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Schlanke Scheiben

Dünngläser könnten bald zu neuen Anwendungen führen, beispielsweise zu leichteren Dreifach-Verglasungen

30.09.20126 Min. Kommentar schreiben
Schöne Aussicht: Das Glas Gorilla® von Corning kann für Anwendungen in der Architektur verformt werden

Von Jutta Albus und Stefan Robanus

Immer strengere Wärmeschutzvorgaben haben dazu geführt, dass zunehmend Dreifach-Isoliergläser verwendet werden. Technologie und Herstellung solcher Glaseinheiten sind mittlerweile ausgereift, ihr hohes Gewicht bleibt aber problematisch. Sie sind schwerer zu bewegen; die Anforderungen an Beschläge und Rahmenprofile sind weit höher. Außerdem werden das filigrane Aussehen und die Transparenz der Fenster- und Fassadenkonstruktionen beeinträchtigt. Neue Dünngläser könnten aufgrund ihres geringeren Gewichts in Verbindung mit einer hohen mechanischen Widerstandsfähigkeit diese Probleme lösen.

Als Dünngläser werden in der Regel Gläser mit Stärken unter zwei Millimetern bezeichnet. Je nach Verwendungszweck sowie der Art ihrer Herstellung und Verarbeitung unterscheiden sich die einzelnen Produkte allerdings erheblich hinsichtlich der Zusammensetzung, ihrer spezifischen Eigenschaften sowie der verfügbaren Formaten und Dicken. Dünngläser werden vor allem von der Elektroindustrie zur Herstellung von Displays oder als Objektträger in Laboren erfolgreich eingesetzt. Heute sind zunehmend auch größere Formate verfügbar, weshalb schon seit einiger Zeit mögliche Potenziale für das Bauwesen ausgelotet werden.

Übliche Glasarten für Dünngläser sind Borosilikatglas, Aluminiumsilikatglas und das bekannte Basis- beziehungsweise Floatglas. Während Borosilikatglas durch seine Eigenschaften mechanischen, chemischen und thermischen Beanspruchungen gleichermaßen standhält, erweist sich Aluminiumsilikatglas nach dem chemischen Vorspannprozess gegenüber extremen mechanischen Belastungen als vorteilhaft. Die Gläser werden je nach Hersteller und Endprodukt in unterschiedlichen Verfahren produziert. Während das übliche Float-Verfahren zur Herstellung von Flachgläsern meist nur eine Minimaldicke von einem Millimeter zulässt, haben verschiedene Hersteller von Displaygläsern dieses Verfahren mittlerweile so modifiziert, dass heute 0,5 Millimeter starke Gläser mit Abmessungen von 2.000 x 2.000 Millimetern und Dickendifferenzen unter 50 µm möglich sind (Hersteller Schott, Produkt XensationTM, 0,55 bis 2,0 Millimeter stark, Standardformat 1.150 x 850 Millimeter). Das Down-Draw- und das Overflow-Fusion-Verfahren ermöglichen durch den Ziehvorgang generell dünnere Gläser, wobei sich mit Letzterem besonders dünne Gläser mit extrem homogenen und glatten Oberflächen ­herstellen lassen. Im Vergleich zum Float-Verfahren werden hierbei die Glas-oberflächen keinen mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt (Hersteller Corning, Glas Gorilla®, 0,5 bis 2,0 Millimeter stark, Standardformat 1.150 x 950 Millimeter). Alle Rohgläser werden nach dem Zuschnitt vorgespannt, wodurch sie ihre extreme Festigkeit und Beständigkeit gegenüber mechanischen und thermischen Beanspruchungen erhalten. (Eine grafische Darstellung der verschiedenen Verfahren finden Sie hier.)

Generell wird zwischen thermischem und chemischem Vorspannen unterschieden. Während die sehr dünnen, kleinformatigen Displaygläser oder komplex geformte Scheiben aus der Luft- und Raumfahrt vorwiegend chemisch vorgespannt werden, geschieht dies bei Baugläsern in der Regel durch ein thermisches Verfahren, das eine sehr effiziente Bearbeitung wesentlich größerer Formate zulässt.

Scheiben auf Luftkissen

Hierfür hat die Maschinen- und Anlagenbranche vor Kurzem ein neues Verfahren vorgestellt, das wirtschaftlich produzierbare Gläser ab einem Millimeter Stärke möglich macht. Es handelt sich dabei um eine Flachbett-Vorspannanlage der Firma Lisec zur Herstellung von Gläsern mit der im Bauwesen üblichen Biegezugfestigkeit. Die Anlage arbeitet auf Basis eines effizienten Hochkonvektions-Luftsystems, das die Scheiben auf beiden Seiten gleichmäßig erwärmt und sie auf Luftkissen transportiert. Dadurch bleiben die Glasflächen während des gesamten Prozesses unberührt, was zu einer hohen optischen Qualität beim Vorspannen ­beidseitig beschichteter oder extrem dünner Gläser führt. Die bei herkömmlichen Vorspannöfen mit Rollentransport entstehenden Verwerfungen der Glasoberfläche, die sogenannten Roller Waves, entstehen hier nicht. Außerdem ­ermöglicht die Flachbettanlage den flexiblen Umgang mit sehr unterschiedlichen Glasformaten und -dicken. Aktuell liegt das maximal verarbeitbare Format bei 5.000 x 1.700 Millimetern.

Abspecken um die Hälfte

Würde man bei einer Dreifach-Verglasung nur die innere Scheibe der ansonsten vier Millimeter dicken Scheiben durch ein zwei Millimeter dickes Dünnglas ersetzen, ließe sich das Gewicht des Glases insgesamt um fünf Kilogramm pro Quadratmeter reduzieren. Das entspricht 17 Prozent. Würden alle drei Scheiben durch Dünngläser ersetzt, sänke das Gewicht um 15 Kilogramm pro Quadratmeter, also um etwa 50 Prozent. Alle heute geforderten Werte des Wärmeschutzes und des Energie- und Lichtdurchlasses würden erreicht. Dagegen sind das erhöhte Kantenbruchrisiko bei der Verarbeitung und die unzureichenden Schallschutzeigenschaften Aufgaben, die es noch zu lösen gilt.

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt „Energieeffizientes Mehrscheiben-Isolierglas“ beschäftigen sich das Institut für Fenstertechnik (ift) in Rosenheim und der Bundesverband Flachglas mit den Möglichkeiten, das Gewicht von Mehrscheiben-Isolierglas weiter zu minimieren. Dabei werden verschiedene Glasaufbauten, unter anderem mit Dünngläsern, Folien oder transparenten Kunststoffen, untersucht. Dünngläser bieten hier nicht zuletzt wegen ihrer höheren Belastbarkeit große Vorteile. Die Solarindustrie verwendet bereits heute vorgespanntes Dünnglas, um leichtere Glas-Glas-Module zu erhalten. Diese besitzen eine längere Lebensdauer als herkömmlich mit Folienlaminaten hergestellte Gläser und eine höhere mechanische Steifigkeit. Dank Letzterer kann der Modulrahmen aus Aluminium entfallen, was die Integration in Fassadensysteme vereinfacht.

Die vorwiegend für Displaygläser eingesetzten Dünngläser auf Basis von Borosilikat und Aluminiumsilikat sind trotz ihrer vorteilhaften Eigenschaften bislang nur bedingt im Bauwesen vorstellbar. Der aufwendige Herstellungs- und Verarbeitungsprozess, die eingeschränkt verfügbaren Größen und der relativ hohe Preis behindern aktuell eine breitere Anwendung noch. Dagegen steckt im Laminieren von Dünngläsern möglicherweise ein hohes Potenzial. Das Glaslaminat, bestehend aus einem Interlayer und extrem dünnen Glasscheiben, hat die Eigenschaften eines Verbundsicherheitsglases mit extrem geringem Gewicht. Je nach Anwendungsfall werden die Gläser mit gängigen Produkten (PVB, EVA und TPU) als Zwischenschicht laminiert. Dies könnte sich in gewichtssensiblen Anwendungen, wie Seilnetzfassaden oder Überkopfverglasungen, als vorteilhaft erweisen. Durch die fast folienartige Struktur der Gläser sind zudem membranartige Konstruktionen mit anspruchsvollen Geometrien denkbar, deren generell hoher Aufwand bei Biege- und Verarbeitungsprozessen allerdings nur einen Einsatz im Sonderfall rechtfertigt. Dipl.-Ing. Jutta Albus und Dipl.-Ing. Stefan Robanus sind Architekten und akademische Mitarbeiter am Institut für Baukonstruktion der Universität Stuttgart

Messe-Sonderschau

Über Dünngläser und zahlreiche weitere Innovationen informiert die Sonderschau „glass technology live“ vom 23. bis 26. Oktober auf dem Düsseldorfer Messegelände anlässlich der Messe „glasstec“. Organisator der Ausstellung ist auch in diesem Jahr wieder das Team um Professor Stefan Behling vom Institut für Baukonstruktion der Universität Stuttgart. Unter dem Motto „Integrative Glasfunktionen“ liegt der Fokus unter anderem auf gebäudeintegrierter Photovoltaik, großformatigen warm- und kaltgebogenen Gläsern sowie aktuellen Entwicklungen im konstruktiven Glasbau.

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