Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Einfach mal zurückhalten“ im Deutschen Architektenblatt 09.2022 erschienen.
Von Juliane von Hagen
Lange Zeit galt es, Niederschlagswasser möglichst schnell abzuleiten. Das hat sich im Rahmen von Klimavorsorge und Klimaanpassung verändert. In Zukunft bekommen Nutzung, Versickerung und Rückhaltung von Regenwasser Vorrang. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das neue, 2020 von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. veröffentlichte DWA-Arbeitsblatt 102-1 „Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer“ (Teil 1: Allgemeines), bei zukünftigen Entwässerungskonzepten weitgehend Flächendurchlässigkeit zu erhalten. Damit sollen Verdunstung, Versickerung und Grundwasserneubildung ermöglicht und der oberflächige Abfluss von Niederschlägen gegenüber ableitungsbetonten Entwässerungskonzepten reduziert werden. Das hat auch Konsequenzen für den Sportplatzbau.
Großes Potenzial: Sportplätze zur Regenwasserrückhaltung
Bisher zielen etablierte Bauweisen darauf ab, Wasser auch von Sportflächen möglichst zügig abzuleiten. Oft ist sogar besondere Eile geboten, da die Flächen nach Niederschlägen wieder schnell nutzbar sein sollen. Gleichzeitig schlummert in Sportflächen aber ein großes Potenzial für lokale Versickerung und Rückhaltung von Regenwasser. „Sportanlagen nehmen nicht nur große Flächen in unseren Städten ein. Sie bieten auch ein gutes Verhältnis von Einzugsgebiet und Sickerfläche, denn je mehr Fläche zur Verfügung steht, umso geringer ist die Höhe, in der sich das Wasser möglicherweise anstaut“, erklärt der Sachverständige und Mitarbeiter des Landesumweltamtes Sachsen, Tom Kirsten.
Würden Sportanlagen die Regenwasserrückhaltung ermöglichen, ließe sich die lokale Verdunstungsrate erhöhen. Der so erzeugte Kühlungseffekt ist besonders in Städten wichtig. Des Weiteren könnte durch lokale Versickerung die Bodenstruktur im Untergrund geschont und die öffentliche Kanalisation entlastet werden. Tom Kirsten begegnen jedoch immer wieder Vorbehalte gegen die Versickerung. Dazu gehören bautechnische Bedenken, die Sorge vor hohen Baukosten und fehlende Detailkenntnisse.
Vorbehalte gegen Versickerung
So spiegeln sich Vorbehalte gegen lokale Versickerung und Verdunstung von Regenwasser auch in den Regeln der Technik wider. Derzeit gilt zum Beispiel noch das DWA-Arbeitsblatt 138 „Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlägen“ von 2005. Das sieht Flächen-, Mulden- und Rigolenversickerung sowie Mulden-Rigolen- und Schachtversickerung vor. Neue Bauweisen, wie zum Beispiel Tiefbeete, Regengärten oder Verdunstungsbeete, finden in der überarbeiteten Form der DWA-A 138-1 zwar Erwähnung, detaillierte Ausführungen fehlen jedoch. „Denn für Neuentwicklungen gibt es noch keine einheitlichen Bauweisen.
Darüber hinaus zählen Neuentwicklungen nicht zu den allgemein anerkannten Bauweisen, da sie sich in der Praxis noch nicht bewährt haben. Sie sind somit nicht Stand der Technik“, erläutert Tom Kirsten. Außerdem blickt er auf negative Erfahrungen in der Praxis zurück. Bei der Sanierung eines alten Tennenfelds wurde ihm die Baugenehmigung für ein innovatives Versickerungskonzept verweigert. Daraufhin entwickelte Tom Kirsten die Idee für ein Forschungsprojekt. Er wollte den aktuellen Stand der Technik im Sportplatzbau mit neuem Wissen über die Versickerung von Niederschlägen zusammenbringen und durch empirische Versuche untermauern − und zwar mit Kiespackungen.
Forschungsprojekt: Entwässerung von Sportanlagen
Aus der Idee entstand das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Sportplätze als Sickeranlagen“ beim Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. Im Mittelpunkt stand die Frage, auf welche Weise Niederschlagswasser auf Sportanlagen zur Versickerung gebracht werden kann, ohne dass es aufgefangen und abgeleitet werden muss. Zur Klärung dieser Frage galt es herauszufinden, welcher Abflussbeiwert bei der Bemessung der Entwässerung von Sportanlagen anzusetzen ist. Außerdem galt es zu identifizieren, wie groß die Kiespackungen zur Versickerung dimensioniert sein müssen.
Feldversuche in Dresden-Pillnitz
Nach intensiver Vorbereitung und Planung mit Beratung und Begleitung durch zahlreiche Experten starteten im Dezember 2021 die ersten Versuche in Dresden. Dafür wurden auf dem Gelände des Sächsischen Landesamts vier Testfelder mit einer Fläche von sechs mal fünf Metern angelegt. In drei Feldern wurden die im Sportplatzbau üblichen Drainagerohre durch Sickerpackungen aus Kies ersetzt, die in den natürlich gelagerten Boden unterhalb des verdichteten Planums eingebunden sind.
Diese Sickerpackungen waren in den drei Versuchsfeldern unterschiedlich dimensioniert, aber in jedem Fall so groß, dass sie Starkregen aufnehmen können. Zu Vergleichszwecken wurde ein viertes Feld in herkömmlicher Bauweise mit Drainagerohren und Entwässerungsschacht angelegt. Der Boden der gesamten Versuchsanlage besteht aus sandigem Schluff, ist also wenig wasserdurchlässig und damit nicht optimal für Versickerung. Damit war der Boden für die Versuche gut geeignet und die Ergebnisse waren dementsprechend auch auf durchlässigere Böden anwendbar.
Wasseraufnahme auch bei Starkregen
Auf allen vier Versuchsfeldern kamen mobile Beregner zum Einsatz und alle Felder waren mit Kunststoffrasen ausgestattet, dem heutigen Standard bei Sportanlagen. Schließlich wurden die Felder mit 70 Liter Brunnenwasser pro Quadratmeter innerhalb von zwei Stunden beregnet, was mit einem Starkregen vergleichbar ist. Nach circa 30 bis 45 Minuten wurde gemessen, wie viel Wasser jeweils in den unterschiedlich dimensionierten Sickerpackungen ankam, also wie groß der Abflussbeiwert des Versuchsaufbaus war. Obwohl die Versuchsbedingungen technisch bedingt nicht immer ganz gleichmäßig waren und auch Regenmenge und -dauer leicht variierten, konnte ein Abflussbeiwert bilanziert werden. Dieser lag bei 0,09 bis 0,17.
„Damit zeigen die Versuche, dass selbst bei bindigen Böden ein Abflussbeiwert von 0,1 anzusetzen ist. Bei der Bemessung der Sickerpackungen müssen also nur zehn Prozent des Regenwassers berücksichtigt werden. Der Rest wird vom Aufbau des Sportfelds aufgenommen“, erklärt Tom Kirsten. Darüber hinaus entpuppten sich in den Beregnungsversuchen die 40 Zentimeter hohen und 50 Zentimeter breiten Kiespackungen, die mit jeweils sechs Metern Abstand verbaut sind, als ausreichend dimensioniert. „Mit diesen Sickerpackungen wird das Planum bis zur 30-jährigen Regenreihe sicher entwässert“, resümiert Tom Kirsten.
DIN-Norm wird überarbeitet
Die Ergebnisse der Versuche in Dresden machen deutlich, dass die bisher in Bemessungsregeln genannten Abflussbeiwerte nicht stimmen. Je nach Belagsoberfläche variieren sie zwischen 0,3 bei Rasenflächen und 0,6 bei Kunststoffoberflächen. „Diese Werte wurden im DIN-Ausschuss auch bereits infrage gestellt. Nun zeigen die Untersuchungen von Tom Kirsten, dass mit geringeren Werten gerechnet werden kann“, erläutert der Landschaftsarchitekt und Sachverständige für Sportanlagen Markus Illgas aus Nordrhein-Westfalen und verweist darauf, dass die Überarbeitung der DIN-Norm in Arbeit ist.
Empfehlung: Sickerpackungen statt Drainagerohre
Basierend auf den Versuchen in Dresden-Pillnitz, empfiehlt Tom Kirsten, nun in Sportanlagen anstelle der üblichen Drainagerohre Sickerpackungen der Dimension 40/50 zu verbauen. „Mit dieser Dimensionierung sind wir im sicheren Bereich“, sagt er. Natürlich könnte er auch eine Formel entwickeln, um die jeweilige für den Boden vor Ort angemessene Größe genau zu beziffern. Sicherlich würde in sandigem Boden eine kleinere Kiespackung ausreichen. „Aber damit kommen wir nicht schnell genug voran, denn die Anforderungen und Bauweisen müssen dringend vereinfacht werden“, rät Tom Kirsten.
Bis der Endbericht des Dresdener Forschungsprojekts im Herbst 2022 in der Schriftenreihe des Sächsischen Landesamts alle Details der Studie veröffentlicht, berichtet Tom Kirsten über seine Ergebnisse auf verschiedenen Veranstaltungen. Darüber hinaus bringt er seine Erkenntnisse in die Gremienarbeit ein.
Pilotprojekte in Hamburg
Die Etablierung neuer Erkenntnisse in der Praxis gestaltet sich oft als ein mühsamer Weg. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass gleich bei drei Sportanlagen in Hamburg ebenfalls Sickerpackungen aus Kies eingesetzt werden. Das Sportplatzbau-Prüflabor IB Lehmacher Schneider hatte diese Lösung bereits angeregt und zeitgleich mit den Versuchen in Dresden erprobt. „Unsere Entwicklungen ergänzen sich also“, sagt Tom Kirsten, der in Hamburg als Berater tätig war.
Die Hamburger Sportplatzprojekte sind in das vom Bund und der Hansestadt geförderte Modellvorhaben „Mitte machen“ eingebunden. Darin werden in verschiedenen Pilotprojekten, darunter insbesondere Sanierungen und Modernisierungen, umweltgerechten Bauweisen erprobt, um neue Erkenntnisse für die Praxistauglichkeit zu gewinnen. Dementsprechend durfte von Normen und Regeln der Technik abgewichen werden.
Der bereits abgeschlossene Bau der Hamburger Sportanlage am Kroonhorst hat wichtige Hinweise für die konkrete bautechnische Umsetzung generiert. Hier wurde erstmalig die Anwendung der neuen Sickerpackungen unter Realbedingungen erprobt. Konkret wurden in Abstimmung zwischen dem Auftraggeber, dem Planer und dem Bodengutachter die Sickerpackungen auf dem Sportgelände am Kroonhorst aufgrund des sehr durchlässigen Bodens etwas schmaler ausgeführt. An der Sportanlage am Sachsenweg hingegen sind die Sickerpackungen im Format 50/40 im Bau. Die Sportanlage an der Snitgerreihe ist noch in der Planung.
Dr.-Ing. Juliane von Hagen studierte Architektur und Stadtplanung und arbeitet als freie Journalistin und Dozentin in Essen
Sachverständigenlehrgang „Schäden an Freianlagen“
Der berufsbegleitende Lehrgang Schäden an Freianlagen (SaF) wurde in Zusammenarbeit mit dem bdla entwickelt. Namhafte und praxiserfahrene Dozentinnen und Dozenten aus Forschung, Lehre und eigener Sachverständigentätigkeit vermitteln das notwendige Fachwissen in Form von Vorträgen, Einzel- und Gruppenarbeit. Die abschließende Prüfung zum Erwerb des Hochschulzertifikats Sachverständige/-r für Schäden an Freianlagen findet in Kooperation mit der Hochschule Osnabrück statt und ist fakultativ.
Der als kombinierte Präsenz- und Online-Veranstaltung vom Institut für Fortbildung der Architektenkammer Baden-Württemberg organisierte Lehrgang startet im September 2023 und dauert etwa anderthalb Jahre.
Interessenten können sich schon jetzt bei Ramona Falk (0711 248386-331, ramona.falk@ifbau.de) beraten und vormerken lassen.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: