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„Außerhalb der Norm“

Akustikexperte Professor Alfred Schmitz im Interview über den erhöhten Schallschutz der neuen DIN 4109.

31.05.20176 Min. Kommentar schreiben
Professor Dr.-Ing. Alfred Schmitz ist Honorarprofessor an der TU Braunschweig und Geschäftsführer der Firma TAC – Technische Akustik in Grevenbroich mit den Schwerpunkten Raumakustik, Bauakustik, Elektroakustik, Schwingungstechnik und Immissionsschutz.

Die neue Schallschutznorm DIN ist im Juli 2016 veröffentlicht und löst die alte DIN 4109 von 1989 ab. Professor Alfred Schmitz erläutert, mit welchen Änderungen Architekten zu rechnen haben, und stellt Lösungswege vor, wie die neuen Anforderungen in der Planungspraxis berücksichtigt werden können.

Warum ist der bauliche Schallschutz für den Architekten überhaupt wichtig?

Wir sind in der heutigen Gesellschaft extrem vielen Schallquellen und akustischen Stimulationen ausgesetzt. Deshalb wird es immer wichtiger, dass die eigene Wohnung eine Stätte der Ruhe ist, in der wir uns entspannen und vom Allttagsstress erholen können. Allerdings erschließt sich der Schallschutz für den Nutzer nicht von selbst. Er kann ihn nicht bemustern, nicht probewohnen. Ist mangelhafter Schallschutz erst mal eingebaut, lässt er sich meist nicht mehr nachrüsten.

Und hier kommt der Architekt ins Spiel?

Richtig. Zunächst ist es für ihn wichtig zu wissen, welche Erwartungshaltung beziehungsweise Forderungen der Bauherr an den Schallschutz hat. Dann muss er ein Schallschutzniveau als Planungsziel festlegen und es geeignet umsetzen. Einen wesentlichen Einfluss hat hier nicht nur die Eigenschaft des Baukörpers, sondern insbesondere auch die Grundrissgestaltung. So ist beispielsweise ein offener Grundriss schalltechnisch problematischer als eine klassische Gestaltung mit geschlossenen Räumen. Laute Räume, wie Bäder, sollten auch nicht an Schlafräume angrenzen.

Welche Vorteile hat hierbei die neue DIN 4109 gegenüber der alten Norm?

Die neue DIN 4109 besteht im Grunde wie die alte aus einem Anforderungsteil, einem Rechenverfahren und einem Bauteilkatalog. In Bezug auf die Berechnungsverfahren und den Bauteilkatalog hat die neue Norm deutliche Vorteile. So liefert sie bessere und zielsicherere Aussagen zum jeweils geplanten baulichen Schallschutzniveau. Allerdings war eine Prämisse bei der Erstellung der neuen DIN 4109, die Anforderungswerte, die zum Erhalt des Gesundheitsschutzes dienen, nicht zu erhöhen.

Wie ist das zu verstehen?

Die neue Norm legt in ihrem Teil 1 im öffentlich-rechtlichen Bereich baurechtliche Mindestanforderungen an den baulichen Schallschutz fest. Geändert hat sich hier allerdings für den Architekten fast nichts. Das heißt, die alten Anforderungswerte der Norm von 1989 sind in Bezug auf den Luftund Trittschallschutz mit wenigen Ausnahmen nicht verändert worden. Es gibt nur kleinere Änderungen bei den Anforderungen an Doppel- und Reihenhäuser und bei der Trittschalldämmung von Decken, die aber aufgrund entsprechender Gerichtsurteile bereits zur Planungspraxis gehören.

Es gibt also keine Neuerungen bezüglich des Mindestschallschutzes. Und wie sieht es beim erhöhten Schallschutz aus?

Zunächst ist festzustellen, dass die Mindestanforderungen der DIN 4109 für den Wohnungsbau in keinem Fall mehr ausreichen. Es gibt genügend Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH), die besagen, dass für einen üblichen Wohn- und Komfortstandard ein erhöhtes Niveau geschuldet und erwartet wird. Hinsichtlich des erhöhten Schallschutzes äußert sich die neue DIN 4109 allerdings nun überhaupt nicht mehr. Es gibt bis jetzt auch kein Pendant zum Beiblatt 2 der alten Norm. Ein erhöhter Schallschutz wird also künftig vollständig außerhalb der Norm behandelt. Derzeit stehen hierfür mehrere Regelwerke zur Verfügung, die Werte für erhöhte Schallschutzniveaus ausweisen. Zum Beispiel können die VDI-Richtlinie 4100:2007 oder die Empfehlung 103 der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA) herangezogen werden.

Welche Anforderungswerte empfehlen Sie für einen erhöhten Schallschutz?

Nach wie vor gilt, dass eine gute Schalldämmung durch schwere Bauteile und/oder durch mehrschalige massive Wandkonstruktionen erreicht wird. Gemäß BGH muss das erhöhte Niveau einen spürbar besseren Schallschutz gegenüber den Mindestanforderungen darstellen. Dies ist bei der Luftschalldämmung bei einer Erhöhung von 3 dB, für den Trittschallschutz und den Schutz gegenüber Geräuschen aus der Wasserinstallation und haustechnischen Anlagen in der Regel bei einer Erhöhung von ≥5 dB gegeben. Die horizontale Luftschalldämmung, zum Beispiel von Wohnungstrennwänden, erhöht sich somit gegenüber den Mindestanforderungen von 53 dB auf 56 dB. Diese Werte werden unter anderem mit Wohnungstrennwänden aus massiven schweren Schalen mit einer Rohdichte von jeweils ≥2,0 sowie mit ausreichend schwer dimensionierten Außenwänden erzielt.

Wie sieht bezüglich des Schallschutzes die vertragliche Regelung Architekt – Bauherr aus?

Gegenüber den öffentlich-rechtlichen Mindestanforderungen ist die Festlegung eines
erhöhten Schallschutzes ein privatrechtlicher Vorgang, der vertraglich schriftlich festgelegt werden sollte, zum Beispiel in einer ausführlichen Baubeschreibung. Ich empfehle, hier explizit auch genaue Zahlenwerte zu nennen, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.

Sie nannten bereits das neue Berechnungsverfahren. Womit muss der Architekt rechnen?

Mit den rechnerischen Nachweisen und dem deutlich umfangreicheren und differenzierteren Bauteilkatalog ist das Rechenverfahren jetzt viel genauer und gibt dem Architekten eine zum Teil deutlich höhere Planungs- und Ausführungssicherheit. Zum Beispiel werden nun für die Berechnung des Bau-Schalldämm-Maßes R’w im Massivbau alle an der Schallübertragung beteiligten Wege – ein direkter Weg und zwölf Flankenwegsanteile, also insgesamt 13 Übertragungswege – eingerechnet. Dabei wird auch der Anschlussbereich zweier Bauteile berücksichtigt.

Das ist neu: Für die Berechnung des Bau-Schalldämm-Maßes R´w im Massivbau werden jetzt alle 13 Schallübertragungswege eingerechnet: ein direkter Weg und zwölf Flankenwegsanteile. Zur Berechnung gibt es Softwareprogramme. Zum Beispiel sind mit dem Kalksandstein-Schallschutzrechner Schwachstellen in der Schallübertragung einfach zu erkennen und zu analysieren. Unter www.kalksandstein.de steht die Software kostenfrei zum Download zur Verfügung.

Können die neuen Nachweisverfahren auch von Hand durchgeführt werden?

Prinzipiell ja. Aber der Aufwand wäre vergleichsweise groß, da zum Beispiel alle infrage kommenden Schallübertragungswege einzeln zu berechnen und alle beteiligten Bauteile, insbesondere die flankierenden Bauteile, sowie die entsprechenden Anschlussbereiche zu berücksichtigen sind. Zur Berechnung gibt es aber geeignete Softwareprogramme, wie den KS-Schallschutzrechner der Kalksandsteinindustrie für den Massivbau. Mit ihm sind Schwachstellen in der Schallübertragung – wie zu leichte flankierende Außenwände oder ungünstig ausgeführte Anschlussstellen – einfach zu erkennen, zu analysieren und zu vermeiden. So kann das Gebäude schalltechnisch gezielt optimiert werden.

Mit welchen Konstruktionen kann der Architekt beim Schallschutz im Wohnungsbau auf Nummer sicher gehen?

Zunächst sollten alle Wände, auch die flankierenden Wände, schwer genug dimensioniert werden. Bei Außenwänden sollten auch keine leichten Steine verwendet, sondern, auch wenn dies aus wärmeschutztechnischen Gründen oft nicht gewünscht wird, möglichst schwere Steine eingesetzt werden. Hierdurch reduziert sich unter anderem die sogenannte Körperschallempfindlichkeit des Gebäudes gegenüber Geräuschen, die nach Norm als Nutzergeräusche gelten und an die keine Anforderungen gestellt werden. Hierzu zählen beispielsweise das Öffnen und Schließen von Fenstern und nicht zuletzt auch der „fallende” Toilettendeckel. Werden die Regeln zur Festlegung eines geeigneten Schallschutzniveaus, einer günstigen Grundrissgestaltung sowie im Massivbau die Regeln der schweren Bauweisen beachtet, lassen sich schalltechnisch hochwertige Gebäude mit hoher Zufriedenheit der Nutzer sicher planen.

Das Interview führte Dipl.-Ing. Bernd Niebuhr aus Hannover.

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