Text: Jutta Albus, Johannes Pellkofer, Stefan Robanus
Glasoberflächen verwandeln sich in der Elektronik schon jetzt in multifunktionale Screens für die Applikation von Informationen, Steuerungsfunktionen oder Leuchtfeldern. Diese hierfür eingesetzten innovativen Technologien lassen sich auch auf die Gebäudehülle übertragen, indem Technik und Architektur miteinander verschmelzen. Glas kommt in diesem Zusammenhang als Funktionsträger mit unterschiedlichen Eigenschaften zum Einsatz: als Material, das seine spezifischen Eigenschaften ändert (zum Beispiel die Durchsicht), als Schutzschicht und Abdeckung gegenüber chemischen und mechanischen Belastungen oder als direktes Trägermaterial für funktionale Schichten. Der Einsatz von Glas ermöglicht ein „Verschwinden“ der Technologie hinter einer sichtbaren, physischen Oberfläche. Sogenannte „intelligente Gläser“ lassen sich nach adaptiven und interaktiven Eigenschaften unterscheiden.
Adaptive Gläser: auf Wunsch undurchsichtig
Adaptivität bezeichnet die Fähigkeit, sich auf wechselnde Anforderungen und Einflussgrößen einzustellen. In der Gebäudehülle bedeutet das vor allem eine Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen, um im Inneren möglichst konstante Bedingungen zu schaffen. Eine wesentliche Rolle spielt der Sonnenschutz, der die Überhitzung des Innenraums hinter Glasfassaden verhindert. Üblicherweise wird dieser durch Beschichtung der Gläser oder durch mechanische Vorrichtungen vor oder innerhalb der Fassade erreicht. Nachteilig sind die permanente Reduktion der Transparenz und die systembedingten Einschränkungen mechanischer Anlagen.
Eine moderne Alternative stellen schaltbare Gläser dar. Die Sonnenschutzfunktion ist bereits in die Isolierglaseinheit integriert und wird nur bei Bedarf aktiviert. Je nach Bauart können schaltbare Gläser den Grad der Durchsicht und somit des Energieeintrags in einem vorgegebenen Spektrum verändern. Sie fungieren unter wechselnden Anforderungen als transparenter Sonnenschutz oder als transluzenter beziehungsweise opaker Sichtschutz. Es gibt eine Reihe von Wirkprinzipien und Aufbauten schaltbarer Gläser mit verschiedenen Anwendungsgebieten. Man unterscheidet zwischen elektrochromen und thermotropen Gläsern sowie Gläsern mit Flüssigkristallen (LC-Gläser). Elektrochrome Gläser sind Verbundgläser, die auf der Innenseite mit einer dünnen Metalloxidschicht bedampft und durch eine leitende Polymerfolie verbunden sind. Diese Schicht verfärbt sich beim Anlegen einer geringen elektrischen Spannung bläulich und mindert so die Lichtdurchlässigkeit. Die Gläser lassen sich in einer Isolierglaseinheit zusammenfügen; die maximalen Scheibengrößen betragen etwa 1,50 mal 3,30 Meter. Je nach Hersteller und Aufbau lassen sich veränderbare g-Werte in einem Spektrum von circa zehn bis 40 Prozent mit entsprechend reduzierter Lichttransmission erzielen.
hermotrope Gläser hingegen sind selbstregulierende Sonnenschutzgläser. Durch Sonneneinstrahlung und die damit verbundene Temperaturerhöhung wechselt die thermotrope Harzschicht zwischen zwei Glasscheiben vom transparenten in einen transluzenten, lichtstreuenden Zustand. Sinkt die Temperatur, kehrt die Scheibe in den transparenten Ausgangszustand zurück. Eine weitere Variante sind schaltbare Gläser mit einem Film aus Flüssigkristallen (Liquid-Crystal- oder LC-Glas). Die Kristalle lassen sich durch das Anlegen von elektrischer Spannung in verschiedene Anordnungen bringen, was das Glas entweder transparent oder opak-milchig erscheinen lässt. Der Schaltvorgang dauert nur Sekundenbruchteile. Die Gläser werden daher vor allem im Innenbereich als Sichtschutz eingesetzt. Aktuelle Forschungen versuchen, diese Technik auch in der Fassade zu etablieren.
Interaktive Gläser: leuchtende Scheiben
Interaktivität bezeichnet das wechselseitige Reagieren zwischen Nutzer und Medium. Interaktive Anwendungen von Glas reichen von den bereits genannten schaltbaren Gläsern über den Einsatz als Informationsscreen bis hin zu lichtaussendenden Systemen. Ein Beispiel mit vielversprechendem Nutzungspotenzial stellt das „selbstleuchtende Glas“ dar. Eine im Randverbund von Isolierglas integrierte LED-Einheit lässt das Glas im ausgeschalteten Zustand vollkommen transparent erscheinen, während es auf Knopfdruck zu einer vollflächigen, homogen leuchtenden Lichtquelle wird. Das System besteht aus einem Isolierglasverbund aus Einscheibensicherheitsglas mit einer lichtleitenden Ebene im Scheibenzwischenraum, welche das eingespeiste Licht reflektiert. So wird tagsüber eine blendfreie Ausleuchtung von Innenräumen mit einer adaptiven Lichtgestaltung erreicht und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, bei Nacht die Fassade dynamisch als Medienfassade zu inszenieren. Bisher sind mit der Technik Glasformate bis zu einer Größe von 1,60 mal 3,00 Metern realisierbar.
Im Vergleich zu einer Lichtverteilung durch LEDs und einer lichtleitenden Schicht stellen Leuchtdioden, die direkt an der inneren Glasoberfläche montiert werden, eine alternative Beleuchtungsform dar. Diese Art der Integration bietet multifunktionale Anwendbarkeiten, die gezielte Effekte und darüber hinaus eine sehr schnelle Anpassbarkeit ermöglichen.
Die über Leiterbahnen geführten LEDs werden im Gießharzverbund zwischen zwei laminierte Glasscheiben montiert. Durch Kontaktstreifen, die zweiseitig entlang der Glaskanten laufen, wird die Stromversorgung gewährleistet. Anzahl und Abstand der Leuchtdioden sind variabel und daher architektonisch weitestgehend flexibel einsetzbar. Durch die Positionierung im Scheibenverbund werden die Leuchtmedien geschützt und geben ein beidseitig abstrahlendes Licht ab. Die kabellose Verbindung von Glas und LED entwickelt wenig Wärme und verbraucht wenig Energie.
Diese Hightech-Verbundgläser lassen sich in Fassaden ebenso wie im Innenraum einsetzen. Die erzeugten Lichteffekte sind abwechslungsreich steuerbar und lassen sich zugleich zu Informationszwecken nutzen. Die durch Leuchtdioden erzeugten Effekte sind darüber hinaus funktional integrierbar. Eine neue Form der Anwendung bieten Sportfußböden, auf denen LED-Markierungslinien eine Vielzahl unterschiedlicher Spielkonfigurationen ermöglichen. Ein Beispiel aus England zeigt, wie sich ein 400 Quadratmeter großes Glasspielfeld an zehn verschiedene Sportarten in hoher Geschwindigkeit mühelos anpassen lässt. Die in der Bodenoberfläche aus Verbundglas geführten Leuchtdioden unterstützen die Identifizierbarkeit der aktiven Markierungslinien für die jeweilige Sportart. Die geätzten Glasoberflächen reduzieren auftretende Reflexionen und tragen durch eine punktuelle Siebdruckbeschichtung zur besseren Haftung bei. Das System ist auf einer Aluminium-Unterkonstruktion schwingungsdämpfend montiert und eröffnet zudem eine Bandbreite alternativer Einsatzmöglichkeiten – zum Beispiel als Markierung von Fluchtwegen, als programmierbarer Tanzboden oder als Stimmungsbeleuchtung in Spa-Bereichen.
Dipl.-Ing. Jutta Albus, Dipl.-Ing. Johannes Pellkofer MBA und Dipl.-Ing. Stefan Robanus sind Architekten und akademische Mitarbeiter am Institut für Baukonstruktion, Lehrstuhl 2 der Universität Stuttgart und verantwortlich für Konzeption und Gestaltung der glass technology live 2016Sonderschau auf der Messe glasstec
Die „glass technology live“ mit internationalem Architektur-Fachsymposium gilt im Rahmen der Fachmesse „glasstec“ in Düsseldorf als etabliertes Forum für innovative Produkte und spektakuläre Anwendungen rund um den Baustoff Glas. Organisator der Ausstellung unter dem Titel „A Future in Glass“ ist auch in diesem Jahr wieder das Team vom Institut für Baukonstruktion 2 der Universität Stuttgart, unter der Schirmherrschaft von Professor Stefan Behling (Senior Executive Partner, Foster + Partners). Vom 20. bis 23. September können sich Besucher in Halle 11 über neueste Entwicklungen und Projekte zu den Themen intelligente Gläser, innovative Fassaden, Wärme-/Sonnenschutzgläser, Solartechnologie und Glasdesign informieren. www.glasstec.de
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