Von Heinz Hullmann und Ingrid Lützkendorf
Die Gebäudehülle bietet ein enormes Flächenpotenzial, um Sonnenenergie zu nutzen. In einfachster Form wurden Photovoltaik(PV)-Module als Stromlieferanten auf dem Dach montiert – in der Regel ohne Rücksicht auf die Gebäudegestaltung. Anders als solche Elemente, die ausschließlich der Energiegewinnung dienen, verknüpfen bauwerkintegrierte Photovoltaische Projektlösungen architektonische, bautechnische und energetische Aufgaben miteinander. Bei der„Bauwerkintegrierten Photovoltaik“ – kurz BIPV für Building Integrated Photovoltaics – übernehmen PV-Bauteile neben der Stromerzeugung weitere Funktionen der Gebäudehülle wie Wetterschutz, Verschattung, Lichtdurchlässigkeit, Wärme- und Schallschutz, anspruchsvolle Gestaltung, elektromagnetische Energiewandlung oder elektromagnetische Schirmdämpfung. Würde man solche multifunktionalen PV-Bauteile entfernen, müssten sie durch andere konventionelle Bauteile ersetzt werden, damit das Bauwerk voll funktionsfähig bleibt. Zur Bauwerkintegration sind die PV-Module den statischen und gestalterischen Erfordernissen anzupassen. Das erfordert die frühzeitige interdisziplinäre Zusammenarbeit der Architekten und Fachplaner.
Wandel in der Architektur
Aus den unterschiedlichen PV-Technologien resultieren differenzierte PV-Eigenschaften, die ein Modul für bestimmte Anwendungen besonders qualifizieren können. Schon im frühen Planungsstadium muss geklärt werden, ob die zu belegende Fläche oder die Anlagenleistung für das Bauvorhaben die primären Kriterien sind. Je nach Modultyp variiert die benötigte Fläche für ein Kilowatt Peak (kWp) Leistung von sechs bis acht Quadratmeter für monokristalline Module, neun bis elf Quadratmeter für polykristalline Module und zwischen 16 und 20 Quadratmetern für amorphe Module.
Aus der Adaption der solaren Technologien ergibt sich auch eine neue Formensprache in der Architektur. So bestimmen Gebäudeorientierung- und -form maßgeblich darüber, wie effizient die PV-Bauteile betrieben werden können. Dadurch verändern die PV-Technologien den architektonischen Entwurfs- und Gestaltungsprozess. Zum Beispiel entsteht bei einem hohen Bedarf an Modulen und Fensteröffnungen ein Flächenkonflikt, dessen Ergebnis sich letztendlich in der Fassadenoptik niederschlägt. Es stehen jedoch aufgrund einer mittlerweile breiten Produktauswahl genügend Mittel zur Verfügung, um architektonisch hochwertige Lösungen zu generieren. So erlauben die in unterschiedlichsten Größen und Formaten verfügbaren PV-Module durchaus eine Bandbreite architektonischer Freiheiten. Die Farbauswahl sowie verschiedene Transparenzgrade und Oberflächen vergrößern die Auswahl um weitere gestalterische Varianten. Wie sich die Fassadenoptik letztendlich präsentiert, hängt wesentlich auch von der Oberflächenstruktur der Module ab: Glatt, strukturiert, reflektierend oder matt sind hier möglich; ebenso wie Abdeckungen in Glas oder Kunststoff.
Module für Glasfassaden
PV-Bauelemente sind außerdem in vielen konstruktiven Varianten erhältlich und werden in biegesteife und flexible Elemente unterschieden. Elemente mit hoher Steifigkeit sind in der Regel Glas-Folie- oder Glas-Glas-Module. Sie eignen sich besonders gut für die Gestaltung aller Formen von „Glasarchitektur“ – auch als semitransparente Module – sowie für die Integration in feste Gebäudehüllflächen. Elemente mit geringer Steifigkeit bestehen aus biegsamen Dünnschichtmodulen, die auf einem steifen oder flexiblen Trägermaterial aufgebracht sind.
Es gibt viele Beispiele für die gelungene Symbiose von Solartechnik und Architektur. Die Verbindung von PV-Modultechnik und Verbundsicherheitsglastechnik belegt den Qualitätssprung vom PV-Modul zum PV-Bauelement. Dadurch eröffnen sich neue Anwendungspotenziale – zum Beispiel bietet sich durch die Überkopftauglichkeit und Durchbruchsicherheit die Verwendung als Atriumverglasung an. Mittels Simulationen werden Glasqualität, Glasflächenanteil und Neigung der Solarmodule so aufeinander abgestimmt, dass ein optimaler Mittelweg zwischen Energieerzeugung, Überhitzungs-, Blendschutz und Tageslichtversorgung erzielt wird. Analog zu den Glasfassaden-Konstruktionen können die PV-Module als Kalt- oder Warmfassaden linienförmig gelagert werden, Punkthalterungen aufweisen oder in Structural-Glazing-Systeme integriert werden.
Lösungen für traditionelle Baustoffe
Alternativ zu Glasmodulen haben die Hersteller konventioneller Bauprodukte ihre Systeme zu PV-Generatoren weiterentwickelt. Hierbei kommen flexible PV-Dünnschicht-Module zur Anwendung, die mit unterschiedlichen Technologien wie amorphes Silizium, mikromorphe Zellen, Kupfer-Indium-Disulfid (CIS), Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) oder Cadmiumtellurid (CdTe) produziert werden. Solche flexiblen Photovoltaik-Laminate sind in besonderem Maße geeignet, in Klebetechnik werksseitig auf Dichtungsfolien, ebenen oder dreidimensional verformbaren Bautafeln oder Membranen aufgebracht zu werden.
Gegenüber aufgeständerten bzw. Aufdach-Anlagen müssen mit diesen flexiblen BIPV kaum Zusatzlasten abgeführt werden. Anschlussbereiche können systemimmanent mit konventionellen Bauteilen (ohne PV-Funktion) ausgeführt und die bewährten Verlegetechniken genutzt werden. Die Integration von PV-Bauelementen bietet wesentliche Vorteile gegenüber der Anordnung von Standard-Modulen, unabhängig vom Gebäude, auf Freiflächen oder Flachdächern. Mit BIPV können hinsichtlich gestalterischer, technischer und kostenspezifischer Aspekte positive Wechselwirkungen zwischen deren multifunktionalen Eigenschaften sowie gewünschten Funktionen der Gebäudehülle erzielt werden.
Baurechtliche Einordnung
Rechtlich sind in Deutschland die Landesbauordnungen maßgeblich für jedes Bauvorhaben – und gelten damit prinzipiell auch für BIPV. Bisher werden Baugenehmigungen für BIPV in der Regel aufgrund einer Zustimmung im Einzelfall erteilt. Hierzu besitzen die Hersteller einschlägige Erfahrungen auf Basis vieler realisierter Objekte. Nächste Schritte sind allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen, die durch das Deutsche Institut für Bautechnik DIBT erteilt werden. Ziel ist die Einordnung multifunktionaler PV-Bauelemente als „geregelte Bauprodukte“.
Für bauwerkintegrierte PV-Anlagen stehen nach Berechnungen der Fachgruppe BIPV im Bundesverband Bausysteme e.V. rund 3 000 Quadratkilometer Gebäudeflächen zur Verfügung. Das ist ein Mehrfaches dessen, was benötigt wird, um die im Energiemix vorgesehene Strommenge durch Photovoltaik zu decken. Voll erschlossen, würde ein Gesamtumsatz-Potenzial – also Installation und Umsatz im Betrieb – von circa 900 Milliarden Euro generiert. Davon entfielen etwa 20 bis 30 Prozent auf Bauindustrie und -gewerbe.
Die solaren Bauelemente sind in gleichem Maße Bauelemente im bautechnischen Sinne als auch in ihrer PV-Funktion. Das betrifft zum Beispiel die konstruktiven und materialtechnischen Anschlüsse, die Herstellung, die Montage vor Ort, Affinität mit den benachbarten Bauteilen und mit dem Gebäude als Ganzem. Und es umfasst nicht zuletzt deren Wartung, Finanzierung und Abschreibung. Wichtig für eine erfolgreiche Entwicklung der Komponenten sind Elementierung (für den Hersteller) und Anpassbarkeit an unterschiedliche konstruktive und gestalterische Einbaubedingungen (für den Anwender). Wirtschaftlich interessant ist vor allem die Entwicklung vorgefertigter PV-Bauelemente, denn sie verkürzen deutlich die Montagezeit.
In einen ganzheitlichen Planungsprozess sind alle Akteure frühzeitig einzubinden – Bauherren, Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen, Bauämter. Und die Photovoltaik ist mit allen physikalischen Vorteilen in die Gebäudehülle zu integrieren. Das sind Voraussetzungen für größte Innovationspotenziale, für nachhaltige und anspruchsvolle Architektur.
Photovoltaik-Systeme im Überblick: Eine Übersicht über die Hersteller verschiedener Systeme von gebäudeintegrierter Photovoltaik finden Sie hier als PDF zum Download.
Professor Dr. Heinz Hullmann ist Architekt bei hwp – hullmann, willkomm & partner in Hamburg und außerplanmäßiger Professor (apl. Prof.) an der Leibniz-Universität in Hannover. Dr. Ingrid Lützkendorf arbeitet am Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau in Weimar.
Weiterführende Literatur
• Konrad, Frank: Planung von Photovoltaik-Anlagen. Grundlagen und Projektierung. 2. Auflage, Vieweg + Teubner GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008
• Rullan Lemke, Christina: ArchitekturForm & SolarEnergie: Kriterien einer solaren Gebäudeform. In: Bauhaus.solar, 1. Internationaler Kongress. 11.2008, Tagungsband, S. 42
• Bundesverband Bausysteme e.V.: Positionspapier Gebäudeintegrierte Photovoltaik-Systeme, www.bv-bausysteme.de/tl_files/bv-bausysteme/downloads/Positionspapier_BIPV_e.pdf
• hwp und ISET: Multifunktionale Photovoltaik – Photovoltaik in der Gebäudehülle, Hamburg und Kassel: hwp und ISET, 2006
• Hullmann, Heinz (Hrsg.): Photovoltaik in Gebäuden, Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag, 2000
• Bendel, Christian; Hullmann, Heinz: Gebäudeintegrierte Photovoltaik bei Sanierung und Modernisierung, Wiesbaden: Studiengemeinschaft für Fertigbau, PV + Bau 05, 2005
• Hullmann, Heinz; Willkomm, Wolfgang: Gebäudeintegrierte Photovoltaik im historischen Gebäudebestand, Wiesbaden: Studiengemeinschaft für Fertigbau, PV + Bau 06, 2005
• Lützkendorf, Ingrid: Photovoltaische Bauteile – Konsequenzen für Konstruktion
und Gestaltung von PV-Modulen. In: Tagungsband 24. Symposium Photovoltaische Solarenergie, 2009
• Lützkendorf, Ingrid: Baurechtliche Aspekte zur Integration von photovoltaischen Bauelementen. In: Tagungsband 26. Symposium Photovoltaische Solarenergie, 2011
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