Von Kerstin Kuhnekath
Obwohl es sich um Vorzeige-Bauten des ehemaligen DDR-Regimes handelt, herrscht in der Öffentlichkeit heutzutage Einigkeit, dass die Bauten Ulrich Müthers erhaltenswert sind. Seine futuristischen, leichten und auch verspielten Bauten waren frei von politischer Ideologie und sind ein Zeugnis der Experimentierfreudigkeit ihres Erbauers. Sie waren damals in der DDR so außergewöhnlich, wie sie es noch heute in der BRD sind. So entziehen sie sich einfach der meist hitzigen Debatte um die Ostmoderne wie wir sie aus Potsdam und Berlin kennen. Man braucht nur eine Weile die Passanten beobachten, die am Rettungsturm in Binz auf Rügen vorbei spazieren. Sie bleiben stehen, schauen sich das Ufo-artige Gebäude an und bewundern es mit den Worten: cool, stylisch, abgefahren.
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Ulrich Müther: international anerkannter Schalenbaumeister
Ulrich Müther war in der DDR ein beispielloser Unternehmer. Sein Unternehmen wurde zwar 1972 enteignet und als Volkseigener Betrieb geführt, aber er war konkurrenzlos und hatte alle Freiheiten der Welt auch ohne Parteibuch. Er hat alles selber gemacht vom Experiment, über die Konstruktion, den Entwurf, die statische Berechnung, die kaufmännische Kalkulation und das handwerkliche Errichten. Das brachte ihm weltweit Anerkennung und er wurde das architektonische Aushängeschild der jungen DDR.
In der Blütezeit des Schalenbaus – von den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre – war er international vernetzt und baute als Teil der weltweiten Schalenbau-Szene auch im Ausland, sogar in der BRD. Denn im Westen war der Schalenbau nicht annähernd so erfolgreich wie im Osten. Die aufwendige Ausführung war wegen der höheren Lohnkosten der Arbeitskräfte schlichtweg zu teuer.
Im Osten hingegen begrüßte man die Materialeinsparung der dünnen Betonschalen und hatte kein Problem damit, jedwede komplizierte Form händisch herzustellen. Es war also eine Frage des politischen Systems. So kam es auch, dass der Systemwechsel zur sozialen Marktwirtschaft Müthers Erfolg untergrub und ihn in finanzielle Schwierigkeiten brachte – 10 Jahre nach der Wende musste er Insolvenz anmelden.
Urlaubsarchitektur in neuem Glanz
Die Insel Rügen war Müthers Experimentierfeld. 16 kleine, außergewöhnliche Bauwerke zeugen hier von seiner Schaffenskraft. An ihnen nagt der Zahn der Zeit und ohne geeignete Maßnahmen droht der Verfall. Gerettet wurden gerade zwei Bauten, die erhebliche Schäden aufwiesen, von der Wüstenrot Stiftung: Die Auswahl fiel auf den Rettungsturm in Binz und den Musikpavillon „Kurmuschel“ in Sassnitz mit der Begründung, dass es sich um baukulturell enorm wichtige Bauwerke handelt.
Beiden öffentlichen Bauten ist neben ihrer Schönheit und der Lage direkt an der Ostsee gemein, dass sie als „Urlaubsarchitektur“ vermarktet, den Gemeinden gutes Geld einbringen. Das gilt vor allem für den Rettungsturm. Er wird seit einigen Jahren als Standesamt genutzt und ist gut ausgelastet, mit Heiratswilligen Paaren, die den Ostsee-Blick während des Ja-Wortes genießen möchten. Zum Glück ist das so. Denn ein gutes Nutzungskonzept ist Voraussetzung für die Finanzierung seitens einer gemeinnützigen Stiftung. Und so ist eine nachhaltige und feinsinnige Instandsetzung gelungen, die dafür sorgen wird, dass die Gebäude noch lange in guter Verfassung stehen und zu benutzen sein werden.
Angreifbare Oberfläche
Bei der Kurmuschel stand neben dem Austausch der beweglichen Teile vor allem die Erneuerung der Oberfläche und Wiederherstellung der ursprünglichen Farbbeschichtung im Vordergrund. Der Turm hingegen sollte endlich wetterfest gemacht werden, damit er nicht jedes Jahr wieder vom Schimmel befreit werden muss, der sich durch Kondenswasser im inneren stets gebildet und die Holzeinbauten und Oberflächenbeschichtung zerstört hat. Denn die Betonschale ist natürlich ohne Dämmung ausgeführt. Die Eleganz Müthers Bauten hat an dieser Stelle seinen Preis. Entweder man lebt damit, dass das Gebäude nicht lange überlebt oder man investiert ordentlich, um es dauerhaft zu erhalten.
Dämmputz und Elektroflächenheizung
Die Gemeinde Binz hat sich für Letzteres entschieden. Jetzt steckt in dieser dünnen Betonschale von wenigen Zentimetern eine Elektroflächenheizung verputzt mit wenigem Millimeter starkem Dämmputz. Es kann passieren, dass sie wochenlang durchheizt im Winter, denn ab fünf Grad Celsius Außentemperatur springt sie automatisch an. Eine neue Lüftungsanlage sorgt für Frischluft und verhindert, dass bei hitzigen Hochzeiten beschlagene Fenstergläser die Aussicht vernebeln. Hier wurde intensiv nach einer Lösung gesucht, um die Schlankheit und Eleganz der Architektur zu erhalten bei hohem technischem Komfort. Das ist gelungen.
Wertschätzung für Schalendächer wächst
Es war nicht immer so, dass Müthers Bauten geehrt wurden. Gleich nach der Wende wurde vieles aus dem Osten einfach abgerissen, ohne mit der Wimper zu zucken. Auch zehn Jahre danach war noch immer das Bewusstsein schwach für die Baukultur aus dem Osten. Man denke an den Abriss des Ahornblattes von Müther in Berlin im Jahr 2000. Müthers Bauten stehen zwar mittlerweile unter Denkmalschutz, aber das schützt sie nicht vor dem Verfall. Denn wenn sie nicht im Besitz der öffentlichen Hand sind, dürfen Geldgeber wie gemeinnützige Stiftungen nicht investieren.
Das Ahornblatt würde man heute nicht mehr einfach so abreißen, sondern ein Nutzungskonzept entwickeln, weil man den kulturellen Wert mittlerweile anerkennt. Das Problem der Nachkriegsbauten – und das ist gar kein Problem der DDR-Bauten alleine – ist das Fehlen der zeitlichen Distanz. Heutzutage herrscht barockes Rekonstruktions-Fieber. Was hingegen vor 40 Jahren gebaut wurde, erntet weniger Respekt.
Ausblick
Matthias Ludwig, Leiter des Müther Archivs in Wismar, bestätigt, dass die Bauten der Ostmoderne auch heute noch finanziell benachteiligt sind, was die Förderung und Instandsetzung angeht. Wenn das öffentliche Interesse wachse, so ist er überzeugt, dann werde auch der Umgang mit den Gebäuden ein anderer. Erfreulicherweise wächst das Interesse an Müther tatsächlich von Jahr zu Jahr. Das Archiv, das an der Erfassung des gesamten Nachlasses von Müther arbeitet, komme den vielen Nachfragen gar nicht hinterher. Ab 2020, wenn das Projekt der Aufarbeitung abgeschlossen ist, kann Forschung über Müther und DDR-Bauten dort optimal betrieben werden. Das gibt ja schonmal Hoffnung, dass dem weiteren Verfall in naher Zukunft Einhalt geboten wird.
Kerstin Kuhnekath ist Journalistin in Berlin
Fragen an Heike Nessler:
Sie sind Architektin auf der Insel Rügen und haben hier viel zu tun. Was hat sie an dieser Aufgabe gereizt?
Ich baue normalerweise Neubauten und mache weniger Instandsetzungen. Aber Ulrich Müther hat mich sehr interessiert. Er hat experimentell gearbeitet hier auf Rügen und genauso sind wir auch an die Sanierung herangegangen.
Was heißt das?
Es gibt ja keine Normen für das, was Müther gemacht hat. Seine Formen und seine ganze Herangehensweise sind unkonventionell. Auch für die Instandsetzung gibt es keine Normen. Man kann nicht einfach, den Rettungsturm dick in Wärmedämmung einpacken, das würde ja das Gebäude optisch zerstören.
Welche Lösung haben sie gefunden?
Der Rettungsturm zum Beispiel besteht aus einer ganz dünnen Betonschale, nur wenige Zentimeter stark mit einer Bewehrung aus dünnem Drahtgeflecht. Gemäß bauphysikalischen Untersuchungen, war der Einbau einer Lüftungsanlage entscheidend sowie einer Flächenheizung aus Drahtgeflecht, die millimeterdünn eingespachtelt wurde. Unsere Maßnahmen machen sich also optisch kaum bemerkbar.
Wird der Rettungsturm jetzt dauerhaft beheizt?
Die Elektroflächenheizung springt automatisch an bei 5 Grad Celsius Oberflächentemperatur. Die heizt dann zusätzlich zum Lüftungsgerät, damit der Taupunkt in der Fassade so weit nach außen wandert wie nur möglich. Damit innen kein Tauwasser entsteht.
Ist das nicht sehr teuer, wenn den ganzen Winter über die Heizung läuft? Das Gebäude hat ja gar keine Dämmung.
Das sind natürlich hohe Betriebskosten. Die Gemeinde wollte das trotzdem so. Sie trägt die Kosten, weil ihr bewusst ist, dass das die einzige Möglichkeit ist, wie man das Gebäude erhalten kann. Die Nutzung als Standesamt der Gemeinde Binz ist nicht nur für den Erhalt des Denkmals von Bedeutung, sondern auch eine Einnahmequelle für die Gemeinde.
Jetzt ist sein Rettungsturm ein Hightech-Turm. Was würde Müther davon halten?
Sicher hat Ulrich Müther nie daran gedacht, dass das Gebäude für die Ewigkeit erhalten bleibt. Aber er hätte es sicherlich auch gerne selbst so perfekt saniert. Ich denke, er hätte sich über die Wertschätzung gefreut.
Vielen Dank für das Gespräch!
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