Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Klimaaktive Steildächer“ im Deutschen Architektenblatt 08.2023 erschienen.
Diese drei Planungsoptionen für nachhaltiges Bauen mit Steildächern werden vorgestellt:
Von Jan R. Krause
Das Satteldach zählt zu den häufigsten Dachformen in Deutschland: traditionell rot oder schwarz – je nachdem, ob die Gegend eher Tonvorkommen oder Schiefergruben zu bieten hat. Über Jahrhunderte prägte die regionale Verfügbarkeit von Dachbaustoffen das Handwerk und die Baukultur.
Kurze Transportwege erhalten in Zeiten klimagerechten Bauens wieder eine wachsende Bedeutung. Doch neben dieser Besinnung auf traditionelle Werte wie Regionalität kommen neue Erkenntnisse hinzu, zum Beispiel über die Auswirkung der Dachfarbe auf das Mikroklima in der Stadt.
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1. Weißes Dach: Albedo-Effekt gegen Aufheizung
Schon 2010 hatten die amerikanischen Forscher Keith Oleson und Johannes Feddema von der University of Kansas mit einer Studie belegt, dass weiße Dächer eine effektive Methode sind, um die Stadthitze zu mildern. Gebäude und Straßen absorbieren einen großen Teil der Sonnenstrahlen, sie heizen sich tagsüber auf. Nachts geben sie die Wärme langsam wieder ab, sodass es in Städten deutlich wärmer ist als außerhalb.
Durch den sogenannten Albedo-Effekt reflektieren weiße Flächen die Strahlung der Sonne. Der Reflexionswert weißer Dächer erhöht sich von 0,32 auf 0,9 gegenüber schwarzen oder roten Dächern. Das bedeutet, dass 90 Prozent des auftreffenden Sonnenlichts reflektiert werden. Weiße Dächer reduzieren die Wärme schon, bevor sie überhaupt entsteht: Die Energie geht zurück in die Atmosphäre statt in das Gebäude.
Cool Roofs sorgen für Abkühlung
Die im März 2012 veröffentlichte Studie der NASA „Bright Is The New Black: New York Roofs Go Cool“ bestätigt, dass in den heißen Sommermonaten in New York City die Dachtemperatur weißer Dächer um durchschnittlich 25 Grad niedriger ist als die Temperatur dunkler Dächer. Bezogen auf das lokale Klima, könnten weiße Dächer eine Abkühlung von bis zu drei Grad bewirken. Nimmt man an, dass Dächer etwa 40 Prozent der urbanen Flächen abdecken, würde eine ganze Stadt mit weißen Dächern eine Abkühlung von circa 1,2 Grad Celsius zur Folge haben.
Eine ganze Stadt mit weißen Dächern? Unvorstellbar in Deutschland mit seiner Tradition roter und schwarzer Dächer, wo die Dachfarbe oftmals im Bebauungsplan vorgeschrieben ist. Aber warum eigentlich nicht? In der Realität stehen die Bauämter dem Ansatz jedoch meist skeptisch gegenüber, statt diese Idee zu fördern. Dabei zeigen erste Häuser, dass weiße Dächer nicht nur nützlich, sondern auch schön aussehen können – und zwar als Einzelfall wie auch im Kontext.
Welche Materialien für weiße Dächer?
Technologisch sind weiße Dächer in verschiedenen Materialien verfügbar: Ob Ton, Beton, Metalleindeckung oder Faserzement – verschiedene Hersteller bieten reflektierende Oberflächen für das geneigte Dach. Die Reflexion erfolgt ausschließlich durch die weiße Farbe, unabhängig vom Material.
Weiße Dächer in Wiesbaden und Mechelen
In Wiesbaden steht ein solches Haus in Weiß (siehe Seitenanfang), erdacht von den Architekten Christ und Christ: in grünem Garten, umgeben von schwarzen und roten Dächern, entfaltet es eine Strahlkraft, die erfrischend wirkt. Man spürt die sommerliche Abkühlung schon beim Ansehen.
Im belgischen Mechelen ergänzt ein ganzes Ensemble mit weißen Dächern den urbanen Kontext – dmvA architecten platzieren mit ihrem weißen Doppelgiebel (siehe oben) einen skulpturalen und belebenden Kontrast, der sich ganz selbstverständlich mit der historischen Häuserreihe verbindet.
Noch zu wenige Cool Roofs
Auch in der Sanierung finden sich Ideen für weiße Dächer: Klein, aber fein fügt sich der Entwurf für das Haus b von Marc Flick in Wiesbaden in die Reihe schwarz bedachter Wohnhäuser und lässt erahnen, wie das Bauen im Bestand auf diese Weise ästhetische wie auch klimatische Impulse setzen kann. Dennoch: Dreizehn Jahre nach den ersten Studien zur positiven Auswirkung von „Cool Roofs“ auf das Mikroklima in der Stadt gibt es erst wenige gebaute Beispiele. Teilweise sind Thema und ästhetisches Potenzial noch zu wenig bekannt, teilweise verhindern die bauordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen die Realisierung weißer Dächer.
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2. Begrüntes Dach: Wasserspeicherung und Biodiversität
Eine andere Option, das Mikroklima zu verbessern und Biodiversität zu ermöglichen, sind begrünte Dächer. Was auf Flachdächern schon seit Langem praktiziert wird, hält seit geraumer Zeit auch Einzug auf dem Steildach. Das dänische Architekturbüro Lendager hat gerade in Lisbjerg eine ganze Siedlung mit geneigten Dächern begrünt.
„Was wäre, wenn wir eines der wirtschaftlichsten Wohnungsbauprojekte bauen und es gleichzeitig zu einem der nachhaltigsten machen könnten?“, fragten sich die Architekten, „Was wäre, wenn das Projekt mehr Biodiversität als zuvor schaffen und den Biofaktor um 30 Prozent erhöhen würde?“
Grüne Dächer mit Photovoltaik
So bauten Lendager eine Wohnsiedlung aus ein- bis dreigeschossigen Häusern mit Budgets, die sich am sozialen Wohnungsbau orientieren. Ihr Ziel war es, in landschaftlich reizvoller Lage auf den Dächern das zurückzugeben, was dem Boden entnommen wurde. Die gefaltete Dachlandschaft ist begrünt und zum Teil mit Photovoltaik belegt.
Die durch die Begrünung erreichte Biodiversität übertrifft dabei sogar die am Ort vorhandene. Und in der Materialität kommt ein weiterer ökonomisch wie ökologisch wertvoller Ansatz hinzu: 30 Prozent der eingesetzten Baustoffe sind upgecycelte Materialien, so auch die Fassaden, die aus wiederverwendeten Tondachziegeln gestaltet wurden.
Bei Gründächern Lastreserven beachten
Die Begrünung geneigter Dachflächen stellt aber auch besondere Anforderungen an die Planung: Dachneigung, Dachkonstruktion, Dachaufbau, Statik und schubsichernde Maßnahmen müssen auf das gewünschte Vegetationsbild abgestimmt werden. Ab einer Dachneigung von zehn Grad werden in der Regel Schubsicherungssysteme eingesetzt. Ab einer Dachneigung über 35 Grad sollte eine automatische Bewässerung vorgesehen werden, da durch die Neigung der Dachfläche der Begrünungsaufbau schneller entwässert.
In der Sanierung sind die oft eingeschränkten Lastreserven geneigter Dächer zu berücksichtigen. Daher werden die meisten Schrägdachbegrünungen als dünnschichtige extensive Dachbegrünungen ausgeführt. Intensive Schrägdachbegrünungen erfordern größere Lastreserven und werden im Neubau daher vielfach als Betondachkonstruktionen ausgeführt.
Gründach dient auch als Dämmung
Eines der beeindruckendsten geneigten Gründächer prägt das architektonische Konzept des Corda Campus von ELD in der belgischen Stadt Hasselt. Ziel der Architekten, die nicht nur das Gründerzentrum, sondern den gesamten Masterplan für das ehemalige Philips-Produktionsgelände entwickelt haben, ist es, diese Industriebrache in einen neuen, frei zugänglichen Park zu verwandeln. Folgerichtig verbindet der Entwurf mit seinem steil abfallenden, begrünten Dach und der volumetrisch verglasten Fassade Architektur und Landschaft. Das Gründach dient hier nicht nur als grüne Oase, sondern auch als Wärmedämmung und Regenwasserspeicher.
Gründach Beispiele: Kita und Aufstockung
Auch in Deutschland finden sich gute Beispiele für geneigte Gründächer. Mitten in Dresden wölbt sich eine Kita von See Architekten wie eine moderne Hobbit-Höhle aus der Rasenfläche. Umringt von sechs- bis zwölfgeschossigen Plattenbauten, wird der Neubau mit seiner grünen begeh- und bespielbaren Dachschale zum natürlichen Teil einer neuen Parklandschaft.
Mitten in Hamburg steht ein ebenfalls bemerkenswertes Wohnhaus von BAID in der Warburgstraße nahe der Alster. Unter den teils geneigten, begrünten Dachflächen befindet sich eine großzügige Penthousewohnung mit einer komplett umlaufenden Dachterrasse. Das Grün des Daches liefert einen Beitrag zum Mikroklima in der Stadt und wirkt gleichzeitig wie eine moderne Reminiszenz an die grünen Kupferdächer über den weißen Alstervillen der Hansestadt.
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3. Solardach: vollflächig Strom gewinnen
Einen ganz anderen klimaaktiven Beitrag leisten Photovoltaikdächer. In Baden-Württemberg besteht seit 2022 die Verpflichtung, bei Neubauten eine PV-Anlage zu installieren. Seit 2023 greift die PV-Pflicht auch bei allen grundlegenden Dachsanierungen. Welche Chancen eröffnen sich damit für die Architektur? Welche Auswirkungen hat die PV-Pflicht auf das Stadtbild? Die gebaute Dachlandschaft in Deutschland zeigt: Auch 50 Jahre nach den ersten ambitionierten Ansätzen von Solar-Pionier Rolf Disch sind Photovoltaikanlagen in der Architektur noch immer eine ästhetische Herausforderung. Freiburg gilt mit 1.800 Sonnenstunden im Jahr als Sonnen- und Solarhauptstadt Deutschlands. Früh wurde hier mit Photovoltaik experimentiert.
Gestaltungsfreiheit beim Solardach
Heute reicht die Vielfalt an Formaten und Technologien für Photovoltaik im Dach von Solarziegeln bis zu großformatigen Paneelen. Es gibt sie inzwischen in frei wählbaren Farben und sogar als transparente Module. Es ist im Wesentlichen eine Frage des Konzepts, der Detaillierung und des ästhetischen Empfindens der Auftraggeber, ob die architektonische Integration gelingt.
Schule mit Solardach in Freiburg
In Freiburg gibt es inzwischen rund 2.500 PV-Anlagen auf den Dächern mit einer Gesamtleistung von rund 43.000 kWp. Wie die architektonische Integration von PV-Anlagen gelingen kann und welches ästhetische Potenzial sie entfalten können, zeigt das Photovoltaikdach der Pestalozzischule Freiburg-Haslach von Spiecker Sautter Lauer Architekten.
Auf der Südwestseite wurde eine Indach-PV-Anlage mit einer Gesamtleistung von circa 70 kWp integriert. Das Dach wird zur glatten Scheibe − unprofiliert, ungestört von Details, Ein- oder Aufbauten. Selbst das notwendige Dachflächenfenster sitzt unauffällig flächenbündig zwischen den PV-Elementen. Besonders bemerkenswert ist, dass hier an einem Schulgebäude diese konzeptionelle und formale Integration gelingt: ein öffentliches Haus mit Beispielcharakter.
Solardach auf dem Stadion des SC Freiburg
Wesentlich spektakulärer und weniger alltäglich, aber aufgrund ihrer architektonischen Integration ebenfalls beispielhaft: die weltweit zweitgrößte PV-Anlage auf einem Fußballstadion. Das Architekturbüro HPP bereitete den Stadionneubau des SC Freiburg so vor, dass sich die leicht geneigte PV-Anlage auf dem Stadiondach in die Architektur integrieren ließ und nicht zum aufgeständerten Fremdkörper wird. Die 6.000 auf allen vier Tribünendächern montierten Hochleistungsmodule der 2,4-Megawatt-Anlage können rechnerisch den prognostizierten Jahresbedarf des neuen Freiburger Stadions decken.
Einfamilienhaus mit Solardach und PV-Fassade
Maßstabswechsel und Ortswechsel: Was für das Stadion gilt, gilt auch für das Einfamilienhaus. Die Energieversorgung wird dezentral. Das Haus wird zum Solarkraftwerk. Architekt Peter Kuczia hat in Krakau ein Wohnhaus realisiert, das sich selbst versorgt.
Dach und Fassade der Südseite sind mit Photovoltaikelementen belegt. Geradlinig und präzise im Detail an Ortgang, First und Traufe mit integrierter Regenrinne. Das schwarze Haus wirkt monolithisch, die Photovoltaik wird zum selbstverständlichen Teil der Gebäudehülle und des architektonischen Konzepts.
Jan R. Krause ist Professor für Architektur Media Management an der Hochschule Bochum, er organisiert und moderiert zudem die RoofTop Talks der Initiative Dachkult
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