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Gabriele Lichtenauer
Die Unsicherheit vieler Planer im Umgang mit brandschutztechnischen Anforderungen wächst, denn bauordnungsrechtliche Vorschriften und technische Grundlagen entwickeln sich ständig weiter. Vor allem im Bestand kann das erhebliche Probleme bereiten. Immer wieder stellt sich hier die Frage: Ist Neubaustandard gefordert oder besteht Bestandsschutz? Dazu ein einfaches Bespiel: Feuerwiderstandsfähige Türen müssen heute in den meisten Fällen auch rauchdicht (RS) sein. Solche Türen hat es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. Doch was macht man mit einer längst eingebauten, mit Verwendbarkeitsnachweis und Ü‑Zeichen versehenen T-30‑Tür ohne die Zusatzqualität „RS“? Muss man diese heute generell oder zum Beispiel nur bei Modernisierungsmaßnahmen ausbauen und ersetzen? Oder genießen die alten Türen – oder besser: wann genießen sie – Bestandsschutz?
Bestandsgeschützt ist ein Gebäude in aller Regel, solange es einschließlich seiner Nutzung genehmigt ist, auch wenn zum Zeitpunkt der Genehmigung noch ganz andere technische Grundlagen galten, zum Beispiel andere Normen oder Vorgänger der heutigen. Wenn das zu betrachtende Gebäude einschließlich seiner Nutzung einem rechtmäßigen „historischen“ Status entspricht, liegt es nahe, dass Bestandsschutz besteht.
Zu einem bestandsgeschützten Gebäude gehört auch, dass es modernisiert werden darf. Doch hört der Bestandschutz nach allgemeiner Einschätzung da auf, wo durch eine Baumaßnahme oder eine Nutzungsänderung neue, weitergehende Anforderungen, etwa an die Standsicherheit, erfüllt werden müssen. Bestandsschutz hört auch auf, wenn neue Erkenntnisse vorliegen, nach denen ein bestimmter Zustand eine konkrete Gefahr darstellt, auch wenn dieser Zustand ursprünglich genehmigt war. Bei Rettungswegen ist man diesbezüglich besonders aufmerksam, und gerade über mehrere Geschosse offene Treppen können eine solche konkrete Gefahr darstellen, die natürlich beseitigt werden muss.
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat zum Thema ausgeführt (Az.: 10B 186/09 vom 15.4.2009): „Bestandsschutz ist der durch Art. 14 Abs. 1 GG vermittelte Anspruch einer durch Genehmigung legalisierten oder während eines Mindestzeitraums materiell rechtmäßigen baulichen Substanz, sich in ihrer von der Genehmigung beziehungsweise Genehmigungsfähigkeit umfassten konkreten Nutzung gegen spätere nachteilige Rechtsänderungen durchzusetzen. Bezugspunkt für den Bestandsschutz gegenüber Rechtsänderungen ist stets eine bauliche Anlage in ihrer jeweiligen Nutzung …“ Doch auch trotz solcher Urteile lässt sich die Frage, ob Bestandsschutz vorliegt, nicht konkret und abschließend beantworten. Stets kann die Antwort vom jeweiligen Einzelfall abhängen.
Aber auch bei Neubauten ist die Anwendung des aktuellen Rechts nicht mehr so einfach wie früher. Denn durch das Instrument der Abweichung, das Ausnahmen und Befreiungen ersetzt und gleich an zwei Stellen in den Bauordnungen verankert ist, kennen wir keine zwingenden Vorschriften im ursprünglichen Sinne mehr. Von den technischen Baubestimmungen kann nunmehr immer und ohne formalen Antrag abgewichen werden, wenn eine andere Lösung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ebenso gewährleistet.
Darüber hinaus können die Bauaufsichtsbehörden Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, insbesondere mit der Forderung nach Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Die bauordnungsrechtliche Anforderung wird dadurch von einer zwingenden Anforderung zu einem Angebot an den Planer, das dieser aber keineswegs annehmen muss. Solche Freiheiten wecken natürlich Begehrlichkeiten – auch aufseiten der Bauherren –, denn vieles scheint möglich. Durch diese neuen Freiheiten und vor dem Hintergrund der umfangreichen Genehmigungsverzichte hat der Planer mehr Freiheit, mehr Entscheidungsfreude und Verantwortung. Das ist Erleichterung und Last zugleich.
Dipl.-Ing. Gabriele Lichtenauer ist Baudirektorin im Finanzministerium des Saarlands.
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