Von Martin Lutz
Die energetische Nachhaltigkeit eines Gebäudes wird maßgeblich vom ingenieurtechnischen Zusammenwirken von Fassade und Raumkonditionierung bestimmt. Nur mit einer „intelligenten“ Fassade, die alle physikalischen, energie- und tageslichttechnischen Aspekte berücksichtigt, lässt sich ein nachhaltiges und somit zukunftsfähiges Planungsziel erreichen. Der Fassade kommt unter Berücksichtigung der EnEV 2009 und vor allem mit Blick auf die voraussichtlich nochmals um etwa 25 Prozent verschärfte EnEV 2012 eine noch bedeutendere Rolle zu. Die derzeit in der Vermarktung zunehmend wichtiger werdenden Green-Building-Zertifizierungslabels DGNB, LEED, BREEAM und so weiter stärken diese Schlüsselrolle zusätzlich.
Begrenztes Einsparpotenzial bei Glas
Die Baustoffe von Fassaden beziehungsweise deren Wärmedämmwerte bieten derzeit nur noch im Detail Verbesserungspotenzial. Große Fortschritte sind hier kurz- und mittelfristig gesehen nicht zu erwarten, da neue, energetisch „sensationelle“ und bezahlbare Werkstoffe nicht in Sicht sind. Das gilt besonders für Glas, das heute für die meisten Büro- und Gewerbebauten aus ästhetisch-architektonischen Erwägungen bevorzugt verwendet wird. Parallel stiegen die Anforderungen an den Wärmeschutz und infolgedessen war die technische Weiterentwicklung der Wärmeschutzgläser in den letzten Jahren enorm. Dreifach-Wärmeschutz-Verglasungen mit Ug-Werten von 0,6 bis 0,7 W/m²K sind heute bezahlbarer Standard geworden. Vakuumgläser, die Ug-Werte von 0,1 bis 0,3 W/m²K erreichen, werden jedoch bis heute nicht in Serie produziert. Die U-Wert-Verbesserung im Vergleich zu Dreifach-Glas ist vergleichsweise gering und die Produktrisiken sind noch nicht vollständig ausgeräumt – es gibt noch Probleme beim Scheibenabstandhalter und beim Randverbund. Wird dieser auch nur im Geringsten undicht, ist das Glas praktisch wertlos.
Fassadenprofile bieten mehr Potenzial
Im Vergleich zur Verglasung bieten hochwärmegedämmte Fassadenprofile ein weit größeres Energiespar-Potenzial. Die Uf-Werte von Standard-Aluminium-Profilen der Rahmenmaterialgruppe 1 lagen bisher knapp unter 2,0 W/m²K. Somit entstand eine wärmedämmtechnische Differenz innerhalb der Fassade. Bei individueller projektspezifischer Entwicklung ist die wärmedämmtechnische Ertüchtigung der Fassadenprofile auch ohne hohe Kosten auf Werte von unter 1,0 W/m²K möglich. Bei einer Pfosten-Riegel-Konstruktion wird dazu ein Zweikomponenten-Dämmkeder im Bereich der Fassadenprofilachse eingezogen. Bei einer Aluminium-Rahmenkonstruktion findet die Optimierung im Bereich der statisch notwendigen Dämmstegkonstruktion statt. Die Dämmstege werden tiefer ausgebildet. Wird der Luftzwischenraum zwischen den Profilstegen mit hochwärmedämmendem, schaumstoffähnlichem Material gefüllt, lässt sich der Dämmwert weiter verbessern. Dies ist auch mit Holz als Fassadenprofil im witterungsgeschützten Bereich möglich.
Hoher Standard für alle erreicht
Bereits 2004 wurden für den Neubau der Kreissparkasse Tübingen Aluminium-Fassadenprofile entwickelt, deren Dämmwerte mit einem U-Wert von 0,9 W/m²K im Vergleich zu Standardprofilen doppelt so hoch waren. Es handelt sich um eine vollkommen transparente, raumhoch verglaste Fassade. Durch Kombination einer Dreifach-Wärmeschutz-Verglasung mit Heiz-/Kühldeckensegel wurde bei diesem Projekt erreicht, dass auch im strengen Winter an der Innenseite der Fassade kein Kaltluftabfall stattfindet. Auf die sonst üblichen Heizkörper vor der Fassade konnte deshalb verzichtet werden. Die Heiz-/Kühldecke wird durch Erdwärme mit regenerativer Energie betrieben. Dazu werden die 150 zur Gründung des Gebäudes notwendigen Bohrpfähle zu Energiepfählen umfunktioniert und zum Heizen und Kühlen genutzt. Und dieses regenerative energetische Gesamtkonzept funktioniert zuverlässig, seit die Kreissparkasse Tübingen im Jahr 2006 ihren Neubau bezogen hat. Dies wurde auch möglich, da nicht, wie üblich, nur die Investitionskosten, sondern vor allem auch die Life-Cycle-Kosten des Gebäudes betrachtet wurden. Heute ist für die Verwendung hochgedämmter Fassadenprofile kein Pilotprojekt mehr notwendig, denn sie sind am Markt problemlos verfügbar. Energetisch zukunftsweisende Fassaden-Raumklima-Konzepte werden so auch für kleinere Bauvorhaben in einem kostenverträglichen Rahmen möglich.
Neuer innovativer Fassadentyp
Gleichzeitig wurde mit hochgedämmten Profilen die Grundlage geschaffen, übliche Konstruktionen weiter zu verbessern oder, wie mit der Closed-Cavity-Fassade (CCF), sogar einen neuen Fassadentyp zu entwickeln. Die Closed-Cavity-Fassade ist eine vollkommen geschlossene, doppelschalige Konstruktion. Ein Öffnen ist nicht möglich, weder zur natürlichen Belüftung der Räume noch zur Wartung oder Reinigung. Entsprechend dürfen sich im Fassadenzwischenraum auch keine installationstechnischen Verschleiß- und Wartungsteile befinden. Sie werden stattdessen in den abgehängten Decken der Büroräume untergebracht. Der Motor für den im Fassadenzwischenraum platzierten Sonnenschutz ist ebenfalls ausgelagert. Er treibt die Lamellen über eine Drehwelle an. Diese Antriebstechnik ist unkompliziert und deren dauerhafte Funktionstüchtigkeit durch Langzeitversuche nachgewiesen.
Um sicherzustellen, dass sich im Fassadenzwischenraum kein Kondensat aufgrund eingedrungener Feuchtigkeit bilden kann, wird eine Druckluft-Ringleitung in der abgehängten Decke installiert und diese über einen Kapillarrohr-Schlauchanschluss aktiviert. Es wird trockene, gefilterte Luft über eine Druckluftzentrale in den Fassadenzwischenraum gedrückt. Auch diese einfache, aus dem Maschinenbau stammende Technik hat sich nachweislich in Langzeitversuchen bewährt. So werden Gesamt-Wärmedurchlass-Koeffizienten erreicht, die vor ein paar Jahren kaum vorstellbar waren. Unter Verwendung von Dreifach-Wärmeschutzglas und hochgedämmten Fassadenprofilen sowie Lamellenraffstores im Fassadenzwischenraum erreicht die Closed-Cavity-Fassade einen Ucw-Wert von 0,60 bis 0,65 W/m²K.
Die Vorteile dieser Konstruktionsart sind geringere Investitionskosten, denn es werden keine teuren Fensterflügel zur Reinigung der Fassade benötigt. Entscheidend jedoch ist, dass sich die Reinigungskosten insgesamt halbieren, denn die Reinigung der beiden Glasflächen innerhalb des Fassadenzwischenraums entfällt wie auch die aufwendige Reinigung des Sonnenschutzes, also der einzelnen Lamellen des Lamellenraffstores. Einsparungen von mehreren Millionen Euro bei entsprechender Projektgröße bei den Lebenszykluskosten wären so möglich. Außerdem spricht die Anordnung des Lamellenraffstores im geschlossenen Fassadenzwischenraum für diese Konstruktion. Eine effizientere und kostengünstigere Reduzierung des Energieeintrags in das Gebäude ist derzeit mit keinem anderen Fassadentyp möglich. Auch die Kühlleistung lässt sich weiter reduzieren, was die energetischen Lebenszykluskosten zusätzlich senkt. Bezogen auf das ganzheitliche Zusammenwirken von Fassade und Raumkonditionierung, werden außerdem die derzeit besten realisierbaren Nachhaltigkeitswerte erreicht. Eine Kombination von Closed-Cavity-Fassade mit zu öffnenden Fensterflügeln ist technisch ohne Weiteres möglich, erscheint angesichts der geschilderten Vorteile aber nicht sinnvoll.
Einsatz geplant
Bei dem neuen Verwaltungsbau der Firma Hoffmann-La Roche in Basel wird derzeit geprüft, ob eine Closed-Cavity-Fassade als Gebäudehülle infrage kommt. Das Büro Herzog & de Meuron plant für das Pharma-Unternehmen ein energetisches „Vorzeigeprojekt“ und das mit 175 Metern höchste Hochhaus der Schweiz. Gemeinsam mit Drees & Sommer als Generalplaner beachtet das Roche-Projektteam sämtliche Kriterien des nachhaltigen Bauens. Gegenwärtig, eventuell bis zur geplanten Auftragsvergabe an den ausführenden Fassadenbauer, wird in Fassaden-Varianten geplant. Die Closed-Cavity-Fassade ist nach detaillierter und eingehender Prüfung aller Produktrisiken eine mögliche Variante. Gemäß den Roche-internen User-Requirements, den zukünftigen Generationen keine unnötigen Life-Cycle-Kosten aufzubürden, wird keine Ganzglasfassade, sondern eine zu 40 Prozent geschlossene Fläche geplant.
Ebenfalls getreu der Anforderung von Roche, keine unkalkulierbaren Risiken einzugehen, laufen derzeit unabhängig voneinander zwei Langzeittests an zwei Modellen mit einem sehr umfangreich definierten Versuchsprogramm. Der neue Fassadentyp, der keinesfalls ein fassadentechnisches High-End-Produkt darstellt, sondern aus millionenfach bewährten Einzelkomponenten in neuer Konstellation zusammengesetzt ist, wird auf „Herz und Nieren“ wissenschaftlich geprüft und somit seine Produktqualität sichergestellt.
Dieses Projektbeispiel zeigt, wie man mit dem Willen zur Nachhaltigkeit in der Planung die Zukunftsziele schon heute erreichen kann. Das Unternehmen Roche hat die Zeichen der Zeit längst erkannt: In die Nachhaltigkeit und in die Architektur wird investiert. Mit an erster Stelle steht bei Roche das Wohl der Mitarbeiter. Es wird ein kreatives und innovatives Arbeitsumfeld geplant. Alle sich bietenden technischen Möglichkeiten werden von den Architekten und ihren Fachingenieuren genutzt, jedoch ausschließlich so, dass wirtschaftliche und ökologische Interessen im Einklang sind.
Dipl.-Ing. (FH) Architekt Martin Lutz ist geschäftsführender Gesellschafter der Drees & Sommer AG Stuttgart.