Bauen im Bestand, Teil VIII: Für die Salzburger Festspiele wurden die Haus- und Bühnentechnik, die szenische Beleuchtung und die Akustik der Felsenreitschule auf den modernsten Stand gebracht
Die Spielfläche ist von Arkadengängen eingerahmt, die in den Fels gehauen sind; das Dach über der Bühne ist mobil. Damit ist die Felsenreitschule in Salzburg unter den Opernhäusern dieser Welt einzigartig. Seit Beginn der Salzburger Festspiele in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts zog der besondere Charakter dieser Bühne Dirigenten und Regisseure immer wieder in seinen Bann.
Dass der künstlerische Gestaltungswille über die real vorhandenen Möglichkeiten hinausdenkt, ist im Theaterbereich üblich. Wie die Salzburger Festspiele diesem Drängen nach Perfektionierung einer Spielstätte im Rahmen von vielen großen und kleineren Umbauten über Jahrzehnte hinweg nachgekommen sind, ist aber außergewöhnlich. Von Oktober 2010 bis Mai 2011 wurde in einem Kraftakt der vorläufig letzte dieser Entwicklungsschritte realisiert: Haus- und Bühnentechnik, szenische Beleuchtung und Akustik sind auf modernsten Stand gebracht.
Eingebettet in den großen Gebäudekomplex der Salzburger Festspiele, liegt die Felsenreitschule in direkter Nachbarschaft zum Großen Festspielhaus und grenzt unmittelbar an das 2006 eingeweihte Haus für Mozart an. Über ein gemeinsames Foyer gelangen die Besucher in den 1.430 Sitzplätze fassenden Zuschauerraum. Von der nach hinten steil ansteigenden Tribüne ergibt sich von allen Plätzen aus ein freier Blick auf die 40 Meter breite und fast 650 Quadratmeter große Bühne. Deren rechte Seitenwand wird durch die Fassade des historischen Karl-Böhm-Saales gebildet. Der beschlagene Naturfelsen des Mönchsberges wird zur Rückwand und linken Seitenwand.
Die Zuschauertribüne wurde erst Ende der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts von Clemens Holzmeister, dem prägenden Architekten der Salzburger Festspiele, überdacht und die Bühne durch ein großes mobiles Foliendach regensicher gemacht. Zur Reduzierung von Regengeräuschen wurde dabei in einer raffinierten Konstruktion ein Netz oberhalb der Folie aufgespannt, das die Tropfen zu einem feinen Nebel zerstäubte.
Da diese Dachkonstruktion nicht für die auftretenden Schneelasten ausgelegt war, musste das Dach während des Winters geöffnet bleiben. Das dadurch entstehende Bewitterungsproblem für die neue Theaterbestuhlung wurde dabei auf spektakuläre Weise gelöst: Die vorderen neun Sitzreihen können in großen Blöcken hydraulisch hochgeklappt werden, sodass sich alle Stühle im Trockenen befinden und zugleich der übrige Zuschauerraum weitgehend vor der Witterung geschützt ist. Als willkommener Nebeneffekt wurde so ein ebenerdiger Zugang zum Bühnenlager unterhalb der Zuschauertribüne frei.
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Elegante Umbau-Lösung
Nach fast 40 Jahren in Betrieb war das Foliendach derart desolat, dass jede Bewegung zur Zitterpartie wurde. Dieser Mangel bildete 2008 den Auslöser für den schon seit Längerem vorgesehenen großen Umbau des Hauses. Die Festspiele forderten ein mobiles und schneesicheres Bühnendach, modernere Haustechnik, eine zweite Technik-Ebene und eine bessere szenische Beleuchtung. Bei allem sollten die guten akustischen Verhältnisse erhalten bleiben.
In einem Wettbewerb wurde eine technisch sehr elegante Lösung des Salzburger Architekturbüros HALLE 1 ausgewählt. Nach dem Rückbau des mobilen Daches und des gesamten Baukörpers oberhalb des Zuschauerraumes wurde über der Zuschauerfläche ein zweigeschossiger Stahlbau eingezogen, in den fünf ausfahrbare Teleskopträger integriert sind. Im ausgefahrenen Zustand überspannen diese Träger den gesamten Bühnenraum und liegen auf je einem Lagerpunkt in der Felswand auf. Im zweiten Schritt beim Schließen des Daches fahren drei große Deckensegmente auf den Teleskopträgern nach vorn bis zur Bühnenrückwand und bilden damit eine dichte und schneelastsichere Überdachung. Der ganze Schließvorgang dauert nur wenige Minuten und vollzieht sich relativ geräuscharm, sodass das Dach auch während einer Aufführung bewegt werden kann.
Die neue Stahlkonstruktion oberhalb des Zuschauerraumes bietet den im ganzen Festspielbezirk dringend benötigten Platz für Lager- und Technikräume. Im bühnennahen Teil wurden zwei über die gesamte Saalbreite verlaufende Beleuchterbrücken und eine Arbeitsbrücke integriert, sodass die für die szenische Beleuchtung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten um ein Vielfaches vermehrt werden konnten.
Ursprüngliche Akustik erhalten
Für die raumakustischen Verhältnisse im Saal wurden durch den Umbau zunächst ungünstige Auswirkungen befürchtet: Das Raumvolumen wuchs, das für tiefe Frequenzen sehr durchlässige Foliendach entfiel. Auch die neuen Beleuchterbrücken erschweren die Optimierung der Schallführung. Für die Akustik wurden umfangreiche Optimierungen und Kompensationen erforderlich.
Grundlage hierfür bildeten zahlreiche raumakustische Messungen. Sie fanden während der fast zweijährigen Planungsphase statt und berücksichtigen verschiedenste räumliche Bedingungen. Neben Messungen mit unterschiedlichen Bühnenbildern gehörten hierzu auch vielkanalige Messungen im besetzten Saal während einer Generalprobe. Zur Ermittlung der akustischen Eigenschaften des Foliendaches wurden darüber hinaus Vergleichsmessungen zwischen geöffnetem und geschlossenem Dach vorgenommen.
Auf dieser Basis wurde ein akustisches Computermodell des Saales erstellt und mithilfe verschiedenster Simulationsverfahren die räumliche und zeitliche Schallausbreitung untersucht und optimiert.
Realisierte Maßnahmen
Zur Realisierung der akustischen Maßnahmen standen Decken und Wände des Zuschauerraumes sowie die neuen mobilen Dachelemente zur Verfügung. Für Letztere ließ sich das Planungsziel relativ einfach formulieren: Sie sollten idealerweise ein Absorptionsvermögen aufweisen, das den akustischen Eigenschaften des alten Foliendaches entspricht. Da die relativ leichte Folie bei tiefen Frequenzen einen großen Teil des Schalls ungehindert durchließ, war das Ziel mit einer massiven Dachkonstruktion gar nicht so einfach zu realisieren. Durch verschiedene experimentelle Labormessungen konnte schließlich ein passender Aufbau mit einem gelochten Trapezblech als sichtseitiger Verkleidung der tragenden Trapezblechkonstruktion und einer speziell angepassten Mineralfaserhinterlegung gefunden werden.
Decken und Wände des Zuschauerraums akustisch neu zu gestalten, war dagegen deutlich komplizierter. Ziel war dabei, die von der Bühne kommende Schallenergie zeitlich und räumlich optimal auszunutzen. Erschwert wurde die Aufgabe dadurch, dass das Raumvolumen der Felsenreitschule mit rund 23.000 Kubikmetern mehr als doppelt so groß ist wie das klassischer Opernhäuser. Mit der zur Verfügung stehenden Schallenergie muss nicht nur das Klangvolumen von Sängern und Orchester gestützt werden. Für eine eindrucksvolle Akustik müssen darüber hinaus die Zuhörer in das Klangerlebnis eingebunden werden und die einzelnen Instrumente des Orchesters zu einem Klangensemble verschmelzen, ohne dass Transparenz und Durchhörbarkeit leiden. Vom Akustiker wurde dazu unter Berücksichtigung der gegebenen räumlichen Bedingungen eine spezielle Aufgliederung und Struktur der Einzelflächen entwickelt.
Um die akustischen Verhältnisse immer ideal auf die speziellen Anforderungen der jeweiligen Inszenierung abstimmen zu können, wurde in der Felsenreitschule über die Optimierung der natürlichen Raumakustik hinaus eine besondere Maßnahme realisiert. Mithilfe des elektronischen Raumakustiksystems Vivace kann die bestehende gute Raumakustik bei Bedarf in einzelnen Konzerten und Inszenierungen um spezielle Nuancen ergänzt werden. So kann auch unter besonderen Bedingungen eine dem künstlerischen Spitzenniveau der Salzburger Festspiele entsprechende perfekte Akustik sichergestellt werden.
Das System umfasst zwei bis vier Studiomikrofone, die oberhalb der Bühnenvorderkante an langen Auslegerangeln von der Beleuchterbrücke aus abgehängt werden. Die aufgenommenen Signale werden in einer zentralen Steuereinheit durch spezielle Faltungsalgorithmen zu den gewünschten ergänzenden Klanganteilen umgeformt und über insgesamt 54 Lautsprecher in den Zuschauerraum eingespielt. Die Lautsprecher sind dabei hinter den Lochblechverkleidungen der Decken und Wände unsichtbar versteckt. Für besondere Ansprüche im Bühnenbereich sind zusätzlich acht mobile Lautsprecher verfügbar. Neben ihrer raumakustischen Aufgabe wird die Anlage zudem für die Beschallung bei Ansprachen sowie für Effektzuspielungen genutzt. Seit Abschluss der Umbauarbeiten im Mai 2011 hat man während der zwei vergangenen Spielzeiten nur positive Erfahrungen gemacht. Publikum und Künstler schätzen die neuen technischen und akustischen Verhältnisse sehr.
Dipl.-Phys. Gunter Engel und Prof. Karlheinz Müller sind als Raumakustiker beim Ingenieurbüro Müller-BBM in Planegg bei München tätig
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