Von Marion Goldmann
Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren über Schäden an Glasfassaden berichtet – etwa am Ernst&Young-Hochhaus am Graf-Adolf-Platz in Düsseldorf oder am IDZ-Tower in Wien. An dem rund 160 Meter hohen Gebäude musste aufgrund von Glasbruch 2001 die Fassade komplett erneuert werden. Es gibt viele solcher Schäden, nur wird darüber nicht gern gesprochen. Das Marktvolumen an verglasten Fassaden und Überkopf-Verglasungen, wie bei Atrien, ist in den letzten zehn Jahren um etwa 80 Prozent gestiegen. Versagen solche Konstruktionen, ist die Instandsetzung nicht nur teuer. Vordergründig geht es vor allem darum, die Sicherheit von Menschen und Bauwerken nicht zu gefährden. Die hier zu empfehlende kontinuierliche Überwachung großflächiger Verglasungen erfolgt aber in der Praxis nicht. Deshalb haben vier Partner aus Industrie und Wissenschaft (siehe Infokasten auf Seite 51) diese Problematik in einem zweijährigen Forschungsprojekt aufgegriffen und mit der „Tilsecure“-Glassensorik eine Lösung entwickelt.
Intelligent verknüpft
Bei dem Bausystem handelt es sich um in Verbundsicherheitsgläser integrierte multifunktionale Sensorpatches, die über ein BUS-Interface und eine Auswerte-Einheit mit der Gebäudeleittechnik kommunizieren. Ein Sensorpatch enthält verschiedene Sensoren. Mithilfe des piezoelektrischen Sensors, der die bei Rissbildungen entstehenden Schallwellen registriert, werden Schäden am Glas und Glasbruch kontinuierlich aufgezeichnet. Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung konnte mit den piezoelektrischen Wandlern Risse ab fünf Millimeter am Glasscheibenrand nachweisen. Außerdem sind auf dem Sensorpatch ein Temperaturfühler, ein Helligkeitssensor sowie programmierbare LEDs aufgebracht. Bei Bedarf lassen sich durch weitere Sensoren mehr Funktionen generieren.
Die Sensorpatches verfügen über Anschlüsse zu einem BUS-Interface, das es ermöglicht, Sensor- und Aktuatortechnologien an einer Vielzahl von Messstellen kostengünstig von nur einer Auswertungseinheit aus zu betreiben. Das Cluster kommuniziert über gängige Schnittstellen wie USB oder Ethernet mit der verfügbaren Gebäude-Infrastruktur. Durch Verknüpfung mit einer Software werden beim Eintreten vorher definierter Ereignisse, etwa dem Überschreiten festgelegter Grenzwerte, sogenannte Aktuatoren angesprochen, die dann Handlungen auslösen – etwa das Schließen von Fenstern, das Ausschalten der Heizung, das Herunterfahren der Jalousie oder Alarm bei Glasbruch und Einbruch. Da das System bereits auf kleinste Risse reagiert, können umgehend praktische Schritte gegen schwerwiegendere Folgeschäden eingeleitet werden.
Vielseitig nutzbar
Die kostengünstige Elektronikherstellung der kombinierten Sensoren auf einer Folie, die miniaturisierte Bauform und Verkettung der Messstellen und deren Nutzung im Verbund mit dem Facility Management machen eine umfassende messtechnische Überwachung großer Glasflächen nunmehr auch wirtschaftlich interessant.
Die Sensoren im Glas ersetzen gleichzeitig die bislang einzeln an Dach und Fassade angebrachten Temperaturfühler, Helligkeitsmesser oder Einbruchmelder. Ingrid Lützkendorf vom Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau Weimar: „Durch Bündelung diverser Funktionen auf den Sensorpatches können Einsparpotenziale erschlossen werden. Die Sensoren im Glas ersetzen Temperaturfühler, Helligkeitsmesser oder Einbruchmelder.“ Um die Bandbreite der Möglichkeiten Bauschaffenden detailliert zu erläutern, hatten Lützkendorf und der Hersteller Tilse Formglas GmbH vor kurzem Architekten zu zwei Workshops eingeladen. Die Planer interessierte besonders die Verknüpfung von Sicherheits- und Steuerungsaspekten.
Alle am Bau Beteiligten dürfte die nun durchgehende Qualitätskontrolle der Glasscheiben ansprechen. Da die Sensorpatches bereits bei der Herstellung der Verbundsicherheitsgläser eingebaut werden, lässt sich im Schadensfall deren Weg genau verfolgen – von der Herstellung über Transport und Einbau bis zur Abnahme der Bauleistungen. Strittige Haftungs- und Gewährleistungsfragen werden durch Vergleichsmessungen einfach geklärt. Die Datenerfassung erfolgt mittels Handlesegerät.
Offiziell anerkannt
Aktuell wird Tilsecure gerade beim Labor- und Technikgebäude des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung in Würzburg eingesetzt. Bei dem Neubau nach Entwürfen von Zaha Hadid Architects wird zurzeit die F
assade geschlossen und dabei im Rahmen eines Pilotprojektes ein kleiner Bereich der Verglasung mit der Glassensorik ausgestattet.
Tilsecure ist vom Deutschen Institut für Bautechnik als Verbund-Sicherheitsglas (VSG) im Sinne der Bauregelliste A, Teil 1 anerkannt worden, da die randnahen Sensorpatches nur als geringfügige Abweichung zu geregelten VSG betrachtet werden. Auch auf internationalen Erfinder-Messen wurde das innovative Bausystem mehrfach prämiert.
Partner des Forschungsverbundes Glassensorik
Tilse Formglas GmbH
Entwicklung der sensorintegrierten Glas-Verbund-Technologie und Vermarktung von „Tilsecure“
www.tilse-formglas.com
KT-Systems GmbH
Entwicklung des clusterbasierten Auswertungssystems der Sensoren
www.ktsystems.de
Fraunhofer-Institut für Silicatforschung (ISC)
Entwicklung der piezoelektrischen Wandler (Aktoren)
www.isc.fraunhofer.de
IFF – Institut für Fertigteiltechnik und
Fertigbau Weimar gemeinnützige GmbH Integration der Verbundglasscheiben in Fassaden-Konstruktion
www.iff-weimar.de
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: