Industrie scheint einer der nächsten logischen Schritte in der Entwicklung unseres Wirtschaftssystems zu sein. Wir werden es in Zukunft mit Materialien und Produktlösungen zu tun haben, die die biologische Diversifikation der Natur widerspiegeln. … Ich glaube, dass wir auch beim Thema Recycling noch nicht am Ende angekommen sind. Wir beginnen erst zu verstehen, was es eigentlich bedeutet, die Produkte recycling- beziehungsweise kreislauffähig zu gestalten.“ Hinzu gesellen sich Werkstoffe mit außergewöhnlichen Leichtbaupotenzialen und Materialoberflächen mit funktionalen Qualitäten, die die Komplexität eines Produkts auf einen Werkstoff reduzieren helfen. Mit Nachdruck wird von der Forschung ein Paradigmenwechsel vorbereitet, der ein Abwenden von fossilen Rohstoffquellen hin zu biobasierten Herstellungsmethoden bedeutet. Kunststoffe aus Fischschuppen, antibakterielle Fasern auf Basis von Milchproteinen, bioinspirierte Klebstoffe mit selbstheilenden Eigenschaften oder Holzersatzwerkstoffe auf Basis von Bagasse (faserige Überreste der Zuckerfabrikation) sind einige Beispiele einer Entwicklung, die in den nächsten Jahren an Intensität gewinnen wird. Die Materialforschung ist immer mehr in der Lage, die technologischen Potenziale neuer Werkstoffe mit den Anforderungen einer nachhaltigen Industrie- und Baukultur in Einklang zu bringen.
Materialien an sich können nicht nachhaltig sein, sondern immer nur die Anwendungen, in denen sie eingesetzt werden, beispielsweise ein Gebäude. Ein wichtiges Kriterium ist ihre Recyclingfähigkeit beziehungsweise der Anteil an recycelten Materialien, aus denen ein Bauprodukt besteht. Heute streben bereits eine ganze Reihe von Herstellern an, ihre Produkte etwa auf Basis von Reststoffen herzustellen oder die Verwendung von Erdöl zu vermeiden. Damit sind biobasierte Materialien und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe in vielen Produkten positiv zu bewerten. Bei nachwachsenden Rohstoffen muss allerdings immer beachtet werden, dass sich deren Anbau nicht negativ auf die Preisentwicklung bei Lebensmitteln auswirkt. Positiv ist es in jedem Fall, bei gleichem Effekt weniger Material zu verwenden. Leichtbaustrukturen mit stabilitätsfördernden Konstruktionen sind dafür ein gutes Beispiel.
Durch den Leichtbau wird nicht nur bei gleicher Stabilität weniger Material benötigt, sondern auch weniger Energie, um es zu transportieren. Mit Smart-Materials, also Materialien mit mehreren Funktionen, lassen sich infolge der Integration dieser Funktionen weniger Produkte für mehrere Aufgaben einsetzen. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von elektrochromem Glas in der Gebäudefassade. Es kann teure und störanfällige mechanische Sonnenschutzsysteme oder zweischalige Vorhangfassaden sinnvoll ersetzen. Außerdem lassen sich die Transmission des sichtbaren Lichts und der Gesamtenergiedurchlass über ein breites Spektrum abstimmen und dadurch vor allem in Gebäuden mit großen Glasfassaden Energieverluste vermindern.
Bewertung noch schwierig
Die zahlreichen guten Beispiele aus der Materialforschung und einiger Hersteller können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass umfassende Informationen über effektive, ökologische Baustoffe oder Empfehlungen für dauerhafte und recyclingfähige Konstruktionen derzeit zumeist noch an unterschiedlichen wirtschaftlichen und ideologischen Interessen scheitern. Mit Etablierung der Zertifizierungssysteme für nachhaltige Gebäude und mit zunehmendem Bewusstsein für ökologisches Bauen werden im Planungsprozess Baustoffbewertungen aber immer wichtiger. Umweltinstitutionen, Ministerien und Herstellervereinigungen haben deshalb in den vergangenen Jahren Empfehlungen hinsichtlich Baustoffauswahl und Baukonstruktionen erarbeitet und herausgegeben. Da die existierenden Bewertungssysteme – europäische und nationale Normen, VDI-Richtlinien, MAK-Listen etc. – für eine umfassende Analyse der Umweltverträglichkeit unzureichend waren, wurden neue Bewertungsmethoden mit ökologischem Ansatz eingerichtet: die Ökobilanz und die Produktlinienanalyse. Beide analysieren ein Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus, wobei die Produktlinienanalyse im Gegensatz zur Ökobilanz nicht nur die technisch-wirtschaftlichen und umweltrelevanten Faktoren mit einbezieht, sondern in einer erweiterten Vorgehensweise auch soziale Komponenten sowie Entsorgung und Recycling.
Die für Bauprodukte etablierten, ökobilanzierten „Umwelt-Produktdeklarationen“ oder EPD (Environmental Product Declaration) basieren auf internationalen Normen (ISO 14025; ISO 14040 ff.) sowie der europäischen DIN EN 15804. Sie bieten eine relevante Datengrundlage, um die Umwelteigenschaften eines Produktes im Marketing oder Verkauf darzustellen. Eine kontextabhängige, vergleichende Beurteilung von Baustoffen für Alternativlösungen hinsichtlich umweltverträglicherer Produkte aus nachhaltig verfügbaren Rohstoffen, die gleiche, zum Teil sogar bessere Eigenschaften haben, ist mit diesem Bewertungssystem nicht möglich. Bisher gibt es erst für einige wenige Baustoffe komplette Produktlinienanalysen mit Recyclinginformationen, die außerdem schwer miteinander verglichen werden können, da es keine Vereinbarungen über Bewertungskriterien gibt. Für Cradle to Cradle Produkte müssen Planer deshalb Informationen aus verschiedenen Quellen zusammentragen, bei Herstellern oder in den etablierten Produktdatenbanken sind sie oft gar nicht erhältlich.
Iris Kopf ist freiberufliche Baufachjournalistin in Neuruppin.
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